An der Warschauer Brücke in Friedrichshain soll ein neues Hochhaus entstehen – doch über das Projekt ist ein politischer Streit entbrannt. Während der Bezirk auf ein deutlich kleiner dimensioniertes, reines Gewerbeprojekt setzt, favorisiert der Senat den Bau des Hochhauses mit 30 Stockwerken und Platz für bis zu 500 Wohnungen. Direkt nebenan soll zudem noch ein weiteres 100-Meter-Hochhaus entstehen.

Der Himmel über Friedrichshain wird neu gezeichnet – mit neuen Hochhäusern, deren Nutzung umstritten ist. Die Frage ist: Soll nur Raum für Gewerbe entstehen oder auch dringend benötigte Wohnungen? / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
© Visualisierung Titelbild: Kurth Real Estate / Holzer Kobler Architekturen, mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten
© Visualisierung „Tamara-Danz-Höfe“: Atrium Development Group GmbH
© Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT
In einer traditionell eher flachen Stadt wie Berlin wird – ebenfalls fast schon traditionell – über Sinn und Unsinn des Baus von Hochhäusern diskutiert. Hochhausprojekte werden von vielen Architekten und Stadtplanern als möglicher Ausweg aus der zunehmenden Flächenknappheit gesehen, die den Bau dringend benötigter Wohnungen immer schwieriger macht.
Andere sehen darin aber vor allem aufgeblasene Immobilien- und Spekulationsobjekte, die alles andere als nachhaltig sind, vor allem während der Bauphase, die naturgemäß einen erheblichen CO2-Fußabdruck hinterlässt.
Friedrichshains neues Wahrzeichen? Hochhaus „EDGE East Side“
Eines der am heißesten diskutierten Hochhausprojekte Berlins war der Bau des Gebäudes „EDGE East Side“, welcher in den vergangenen Jahren an der Warschauer Straße in Friedrichshain entstanden ist. Vor allem in den umliegenden Quartieren selbst wird der mittlerweile zumindest äußerlich fertiggestellte Neubau äußerst kritisch gesehen.
Denn das dominante Gebäude wird künftig vollständig als Gewerbeimmobilie genutzt, Hauptanker ist das US-Unternehmen amazon. So wurde das Gebäude zumindest in den unteren Etagen bereits mehrfach beschmutzt und mit Farbe beschmiert.
Warschauer Brücke in Friedrichshain: Zwei weitere Hochhausprojekte in Vorbereitung?
Doch das „EDGE East Side“ wird aller Voraussicht nach nicht das einzige Hochhaus rund um die Warschauer Brücke bleiben, denn derzeit werden zwei weitere Hochhausprojekte in Angriff genommen – auch wenn sich die politischen Institutionen dazu nicht ganz einig sind.
Am konkretesten sind die Planungen für ein 100-Meter-Hochhaus, welches auf dem Gelände des heutigen RAW-Geländes entstehen soll. Der Grundstückseigentümer, die Kurth-Gruppe, erhielt vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bereits im Jahr 2019 einen Aufstellungsbeschluss für die Errichtung von Gewerbebauten – unter Berücksichtigung gemeinwohl- und kulturorientierter Elemente.
RAW-Gelände: Ein neues 100-Meter-Hochhaus soll Herzstück des Areals werden
Dieser über mehrere Jahre anhaltende Prozess kam im Frühling 2022 zum Ende. Das Begleitgremium des Projekts hatte damals entschieden, dass sich das Konzept von Holzer Kobler Architekturen (mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten) im Wettbewerb durchgesetzt hat.
Florian Schmidt, Bezirksstadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und Gremiumsmitglied, zeigte sich damals zufrieden mit dem Ergebnis: „Der Bezirk begrüßt die Auswahl des Entwurfs von Kobler Holzer Architekten als städtebauliche Grundlage für das anstehende Bebauungsplanverfahren. Dieser Entwurf hat es aus unserer Sicht am besten verstanden, die Ansätze und Zielsetzungen zur Gebietsentwicklung (…) umzusetzen und städtebauliche Angebote zu machen.“
Herzstück des Entwurfs ist ein 100 Meter hohes Gebäude, dessen architektonische Ausgestaltung allerdings noch nicht final ist. Die Gestaltung der einzelnen Gebäude soll in weiteren, einzelnen Architekturwettbewerben definiert werden. Der Großteil der bestehenden Gebäude soll jedoch erhalten bleiben, allerdings werden auch einige Gebäude abgerissen.
Hochhaus statt „Tamara-Danz-Höfe“? Atrium Development Group ändert Pläne
So weit, so bekannt. Zusätzlich zu diesen Planungen ist nun überraschend noch ein weiteres Hochhausprojekt hinzugekommen, welches nach einem Bericht der Berliner Morgenpost von der Atrium Development Group GmbH vorangetrieben wird – und welches Rückendeckung von Bausenator Christian Gaebler (SPD) und dessen Stadtentwicklungsressort hat.
Denn die Atrium Development Group möchte auf einem Grundstück, welches sich quasi direkt gegenüber dem fertigen „EDGE East Side“ befindet, ein weiteres Hochhaus errichten, entgegen ursprünglicher Planungen. Denn das Unternehmen plante ursprünglich den Neubau der „Tamara-Danz-Höfe“ auf einem Parkplatzgelände, welches in den vergangenen Jahren immer wieder für kulturelle Open-Air-Nutzungen umfunktioniert wurde.
„Tamara-Danz-Höfe“ sollten als neues Quartier im Look der Gründerzeithöfe realisiert werden
Als „städtebauliches Scharnier“ zwischen dem subkulturell geprägten RAW Gelände und der kommerziell geprägten Mediaspree sollte auf dem Gelände eine Quartiersentwicklung erfolgen, die den urbanen und kreativen Flair der besonderen Lage aufgreifen und erlebbar machen sollte. So der ursprüngliche Plan der Projektinitiatoren und auch des Bezirks.
Dabei sollte ein Gebäudeensemble mit Studios, Ateliers, Proberäumen, Plattenläden, Clubs und Gewerbeflächen entstehen. Rund zehn Prozent des Gebäudes sollen dabei für soziokulturelle Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Unter anderem sollte etwa die Kulturraum Berlin GmbH zur gemeinwohlorientierten Kostenmiete einziehen.
Die Architektur der zukünftigen „Tamara-Danz-Höfe“ wollte sich als Hommage an die traditionellen Berliner Gewerbehöfe des 19. Jahrhunderts verstehen, die aus den Etagenfabriken der damaligen Zeit hervorgegangen sind und heute in modernisierter Form zu den begehrtesten Gewerbeobjekten der Hauptstadt zählen.
Neue Pläne für Areal im Rudolfkiez: Atrium Development möchte ein Hochhaus mit 30 Stockwerken errichten
Doch diese Planungen scheinen mittlerweile überholt zu sein, denn die Eigentümer haben dem Bezirk später eine alternative Planung vorgelegt – mit fast doppelter Nutzungsfläche, und deutlich höher als die ursprünglich geplanten sechs Stockwerke der „Tamara-Danz-Höfe“. Geplant ist demnach ein Hochhaus mit über 30 Stockwerken, das eine vielfältige Nutzung vorsieht.
So sollen jeweils 25.000 Quadratmeter für Wohnen und sozialen Wohnungsbau bereitgestellt werden, während 33.000 Quadratmeter Büroflächen vorbehalten sind. Hinzu kommen 10.000 Quadratmeter für ein Hotel sowie 5.000 Quadratmeter für soziokulturelles Gewerbe.
Bezirk will auf dem Areal nur Gewerbe, Senat befürwortet Hochhauspläne und möchte Wohnungen bauen
Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg werden diese Planungen mit Skepsis betrachtet. Denn nach umfangreicher Beteiligung der Anwohnerschaft – darunter Stadtwerkstätten und Onlineformate – wollten Baustadtrat Schmidt und das Bezirksamt den Bereich ausschließlich für Gewerbe entwickeln.
Geplant waren Flächen für Handwerk, urbane Produktion, Kultur, Gastronomie sowie großzügige Grünräume – bei bewusst niedriger Bebauung. Wohnungsneubau war in diesen Planungen hingegen nicht vorgesehen, trotz der vorherrschenden Wohnungsnot vor allem in den Berliner Innenstadtbereichen. Und daran entzündet sich der aktuelle Konflikt zwischen Bezirksamt und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Berliner Senat favorisiert „Kreuzberger Mischung“ – und bis zu 500 neue Wohnungen
Denn die Senatsverwaltung verfolgt ein ganz anders Ziel. Sprecher Martin Pallgen erklärte laut Morgenpost, man strebe ein innerstädtisches Quartier im Sinne der „Kreuzberger Mischung“ an, in dem Wohnen und Arbeiten eng miteinander verzahnt sein sollen.
Dazu gehöre ausdrücklich auch Wohnraum mit entsprechender Infrastruktur – nicht nur gewerbliche Nutzungen, wie es der Bezirk vorsehe. Laut Pallgen könnten an diesem Standort bis zu 500 mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen entstehen.
Senat setzt Bezirk unter Druck und droht, das Verfahren an sich zu ziehen – wieder einmal
Auch Senator Gaebler betont in seiner Weisung, dass dort im Rahmen einer Mischnutzung dringend benötigter Wohnraum geschaffen werden könne – inklusive sozialer Infrastruktur. Der Bezirk solle im laufenden Bebauungsplanverfahren seine Planziele entsprechend anpassen. Sollte Schmidt nicht binnen zwei Wochen mitteilen, dass er der Weisung folgt, werde Gaebler das Verfahren übernehmen.
Die Kommunikation erinnert stark an den ebenfalls schwelenden Konflikt zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sowie dem Senat beim Projekt „Urbane Mitte“ im Gleisdreieckpark. Auch hier stellt sich der Bezirk gegen die vorherrschenden Hochhauspläne, und auch hier hat der Senat bereits einen Teil des Projekts an sich gezogen.
Es ist also durchaus denkbar, dass dies auch beim Bauvorhaben an der Warschauer Brücke geschieht und die Planungen der Atrium Development Group vorangetrieben werden, mit Planungshoheit des Berliner Senats. Dann könnten in den kommenden Jahren auf dem RAW-Gelände und dem Areal an der Tamara-Danz-Straße zwei weitere Hochhäuser im südlichen Friedrichshain entstehen.

Ein Projekt, welches nun nicht realisiert wird? Eine Visualisierung des Gewerbeprojekts „Tamara-Danz-Höfe“. / © Visualisierung: Atrium Development Group GmbH

Geplantes 100-Meter-Hochhaus auf dem RAW-Gelände, in unmittelbarer Nähe zum bestehenden Hochhaus EDGE East Side. / © Visualisierung: Kurth Real Estate / Holzer Kobler Architekturen, mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten

Kommen weitere Hochhäuser hinzu? Das fertige Gebäude „EDGE East Side“ in Friedrichshain. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
Der grüne Punkt markiert das bestehende Hochhaus EDGE East Side, die zwei grauen Punkte zeigen, wo in den kommenden Jahren zwei weitere Hochhäuser an der Warschauer Brücke in Friedrichshain entstehen könnten.
Quellen: Kurth Real Estate, Holzer Kobler Architekturen, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten, Berliner Morgenpost, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
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