An der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln wird derzeit ein 1970 errichtetes, ehemaliges Kaufhaus umgebaut und mit einem neuen Nutzungskonzept versehen. Mit Hans Stier vom Projektentwickler MREI konnten wir zu dem bemerkenswerten Transformationsprojekt sprechen.

So soll das künftige “Kalle Neukölln” von außen aussehen. Die ersten Mieter für das ambitionierte Transformationsprojekt in der Neuköllner Karl-Marx-Straße konnten bereits gewonnen werden. / © Visualisierung: MREI

© Fotos und Visualisierungen: MREI
Interviewpartner: Björn Leffler, Hans Stier

 

Für viele klassische Warenhäuser gibt es mittlerweile aufwendige Umbauprojekte, welche die Bausubstanz zwar erhalten, das Nutzungskonzept aber tiefgreifend verändern sollen. Ein solches Projekt ist das “Kalle Neukölln” genannte Vorhaben, welches in der Neuköllner Karl-Marx-Straße umgesetzt wird.

Das Projekt hat bereits bundesweit für Aufsehen gesorgt, da es als eines der ersten Bauvorhaben die Umnutzung bisheriger Warenhäuser völlig neu gedacht hat. Wir konnten mit Hans Stier vom verantwortlichen Projektentwickler MREI dazu sprechen.

Im Interview mit Hans Stier von MREI

ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN: Sehr geehrter Herr Stier, vielen Dank erst einmal, dass Sie uns Ihre Zeit für ein Interview widmen. Zu Beginn des Interviews würden wir gern kurz erfahren, wofür Ihr Unternehmen steht und welchen Fokus sie im Rahmen Ihrer Projekte legen.

Hans Stier: Bei MREI entwickeln wir gewerbliche und wohnwirtschaftliche Immobilienprojekte. Häufig liegt der Fokus auf dem Einzelhandel, den wir durch Wohn- und Büroflächen ergänzen. Wir kümmern uns um Neubauprojekte und auch um sehr alte bzw. unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Und dabei übernehmen wir die komplette Bandbreite – vom Erwerb über die Vermarktung und den Umbau bis hin zur Verwaltung. Für jeden Standort ist es unser Anspruch, ein individuelles Konzept zu kreieren, das sich zeitlos in die Umgebung einfügt.

Das Projekt “Kalle Neukölln” hat sehr viel früher das Potenzial einer Gebäude-Transformation bestehender Bestandsbauten anstelle eines vollständigen Abrisses und Neubaus erkannt. Mittlerweile gilt dieser Ansatz als das Modell der Stunde. Wie kam es zu diesem Ansatz?

Die Idee, den gesamten Komplex abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, stand bei uns nur ganz kurz im Raum. Wahrscheinlich wäre es die einfachere Option gewesen, sowohl aus bautechnischer Sicht als auch aus wirtschaftlicher. Letztendlich haben wir uns für eine Revitalisierung entschieden – „nicht, weil es einfach ist, sondern weil es schwer ist“, wie Kennedy mal gesagt hat. Wir wollten nicht wie ein Fremdkörper, wie ein UFO im Viertel landen, sondern das Gebäude einer modernen Nutzung zuführen. Und dafür waren wir auch bereit, einen komplizierten Weg einzuschlagen, der letztlich interessanter und nachhaltiger ist. Und wir können jetzt schon sehen, dass es sich gelohnt hat.

“Wir wollen der Gegend ein wenig neues Leben einhauchen, ohne dem Viertel die Seele zu stehlen.”

Die Nutzung des “Kalle Neukölln” wird ja durchweg gewerblich sein, es werden vorwiegend Büroräumlichkeiten entstehen. Wie wollen Sie es bewerkstelligen, dass in der zukünftigen Immobilie trotzdem Leben und Dynamik einkehrt, vor allem in den Zeiten, wo die Büros nicht besetzt sind?

Große Flächen im “Kalle Neukölln” stehen auch der Öffentlichkeit jederzeit zur Verfügung. Sei es der Foodcourt, den wir “Kalle Halle” nennen, oder der Bereich “Kalle Live”, wo Release-Parties von Rough Trade und Konzerte, auch Messen oder Corporate Events, stattfinden können. Ein besonderes Highlight ist der Dachgarten, wo zwei Restaurants einziehen sollen. Über 500 Sitzplätze werden wir zur Verfügung stellen. Zusätzlich soll es Gewächshäuser und sogar einen Pool geben, insgesamt können sich rund 1.700 Menschen zur gleichen Zeit auf dem “Kalle” aufhalten. Quasi eine Oase über den Dächern Neuköllns. Kurzgesagt: Im “Kalle” wird für alle etwas dabei sein.

Welche Rolle hat das Umfeld – die Karl-Marx-Straße in Neukölln – bei der Konzeption des zukünftigen Gebäudetyps gespielt?

Eine große. Die Karl-Marx-Straße ist die zentrale Einkaufsstraße in Neukölln und eine der größten Berlins. Es gibt sie seit rund 400 Jahren, auch wenn sie im Laufe der Zeit verschiedene Namen hatte. Beim “Kalle” haben wir deshalb darauf geachtet, dass sich das Gebäude harmonisch in diese Highstreet integriert und das Straßenbild ergänzt, und eben nicht heraussticht. Wir wollen der Gegend ein wenig neues Leben einhauchen, ohne dem Viertel die Seele zu stehlen.

Was waren die größten Herausforderungen, die Sie während des Bauprojekts zu meistern hatten?

Das war vermutlich das Zusammenwachsen der beiden Bereiche, die wir heute “Dark Knight” und “White Knight” nennen. Im vorherigen Komplex war das Shoppingcenter mit dem Parkhaus verbunden. Heute heben sich diese Bereiche zwar farblich voneinander ab, wirken aber trotzdem wie aus einem Guss. Wir haben die Schnecke, die typische Parkhaus-Auffahrt herausgeschnitten und an dieser Stelle ein Atrium geschaffen, das Licht in alle Etagen wirft. Das war nicht nur eine architektonische Herausforderung, wir mussten auch viel Überzeugungsarbeit leisten, bis alle Genehmigungen vorlagen.

“Ein besonderes Highlight ist der Dachgarten, wo zwei Restaurants einziehen sollen. Über 500 Sitzplätze werden wir zur Verfügung stellen. Zusätzlich soll es Gewächshäuser und sogar einen Pool geben.”

Welches sind die letzten Schritte auf dem Weg zur Inbetriebnahme des “Kalle Neukölln”? Wird es eine große Eröffnungsfeier oder dergleichen geben?

Wir planen eher ein Soft Opening. Zwischendurch wird es immer wieder kleinere Eröffnungen geben, im April hat beispielsweise der Plattenhändler Rough Trade sein erstes Geschäft auf dem europäischen Festland in unserem Haus eröffnet. Andere Mieter verpassen ihrer Fläche gerade den letzten Schliff. Bei den Umbauarbeiten gibt es hier und da noch etwas zu tun, etwa bei der Dachterrasse, aber die größten Hürden konnten wir beseitigen. Außerdem führen wir noch Gespräche mit potentiellen Mietern, um ihre Bereiche nach ihren Wünschen anzupassen. Insgesamt liegen wir gut im Zeitplan und können es kaum erwarten, das “Kalle” für alle zu öffnen.

Sehr geehrter Herr Stier, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung des Projekts.

 

Weitere Bilder zum Projekt gibt es hier: 

© Visualisierung: MREI

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