Berlins Verkehrspolitik am Scheideweg: Statt nachhaltiger Mobilität setzt der Senat auf Kürzungen und fragwürdige Großprojekte. Eine ehrliche Diskussion über die Zukunft des Stadtverkehrs ist längst überfällig, meint Gabi Jung, Geschäftsführerin des BUND Berlin.
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Gastbeitrag von Gabi Jung, Geschäftsführerin BUND Berlin
Sparen, bis nicht mal mehr was quietscht: Der Senat will das Verkehrsangebot der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bis mindestens 2029 nicht ausbauen. Das legen zumindest jüngste Presseberichte nahe – und es passt zu wiederkehrenden Aussagen von Koalitionspolitikern, dass in den Verkehrsverträgen des Landes Berlin erhebliche Summen gekürzt werden sollen.
Doch öffentlich wird bisher nur von einer nötigen Stabilisierungsphase bei der BVG bis Ende 2027 gesprochen. Deshalb hat Berlin eine öffentliche Diskussion verdient, was mit den weniger werdenden Haushaltsmitteln in den nächsten Jahren noch finanziert werden kann. Beide bisher amtierenden CDU-Verkehrssenatorinnen der aktuellen Koalition haben gerne den Begriff Priorisierung in den Mund genommen.
Doch bei ihnen meinte er bisher vor allem Streichung oder eine möglicherweise endlose Verschiebung von Vorhaben, die den Stadtverkehr nach vorne bringen würden. Radwege, Kiezblocks oder wichtige Straßenbahnstrecken werden in immer neue Prüfschleifen geschickt – oder die Mittel für die Umsetzung werden gestrichen. Dabei wird stets beteuert, das Miteinander der Berlinerinnen und Berliner im Verkehr fördern zu wollen („Jeder muss seinen Platz haben“).
Wie es nun aussieht, ist damit offenbar das viel zu enge Miteinander wildfremder Menschen in den oft überfüllten Verkehrsmitteln der BVG gemeint. Seit Antritt dieser Koalition gab es viele wohlige Worte und oft trotzige Taten – anscheinend soll nun auch noch beim Ausbau des BVG-Angebots die Axt angelegt werden.
Eine ehrliche Diskussion würde Folgendes ergeben: Vor allem der Ausbau sicherer Fahrrad- und Fußverkehrs-Infrastruktur, ein echter Vorrang für Tram und Busse sowie der zügige Ausbau des Straßenbahnnetzes könnten stadtweit die Mobilitätssituation schnell verbessern. Die BVG wäre dann in der Lage, selbst mit weniger Personal und Fahrzeugen mehr Leistung zu erbringen. Darüber müsste bei einer Diskussion über die künftige Finanzierung der BVG gesprochen werden.
Doch statt tiefhängende Früchte zu ernten, versteigt sich die Koalition zu unfinanzierbaren U-Bahn-Träumen mit Jahrzehnte währenden Realisierungszeiten. Einer der absurden Höhepunkte ist die angedachte Verlängerung der U8 ins Märkische Viertel. Hierfür liegt derzeit keine Genehmigungsplanung vor, und eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ist noch nicht einmal beauftragt; es gibt aber bereits einen gesetzten Termin für den ersten Spatenstich. Ganz zu schweigen von den Magnetbahnfantasien, die ohne Machbarkeitsuntersuchung in einen ominösen Masterplan ÖPNV 2030 einfließen sollen.
Dagegen ist trotz mehrfacher Ankündigung nichts Konkretes zu einer Erhöhung der Gebühren für Anwohnenden-Parkausweise zu vernehmen. Die CDU-Fraktion hatte die Vorlage eines Konzepts für diesen Sommer angekündigt – inzwischen haben wir Herbst. Stattdessen wurde an der Kantstraße ein Schmierentheater zu einem vorgeblich die Feuerwehr behindernden Radweg aufgeführt. Es waren die dort parkenden Autos, die im Zweifelsfall das Hindernis für Rettungsfahrzeuge darstellten.
Zuvor wurden unter tätiger Mithilfe der SPD-Innensenatorin Poller als Gefahr für zügige Feuerwehreinsätze ausgemacht. Kaum gewürdigt worden sind dabei Aussagen der Feuerwehr, dass vor allem falsch parkende Autos Einsätze behindern.
Dabei stimmen die Berlinerinnen und Berliner bei der Mobilität seit Jahren mit den Füßen ab. Der Autoverkehr ist rückläufig, der Radverkehr nimmt zu. Die Fahrgastzahlen in Bahnen und Bussen steigen seit der tiefen Corona-Delle ungebrochen – trotz des instabilen und teilweise nicht mehr attraktiven Angebots. Eine Entwicklung, die Berlin lebenswerter und klimaschonender macht. Der Senat könnte diese Entwicklung fördern und so auch erhebliche Kosten für die Allgemeinheit sparen: Unfallkosten, Gesundheitskosten wegen Lärm und Luftschadstoffen, Kosten für den Straßenunterhalt – und nicht zuletzt die Kosten für die erheblichen Umweltschäden, die der derzeitige Mobilitätsmix verursacht.
Quelle: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Der Text war ursprünglich im Tagesspiegel veröffentlicht worden