Das Mobilitätsbarometer 2022, herausgegeben von “Allianz pro Schiene”, dem “BUND” und dem “Deutschen Verkehrssicherheitsrat”, bescheinigt Berlin eine gute Anbindung seiner Bürgerinnen und Bürger an den ÖPNV, legt jedoch auch diverse Missstände offen: Der “BUND Berlin” sieht dringenden Handlungsbedarf der Stadtverwaltung im Zuge der Mobilitätswende.
© Fotos: depositphotos.com / BVG
Text: Michael Klotz
Im Auftrag von Allianz pro Schiene, dem BUND und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat hat das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Oktober 2022 rund 2.000 Bürgerinnen und Bürger über 14 Jahren zu ihrer Zufriedenheit mit der ÖPNV-Anbindung und dem Sicherheitsgefühl im Rad- und Fußverkehr an ihrem Wohnort befragt.
Die unterschiedliche Struktur und Größe der einzelnen deutschen Bundesländer führt in der Bereitstellung und Organisation des ÖPNV zu ganz unterschiedlichen Herausforderungen, deswegen lässt sich Berlin mitunter nur bedingt mit Flächenstaaten wie Bayern oder Niedersachsen vergleichen, jedoch zeigt der Blick auf die beiden anderen Stadtstaaten – Bremen und Hamburg – dass Verbesserungen durchaus möglich sind.
MOBILITÄTSBAROMETER: NUR JEDE*R DRITTE ZUFRIEDEN MIT ANBINDUNG AN WOHNORT
Während in der Hauptstadt rund 93 Prozent der Menschen die Frage, ob sie sich an ihrem Wohnort gut angebunden fühlten, mit “Ja” beantworteten, waren es in Hamburg 95% und in Bremen sogar 98%.
Der bundesdeutsche Vergleich zeigt allerdings, dass die Stadtstaaten und damit auch Berlin in dieser Kategorie weit über dem Durschnitt liegen. Im “Schlusslicht” Mecklenburg-Vorpommern sind nur 44 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger zufrieden mit der Anbindung an ihrem Wohnort.
Im Durchschnitt ist jede und jeder dritte Deutsche unzufrieden mit der Erreichbarkeit von Bus und Bahn am jeweiligen Wohnort.
Laut Martin Schlegel, Mobilitätsexperte beim BUND Berlin, wurden in Berlin vor allem zu geringe Taktdichten bei Bus und Bahn kritisiert.
“BUND”: In Berlin fehlen Kapazitäten zur Umsetzung der ambitionierten Ziele
Schlegel erklärt, dass Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch zwar bereits Verbesserungen, unter anderem den sogenannten Hauptstadttakt, angekündigt habe, dieser jedoch aufgrund zu geringer Kapazitäten noch nicht realisiert wurde.
Das Projekt sieht die Einführung einer Mindestdichte an Abfahrten alle zehn Minuten auf Linien auch außerhalb des Zentrums vor. Hindernisse seien dabei aber nicht nur der deutliche Fahrzeugmangel bei den U-Bahnen aufgrund jahrelang verschleppter Beschaffungen, sondern auch das fehlende Fahrpersonal bei Bus und Straßenbahn.
“HAUPTSTADTTAKT”: Probleme AUFGRUND VON FAHRZEUG- UND PERSONALMANGEL
Auch wenn nun bereits neue U-Bahnen bestellt wurden, müsse Schlegel zufolge noch mehr getan werden als bisher. Für ihn ist klar, dass wichtige Prozesse weiterhin zu lange dauern: Der dringende Ausbau des Straßenbahnnetzes beispielsweise, aber auch die Beschleunigung von Tram und Bus durch getrennte Spuren und Vorzugsbehandlungen an Ampeln. Dadurch sei das Angebot in Berlin insgesamt nicht zuverlässig genug.
Die sich abzeichnende Einführung des 49-Euro-Tickets lässt den Handlungsbedarf noch dringender erscheinen. Die erwartete Mehrauslastung des ÖPNV sei nur durch eine Ausweitung des Angebots zu bewältigen.
Aufgrund der langwierigen Unterfinanzierung und des Fachkräftemangels werde dies allerdings nur machbar sein, sollten Straßenbahn und Bus “konsequent bevorrechtigt” werden, da so bei “gleichem Personal- und Fahrzeugaufwand mehr Leistung” angeboten werden könne.
RADFAHREN: SICHERHEITSGEFÜHL IN BERLIN IN DEN LETZTEN FÜNF JAHREN GESTIEGEN
Neben dem ÖPNV ging es den Auftraggebern des Mobilitätsbarometers auch darum, das Sicherheitsgefühl der Deutschen beim Fuß- und Radverkehr zu messen. Auf die Frage, ob ihnen ausreichend sichere Radwege zu Verfügung stehen würden, antworteten nur 40 Prozent der Berlinerinnen und Berliner mit einem klaren “Ja”.
Bemerkenswert dabei ist jedoch, dass fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) angab, sich im Vergleich zur Situation vor fünf Jahren deutlich sicherer zu fühlen.
“BUND BERLIN”: ÖPNV kann mit gutem Angebot RÜCKGRAT DER MOBILITÄTSWENDE WERDEN
Als Argumente für das verstärkte Sicherheitsgefühl führt Martin Schlegel dabei unter anderem die während der Pandemie eingerichteten Pop-Up-Radwege sowie die Ausweisung zusätzlicher Fahrradstraßen und weiterer Verkehrsberuhigungen seit Beginn der Koalitionsarbeit von SPD, Grünen und Linken ab 2016 an.
Der BUND sieht nun den Berliner Senat in der Verantwortung, Druck auf Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auszuüben, um eine “echte Reform des Straßenverkehrsgesetzes” umzusetzen. Denn für die Experten vom BUND ist klar: “Nur mit einem guten Angebot kann der ÖPNV zum Rückgrat der Mobilitätswende werden.”
Diese Anforderung an den Senat dürfte jedoch nicht leicht zu erfüllen sein, da sich Berliner Senat und Bundesverkehrsministerium schon heute in entscheidenden Fragen der Verkehrsplanung in Berlin vollkommen uneins sind – unter anderem beim geplanten Weiterbau der Autobahn A100 bis zur Storkower Straße.
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2. November 2024