Die Berliner Grunerstraße in Berlin-Mitte hat sich grundlegend verändert – weniger Spuren, neuer Verlauf und eine zentrale Rolle für die zukünftige Entwicklung des Molkenmarkts. Jahrzehntelang prägte die Grunerstraße als breite Autotrasse das Gesicht der östlichen Berliner Innenstadt. Für ihren Bau ließ die DDR-Regierung ein Viertel des heutigen Amtsgerichts Mitte komplett abreißen. Der neue Verlauf der Straße hat die Verkehrsströme am Nikolaiviertel völlig neu geordnet.
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Eines der wichtigsten und aufwendigsten Verkehrsprojekte der Berliner Innenstadt ist schon im vergangenen Jahr ohne viel Aufhebens erfolgreich vollendet worden: der Umbau der Grunerstraße am historischen Molkenmarkt. Diese Verschwenkung und Verschmälerung der einstmals dominierenden Verkehrsachse ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass das ambitionierte Wiederaufbau-Projekt Molkenmarkt überhaupt durchgeführt werden kann.
Für dieses große Projekt wurde die Grunerstraße selbst verlegt und in den Verlauf der Gustav-Böß-Straße eingegliedert. Dadurch entstanden auch signifikante Änderungen an den angrenzenden Straßenverläufen. So wurde auch die Littenstraße an die Grunerstraße angeschlossen. Da das Vorhaben bereits vor Beschluss des Mobilitätsgesetztes in Planung war, sind die neuen Radwege jedoch streckenweise schmaler ausgefallen, als es nach den eigentlich gültigen Regularien vorgesehen ist.
Umbau der Grunerstraße am Molkenmarkt wurde im vergangenen Jahr fertiggestellt
Um den aufwendigen Umbau abzuschließen, war die Grunerstraße im vergangenen Sommer am Alexanderplatz oberhalb des Tunnels für mehrere Wochen für den Autoverkehr gesperrt. Autofahrer in Richtung Osten mussten auf andere Strecken ausweichen und sollten auf Raten der Senatsverkehrsverwaltung den Bereich weiträumig umfahren. Die Buslinien 248 und 300 wurden ebenso umgeleitet.
Bis zum Spätsommer 2024 konnten schließlich alle für das Projekt geplanten Straßenbauarbeiten abgeschlossen werden und der Hauptstraßenzug fertiggestellt werden. Es wurde jedoch nicht nur die Straßenführung verändert. So ist etwa auch ein neues Ornament-Pflaster vor der Alten Münze, einem geschichtsträchtigen Gebäudekomplex am Übergang von der Grunerstraße zum Mühlendamm, neu verlegt worden.
Berlin-Mitte: Veränderte Straßenführung, weniger Spuren, neues Ornament-Pflaster vor der Alten Münze
Durch das Verschieben der Grunerstraße, die dichter an das Rathaus gelegt wurde, wurde das notwendige Bauland mit einer Fläche von 27.000 Quadratmetern gewonnen, welches die Grundlage des neuen Quartiers darstellt. Dass die Verschwenkung der Grunerstraße zur Wiederherstellung der historischen Stadtstrukturen überhaupt notwendig war, liegt in der Stadtplanung der 1950er und 1960er Jahre begründet, die im damaligen Ost-Berlin erdacht worden war.
Denn wie auch im Westteil der Stadt wurde im Ostteil der Stadt in den Jahrzehnten nach dem Krieg dem Autoverkehr höchste Priorität eingeräumt und die Stadtplanung entsprechend daran ausgerichtet. Der Mitte der 1960er Jahre begonnene, überdimensionierte “Durchbruch” der Grunerstraße vom Alexanderplatz bis zur Leipziger Straße machte den einstigen Molkenmarkt und die umliegenden Quartiere weitgehend unkenntlich.
Ost-Berlin: Die überdimensionierte Grunerstraße zerschnitt die einstige historische Mitte Berlins
Das Gebiet wurde daher bis vor wenigen Jahren noch von der raumgreifenden Grunerstraße dominiert. Mit ihren zahlreichen Fahrspuren, großflächigen Kreuzungen und angrenzenden Parkplätzen zerschnitt sie die einstige historische Mitte. Dass die Tage der überdimensionierten Grunerstraße damit gezählt sind, kann für den Stadtraum im Umfeld von Nikolaiviertel und Alexanderplatz nur als positiv wahrgenommen werden.
Um den Verkehr von der an das Rote Rathaus verlegten Grunerstraße wieder auf den Mühlendamm zu lenken, macht die Straße nun einen Schwenk direkt vor dem Nikolaiviertel. Seitdem steuert man als Autofahrer also, in Ost-West-Richtung fahrend, aus dem Tunnel am Alexanderplatz kommend, direkt auf das Nikolaiviertel und eine neue Ampelanlage zu.
Die Grunerstraße trifft an dieser Kreuzung auf die Spandauer Straße und bildet im Grunde eine T-Kreuzung. Nach einem Linksschwenk findet man eine weitere Ampel in Richtung Mühlendamm vor. So wird der Verkehr dann auf die ebenfalls im Umbau befindliche Mühlendammbrücke gelenkt.
Für den Bau der Grunerstraße wurde ein Teil des heutigen Amtsgerichts Mitte abgerissen
Was heute fast in Vergessenheit geraten ist: für den Bau der Grunerstraße ließ die DDR-Regierung ein Viertel des heutigen Amtsgerichts Mitte – den nördlichen Teil – komplett abreißen. Dieser Abriss geschah zwischen 1968 und 1969 und machte die Neuordnung der einstigen historischen Mitte Berlins überhaupt erst möglich.
Ziel der sozialistischen Stadtplaner war es, breite Aufmarsch- und Verkehrsschneisen zu errichten und die einstige Dichte und verwinkelte Struktur Alt-Berlins damit aufzulösen. Das Gebäude war im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört worden, was eine Entscheidung für einen Teilabriss des Gebäudes offenbar erleichterte.
Das GerichtsGebäude war zwischen 1896 und 1905 errichtet worden
Das an der Ecke Littenstraße / Grunerstraße stehende, in den Jahren 1896 bis 1905 im Stilmix aus Neobarock, Jugendstil und Gotik errichtete Gebäude des damaligen Land- und Amtsgerichtes (heute: Amtsgericht Mitte) dominierte das Areal in architektonischer Hinsicht.
Das Bauwerk war einst das zweitgrößte Bauwerk der Stadt, nur übertroffen vom nicht weit entfernten Stadtschloss. Das Gebäude wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, um die gesamten Zivilabteilungen des Landgerichts sowie des Amtsgerichts Berlin aufzunehmen.
Der ursprüngliche Haupteingang befand sich an der Grunerstraße
Der ursprüngliche Eingang zum Landgericht befand sich in der Grunerstraße 8, der zum Amtsgericht in der Neuen Friedrichstraße 17 (heute Littenstraße). Der Bau entstand auf einem Grundstück, das bereits dem Fiskus gehörte.
An der Ostseite wird das Grundstück heute begrenzt von der Trasse der Stadtbahn (wo derzeit der Neubau des Umspannwerks Mitte entsteht), an der nördlichen Schmalseite von der Grunerstraße und im Westen von der heutigen Littenstraße. Nach Süden war der Rest des Straßenblocks bis zur Voltairestraße für eventuelle künftige Erweiterungsbauten vorgesehen.
Ehemaliges Landgericht: Blockrandbebauung mit vier Innenhöfen
Die Struktur des Gebäudes lässt sich als Blockrandbebauung mit vier innen liegenden Querflügeln beschreiben. Dabei waren einzelne Flügel beziehungsweise Verbindungstrakte so angeordnet, dass insgesamt zwölf größere und kleinere Innenhöfe entstanden.
Der heutige, repräsentative Haupteingang des viergeschossigen Putzbaus befindet sich an der Littenstraße, in dem ursprünglichen Mitteltrakt der Gesamtanlage, der erst als zweiter Bauabschnitt errichtet wurde. Durch die Zerstörungen der Bombardements im Zweiten Weltkrieg und des Abrisses in den 1960er Jahren wurde letztlich der einstmals prachtvollste Teil des Gebäudes unwiderruflich zerstört.
Wichtige Teile des historischen Gebäudes sind erhalten geblieben
Erhalten geblieben ist bis heute aber das Haupttreppenhaus sowie die historische Eingangshalle, die von der Littenstraße aus betreten werden kann. Diese beeindruckenden Bauwerke zeugen von der einstigen Schönheit des Gebäudes, die zumindest teilweise erhalten und rekonstruiert werden konnte. Die überdimensionierte Grunerstraße ist in ihrer Ausdehnung der 1960er Jahre mittlerweile Geschichte, zumindest in großen Teilen. Die Auswirkungen ihres Vortriebs mitten durch die einstige Berliner Altstadt werden aber noch für lange Zeit sichtbar bleiben.
Und der Wiederaufbau des Molkenmarkts? Das Großprojekt kommt, wenn auch mühselig, Schritt für Schritt voran. Im ersten Schritt sollen im sogenannten „Häuserblock B“, einem Teilprojekt des gesamten Bauvorhabens, 140 Wohnungen entstehen. Von diesen Wohnungen werden zirka 50 Prozent durch Fördergelder mitfinanziert werden. Die WBM, als Auftraggeber und Bauherr und übrigens auch als Eigentümerin des Nikolaiviertels, investiert in beiden Häuserblöcken A + B, die gegenüber der Rückseite der Rathauspassagen liegen, insgesamt 220 Millionen Euro.
Quellen: Dissertation Dr. Benedikt Goebel, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum, Bezirksamt Mitte, berlin.de
Wieder was gelernt… Ich hatte mal die Abfolge der größten Berliner Gebäude in dieser Reihenfolge im Kopf: 1. Stadtschloss, 2. Reichstag, 3. Rote Burg (Polizeipräsidium) auf der anderen Seite der Bahntrasse… Da kam das Amtsgericht gar nicht vor.