Das Viktoria-Quartier in Berlin-Kreuzberg verbindet Berlins industrielles Erbe mit zeitgenössischen Nutzungskonzepten. Aus der ehemaligen Schultheiss-Brauerei ist heute ein gemischt genutztes Wohn-, Gewerbe- und Kulturareal geworden. In dem mittlerweile vollendeten Ensemble verschmelzen denkmalgeschützte Brauereibauten mit moderner Architektur.

Viktoria-Quartier in Kreuzberg: Ende der 1990er Jahre begann dann die schrittweise Transformation des einstigen Schultheiss-Brauereigeländes. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

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Text: Björn Leffler

 

Das bemerkenswerte Viktoria-Quartier in Berlin-Kreuzberg ist ein markantes Beispiel für den urbanen Wandel, der in der Hauptstadt in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden hat. Gelegen am südlichen Rand des Viktoriaparks, erstreckt sich das Quartier auf dem ehemaligen Gelände der Schultheiss-Brauerei.

Die historische Bedeutung dieses Gebiets ist eng mit der Industrialisierung Berlins im 19. Jahrhundert verbunden, als die Brauerei ab 1862 ihren Betrieb aufnahm und für Jahrzehnte einer der größten Bierproduzenten der wachsenden Metropole war. Besonders bekannt war der Gotische Saal, Berlins damals größter Veranstaltungssaal.

Die Schultheiss-Brauerei im 19. Jahrhundert: Industrielles Zentrum in Kreuzberg

In den Jahren wischen 1862 und 1873 entstand auf dem Gelände eine beeindruckende Brauereianlage mit mehreren Gebäuden, die im neogotischen Stil errichtet wurden. Die Brauerei war zu ihrer Zeit nicht nur ein Produktionsstandort, sondern auch ein sozialer Treffpunkt. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Viktoria-Quartier zu einem wichtigen Bestandteil der Berliner Industriegeschichte, bevor der Brauereibetrieb Mitte des 20. Jahrhunderts eingestellt wurde.

Ende der 1990er Jahre begann dann die schrittweise Transformation des Brauereigeländes. Unter der Federführung des kalifornischen Architekten Frederick Fisher wurde das Viktoria-Quartier zu einem modernen Wohn- und Gewerbegebiet umgestaltet. Dabei wurde großer Wert auf die Erhaltung der historischen Bausubstanz gelegt.

Ab 1999 begann die Umgestaltung des historischen Brauerei-Areals

Alte Backsteinfassaden und Brauereigebäude wurden saniert und in luxuriöse Wohnungen, Lofts und Büroflächen umgewandelt. Die modernen Wohnungen und Lofts bieten nicht nur exklusiven Wohnkomfort, sondern auch eine einzigartige Kombination aus Geschichte und zeitgenössischer Architektur. Die Nähe zum grünen Viktoriapark und der ruhige Charakter des Quartiers machen es zu einer kleinen “Oase” mitten in der pulsierenden Hauptstadt.

Kritiker bemängeln jedoch, dass das ursprüngliche Konzept zur Umwandlung des Geländes einen deutlich kulturorientierteren Ansatz hatte, doch im Lauf der Jahre wurden dann mehr und mehr hochwertige Eigentumswohnungen auf dem Gelände entwickelt. Neben der Sanierung der alten Bauten wurden auch mehrere moderne Neubauten in das Quartier integriert.

2001: Zwischenzeitlicher Baustopp und Insolvenz von Investoren

Am 24. Juni 1999 wurde der Grundstein für das Viktoria-Quartier gelegt, mit einer geplanten Investition von rund 300 Millionen Mark (heute ca. 240 Millionen Euro). In den folgenden Jahren entstanden Wohnungen, Penthouses, Lofts, Büros und Ateliers. Das Quartier Schmiedehof wurde 2001 fertiggestellt, das Park Quartier folgte, bis der Bau durch die Insolvenz der Investoren gestoppt wurde. Gründe dafür waren unerwartete Mehrkosten und Probleme beim Immobilienverkauf.

2002 übernahm die Berliner Niederlassung des Münchener Baukonzerns Baywobau das Projekt. Nach Verzögerungen begannen die Bauarbeiten 2004 erneut, und es wurden Stadthäuser und Wohnungen rund um einen Weinberg errichtet. Der Bauabschnitt Brauhofgarten mit 145 Wohnungen wurde von 2008 bis 2012 realisiert, gefolgt vom Tivoli Karree ab 2011.

Parallel erfolgten ab 2011 umfangreiche Sanierungen der historischen Gebäude, die als Central Park Living und KesselhausQuartier bekannt geworden sind. Die Bauarbeiten, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Bauträgern, wurden schließlich 2016 abgeschlossen, nach insgesamt über 17 Jahren.

Spannende Verschmelzung von historischer und zeitgenössischer Architektur

Das Park Quartier und der Brauhofgarten sind Beispiele für moderne Wohnkomplexe, die das städtebauliche Erbe mit zeitgemäßen Architekturformen verbinden. Die neuen Gebäude zeichnen sich durch klare Linien und großzügige Fensterfronten aus, die einen Kontrast zu den historischen Strukturen bieten, ohne dabei störend zu wirken.

Die Mischung aus historischem Charme und modernem Komfort zieht nicht nur Bewohner an, sondern hat auch dazu beigetragen, das Viertel zu einem beliebten Ziel für Architekturinteressierte und Touristen zu machen, die über das öffentlich zugängliche Gelände spazieren können.

Erhalt und Entwicklung des Viktoria-Quartiers: Vorbild für urbane Sanierung oder falsche Schwerpunkte?

Für die Bewohnerinnen und Bewohner bietet das Quartier eine hohe Lebensqualität durch die ruhige Lage nahe dem Viktoriapark und die gute Anbindung an die pulsierende Berliner Innenstadt. Das Viktoria-Quartier steht exemplarisch für den nicht immer einfachen Spagat zwischen der Bewahrung historischer Bausubstanz und moderner Stadtentwicklung.

Die Revitalisierung des Brauereigeländes hat gezeigt, wie denkmalgeschützte Gebäude in ein zeitgemäßes Nutzungskonzept eingebunden werden können, ohne ihre historische Identität zu verlieren – aber auch, welche Fallstricke bei der Umwandlung eines so großen und historisch geschützten Geländes warten können. Das Quartier ist auf der einen Seite ein eindrucksvolles Beispiel für Berlins städtebaulichen Wandel und die kontinuierliche Anpassung an moderne Bedürfnisse, ohne dabei den historischen Charme zu verlieren.

Das Kreuzberger Viktoria-Quartier ist keine zweite Kulturbrauerei geworden

Andererseits ist durch den hohen Anteil hochwertiger und teurer Wohnungen die ursprünglich gewollte Mischung verschiedener Nutzungen und eine intensive Belebung des Quartiers in gewisser Hinsicht auch verfehlt worden, wie sie etwa in der vergleichbaren Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg zu finden ist.

Im verkehrsumtosten Stadtraum zwischen Platz der Luftbrücke, Mehringdamm und Dudenstraße ist das Quartier trotzdem eine willkommene Abwechslung und aufgrund seiner vielfältigen und bemerkenswerten Architektur ein städtebauliches Highlight, welches es in dieser Form in Berlin nur selten gibt.

 

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Quellen: Architektur Urbanistik Berlin, Wikipedia, friedrichshain-kreuzberg-online, Baywobau