In unserer neuen Artikelreihe widmen wir uns den bedeutenden Berliner Bauwerken der Nachwendezeit, die das Stadtbild der deutschen Hauptstadt bis heute prägen. Im fünften Teil der Serie behandeln wir das 1999 wiedereröffnete Reichstagsgebäude.
© Fotos: Celine Hellriegel
Text: Annett Jäger
Das Reichstagsgebäude in Berlin
Das Reichstagsgebäude in Berlin – gerne als Symbol deutscher Geschichte bezeichnet – steht am Platz der Republik im Berliner Stadtteil Tiergarten. Es dient heute als Sitz des Deutschen Bundestages und gilt als herausragendes Wahrzeichen der Bundeshauptstadt. Seine berühmte gläserne Kuppel ist begehbare Attraktion für viele Besucher und Einwohner der Hauptstadt Deutschlands.
Regierungssitz seit mehr als 100 Jahren
Die Geschichte des Reichstagsgebäudes in Berlin beginnt im deutschen Kaiserreich des Jahres 1884 mit der feierlichen Grundsteinlegung. Zehn Jahre wurde gebaut, bevor Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1894 mit einem zeremoniellen Hammerschlag den Einzug des Parlaments einleitete. Das vom Architekten Paul Wallot aus Frankfurt am Main entworfene, monumentale Gebäude sollte nach der Proklamation des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1871 und der Ausrufung Berlins als Reichshauptstadt dem neu entstandenen Parlament als politischer Sitz dienen.
Als geeignetes Grundstück fasste man einen Platz auf der Ostseite des einstigen Königsplatzes – heute befindet sich hier besagter Platz der Republik – ins Auge. Allerdings thronte auf dieser Fläche zum damaligen Zeitpunkt noch das Palais des polnischen Grafen Athanasius Raczynski, der sich vehement weigerte, sein Grundstück zur Verfügung zu stellen. Während sich die zuständige Baukommission nach einer Alternative umsah, verstarb der Graf im Jahr 1881, woraufhin sein Sohn das Grundstück vor dem Brandenburger Tor letztendlich doch noch an den preußischen Staat verkaufte.
Nachdem vom Architekten Wallot mehrere Entwürfe vorgelegt und gewünschte Veränderungen vorgenommen worden waren, konnte 1884 der Grundstein für das Reichstagsgebäude in Berlin gelegt werden.
eine imposante Erscheinung Trotz Brandanschlag, Krieg und Zerstörung
Noch heute ist das Gebäude gekennzeichnet durch Elemente aus Renaissance, Barock und Klassizismus. Zu einer besonderen Herausforderung für den Architekten wurde die gläserne Kuppel.
Diese sollte – einstmals zentral über dem Plenarsaal geplant – nun ihren Platz über der westlich gelegenen Eingangshalle finden. Während der Bauarbeiten erkannte Wallot jedoch, dass die Umsetzung der gemachten Änderungen kaum möglich wäre und erreichte nach langem hin und her die Verwirklichung seines ursprünglichen Entwurfs.
Somit konnte die gläserne Kuppel, wie vormals angedacht – mithilfe einer innovativen Höchstleistung des Bauingenieurs Hermann Zimmermann – doch noch ihren Platz über dem Plenarsaal einnehmen. Die “Zimmermann-Kuppel” galt lange Zeit als Wahrzeichen deutscher Bauingenieurskraft und findet noch heute als Triumph klassischer Baustatik Erwähnung.
Das im üblichen Historismus erbaute, damalige Regierungsgebäude zeichnete sich durch Formen der italienischen Hochrenaissance (Neorenaissance) in Verbindung mit deutscher Renaissance, dem Neobarock und der zur damaligen Zeit hochmodernen Kuppel in Form einer Stahl-Glaskonstruktion aus.
Über die Jahre sah sich das Reichstagsgebäude in Berlin immer wieder starker Kritik ausgesetzt, sodass in den 1920er Jahren regelmäßig Pläne für dessen Umbau und Erweiterung entworfen wurden. Es gab teilweise spektakuläre Ideen, das Gebäude höher oder in der Fläche breiter zu bauen. Aufgrund von Geldmangel kam es jedoch nicht zu deren Umsetzung.
Nach Auflösung des Reichstags am 1. Februar 1933 durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler kam es in der Nacht zum 28. Februar 1933 zum berühmt-berüchtigten Reichstagsbrand. Hierbei wurde das Gebäude stark beschädigt. Neben dem Plenarsaal brannten auch viele umliegende Räume komplett aus.
Der Zweite Weltkrieg ließ das imposante und nunmehr stark beschädigte Gebäude zu einem Luftschutzbunker mutieren, in welchem außerdem Elektronenröhren produziert, ein Lazarett eingerichtet und Teile davon als gynäkologische Station der nahegelegenen Charité genutzt wurden.
Inmitten von Ackerflächen
Nachdem das Reichstagsgebäude nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges umgeben von Ackerflächen, welche der hungernden Berliner Bevölkerung für den Anbau von Kartoffeln und ähnlichen Nutzpflanzen dienten, als Teilruine nicht mehr genutzt werden konnte, sprengte man im Jahr 1954 die viel bewunderte “Zimmermann-Kuppel”. Angeblich aus Gründen der statischen Unsicherheit.
Im Zuge des 1955 beschlossenen Wiederaufbaus des Reichstagsgebäudes ging der Zuschlag für dessen Planung an den Architekten Paul Baumgarten. Dem Wiederaufbau vielen zahlreiche Schmuckelemente, die aufwendige Innenarchitektur sowie Teile der Ecktürme zum Opfer.
In Verwendung der modernen, architektonischen Sprache mit ihren geraden Linien und glatten Formen verschwanden entsprechend dem Baukunstverständnis der 1960er Jahre die angeblich schwülstigen und überladenen Formen des Gebäudes und auch auf die Berücksichtigung der Denkmalpflege wurde zu diesem Zeitpunkt wenig bis gar kein Wert gelegt.
Vom britischen Sektor zum Mittelpunkt der Landeshauptstadt
Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich das Reichstagsgebäude im sogenannten Britischen Sektor von Berlin. Später verlief die Berliner Mauer direkt an der Ostseite des Gebäudes entlang.
Lange Zeit strahlte das Reichstagsgebäude den Charme eines „Sandsteinkloßes zwischen den feindlichen Weltsystemen im Niemandsland“ aus, bevor es nach der abgeschlossenen Wiederherstellung zum Teil als Museum oder aber ausländischen Staatsgästen mit seinen Außenterrassen als Aussichtsplattform mit Blick über die Berliner Mauer diente.
Die 1990er Jahre: Ein neuer Abschnitt beginnt
Der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands bedeuten auch für das Reichstagsgebäude in Berlin einen Neuanfang. Der Umbau nach der Wiedervereinigung – dessen erste Pläne bereits seit 1988 durch geheime Bemühungen von Helmut Kohl vorlagen – und die Nutzung als Sitz des Deutschen Bundestages wurden 1991 nach einer äußerst kontroversen Debatte im Deutschen Bundestag beschlossen.
In dem 1993 ausgeschriebenen Realisierungswettbewerb konnte sich Foster + Partners, eines der bekanntesten Architekturbüros der Welt mit Sitz in London, gegen die Konkurrenz durchsetzen.
Auch der erneute Umbau des Reichstagsgebäudes war – wie schon beim erstmaligen Bau – von ständigen Änderungen begleitet und so kam es, dass im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf von Norman Foster (ein Umbau ohne Kuppel) – das Konzept einer begehbaren, modernen Kuppel nachträglich ergänzt wurde.
Die Arbeiten – welche mit der Verhüllung des Reichstagsgebäudes mithilfe von rund 100.000 Quadratmeter Stoff durch den Künstler Christo und seine Frau Jeanne Cloud 1995 begannen – endeten bereits 1999 mit der ersten Sitzung des Bundestages im neuen Reichstagsgebäude von Berlin. Ein bemerkenswertes Bautempo.
Modernes Parlamentsgebäude und Besuchermagnet
Seit seiner Fertigstellung ist das Reichstagsgebäude in Berlin nicht nur ein Arbeitsparlament, welches allen Anforderungen neuester Kommunikations-, Büro- und Arbeitsplatztechnik gerecht wird, sondern zudem eine Stätte wertvoller historischer Spuren aus unterschiedlichen, historischen Epochen.
Norman Foster ist es auf brillante Weise gelungen, Moderne und Tradition miteinander zu vereinen, sodass sich für den staunenden Besucher neben den Einblicken in das eindrucksvolle Parlamentsgeschehen über die Besucherebene auch Eindrücke historischer Baukunst ergeben.
Die Verarbeitung heller Materialien, großflächig gestaltete, lichtdurchflutete Glaswände und die zentral gelegene Kuppel mit ihrem integrierten Spiegelsystem verleihen dem ansonsten schwerfällig wirkenden Reichstagsgebäude im Herzen Berlins einen insgesamt leichten Charakter.
Nicht umsonst zählt das Bauwerk heute zu den markantesten und interessantesten Sehenswürdigkeiten Berlins – und das sowohl für die zahlreichen Besucher als auch für die Einwohnerinnen und Einwohner der Hauptstadt.
Weitere Teile der Reihe könnt Ihr hier lesen
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