Illustration: Lucia Bontjer
Text: Björn Leffler
Der Buchladen
Berlin, im September 1999
Es ist ein toller Buchladen. Nicht sofort zu erkennen, wenn man den zweiten Hof betritt. Flankiert wird er von einem dezenten Café, nicht ganz so touristenumsäumt wie die Cafés im ersten Hof. Ich sitze da gerne. Oft komme ich mir dann vor, als wäre ich in eine alte schwarz-weiß Fotographie gefallen, was wohl an der elegant farblosen Gestaltung im zweiten der neun Hackeschen Höfe liegt. Selbst die Bücher im Schaufenster des kleinen Buchladens sind zumeist mit schwarz-weißen Titeln versehen.
Die Postkarte hatte ich auf einem der außenstehenden Kartenständer gefunden. Es war die letzte, welch Glück. Ich habe das Bild schon oft gesehen, aber irgendwie hatte ich immer versäumt, es mir mal zu kaufen. Vielleicht wollte ich es versäumen. Wer weiß. Er hätte dir gefallen, dieser Buchladen. Mit vielen kleinen, verwinkelten Ecken. Und so manches Mal finde ich noch Bücher, die wir uns damals schon immer stundenlang angesehen haben. Weißt du noch, in der Mauerstraße, in diesem herrlichen Eckhaus an der Leipziger Straße. Und von der gegenüberliegenden Häuserkante sahen die drei steinernen Hünen auf uns herab, die Weltkugel auf ihren Schultern tragend. Ich weiß es noch genau. Und fast immer saßest du vor demselben Buch, dem mit Marlene. Sie faszinierte dich. Gekauft hast du es nie. Gekauft haben wir immer nur Postkarten, um den dicken Verkäufer zu besänftigen. Weißt du noch? Ihm fehlte ein Auge.
Die Fotografie auf der Postkarte musste aus der Luft gemacht worden sein. Sie zeigte den kreisrund angelegten Platz vom Südwesten aus. Es gab so viele schöne Plätze damals, sicherlich. Der Leipziger Platz hatte Flair, der Lustgarten vorm Schloss oder der Viktoria-Luise-Platz, sicherlich. Aber hier hatten wir am liebsten gesessen, hier war es meist verhältnismäßig ruhig. Wir hatten den jungen Fräuleins schöne Augen gemacht und uns hin und wieder durchgerungen, der ein oder anderen Dame hinterher zu pfeifen. Stehengeblieben ist freilich nie eine. Aber schon ein Lächeln konnte den Tag retten. Erinnerst du dich an die steil, aber dennoch filigran aufragenden Häuserwände, die den adrett gepflegten Platz umgaben? Eine kreisrunde Fassadenwand, in der sich Barock, Renaissance und Klassizismus im Wettstreit vereinten.
Oft lagen wir Stunde um Stunde in der warmen Frühlings- oder der schwachen Herbstsonne. Und lasen. Döblin hast du geliebt. Manchmal sogar Schiller, obwohl du kaum zwanzig warst. Später haben sie die Fassaden dann mit ihren grellen, roten Fahnen vollgegangen. Weißt du noch, wie sie länglich herunterhingen, fast drohend. Oder interpretiere ich das jetzt hinein? Uns störte jedenfalls, dass es die elegante Fassadenstruktur störte.
Du müsstest den Platz heute sehen. Oder siehst du ihn? Er ist noch immer kreisrund. Und in der Mitte thront noch immer der in die Ferne spähende, seine Flügel ausbreitende Engel auf der bronzefarbenen Statue im Brunnen. Der aber ist trocken. So trocken wie die Fassaden der Häuser. Da ist nichts, Peter, nichts. Die reine Funktionalität. Weißt du noch, wie uns damals das aufkeimende Bauhaus ein Dorn im Auge war? Ich glaube, heute würde ich mich darüber gar noch freuen können. Sie haben ihn zerstört, Peter. Erst die Bomber und dann die, die diese Häuser bauten.
Mittlerweile trage ich diese Karte schon eine Weile mit mir herum. Sie ist ein wenig genickt, und an den Ecken franst sie bereits etwas aus. Irgendwie gefällt es mir, das abgenutzte. Oft sitze ich hier, am Platz, und vergleiche. Obwohl es nicht viel zu vergleichen gibt. Aber du kennst mich. Stell dir vor, ein paar Schritte weiter haben sie eine Bibliothek gebaut. Sie ist wahrscheinlich zu schlicht, um dir gefallen zu können. Aber innen drin ist es gemütlich. Sie hat ihre Nischen, doch. Ich hatte extra nachgefragt, gleich beim ersten Mal. Sie haben dein Buch im Bestand. Aber es war gerade ausgeliehen. Nun warte ich.
Der zweite Teil der Serie wird am Dienstag veröffentlicht.
Die Illustrationen zur Geschichte sind von Lucia Bontjer. Mehr über Lucia erfahrt Ihr hier.
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