In Berlin-Kreuzberg soll die historische Synagoge am Fraenkelufer, die während der Reichspogromnacht im November 1938 weitgehend zerstört wurde, wieder aufgebaut werden. Nach langen Jahren der Vorbereitung wurde nun ein europaweiter Architekturwettbewerb für das Projekt gestartet.
© Visualisierung Neubau der Synagoge: Kilian Enders
© Historische Aufnahmen: Leo Baeck Institue New York / Berlin
Text: Björn Leffler
Bauvorhaben, bei denen historische Gotteshäuser restauriert, wiederaufgebaut oder in ihrer zukünftigen Nutzung vollkommen neu gedacht werden, gehören zu den spannendsten aber auch komplexesten Stadtentwicklungsprojekten in der Hauptstadtregion.
Hierbei können Beispiele wie die Rekonstruktion der Parochialkirche, das Projekt “House of One” am Petriplatz oder der Umbau der St. Hedwigs Kathedrale genannt werden. Auch in Potsdam hat es kürzlich mit der Eröffnung der neuen Synagoge und dem umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche vergleichbare Projekte gegeben.
Lange Vorlaufzeit: Sanierung oder Wiederaufbau historischer Sakralgebäude
Allen Projekten gemein ist die lange Vorlaufzeit, die es benötigt, um solche Projekte, die häufig auf gesellschaftliche Initiativen zurückgehen, letztlich zu realisieren. Auch am Kreuzberger Fraenkelufer soll ein solches Vorhaben umgesetzt werden.
Die Jüdische Gemeinde Berlin plant, das historische Haupthaus der Synagoge neu errichten zu lassen. Wie viele andere Synagogen auch wurde das prachtvolle Gebäude während der Reichspogromnacht im November 1938 stark beschädigt und in weiten Teilen zerstört.
Fraenkelufer in Kreuzberg: Wiederaufbau der historischen Synagoge geplant
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs nutzt die ansässige Gemeinde das schlauchförmige Nebengebäude der einstigen Synagoge als Gotteshaus und Treffpunkt, da dieses in der Pogromnacht nur teilweise beschädigt wurde.
Das Hauptgebäude hingegen war nach den Zerstörungen unnutzbar geworden, wurde erstaunlicherweise aber erst Ende der 1950er Jahre komplett abgerissen. Seit dieser Zeit funktioniert das Nebengebäude als eigentliche Synagoge.
Synagoge in Kreuzberg soll in ihrer ursprünglichen Form errichtet werden
Wie auch beim geplanten Wiederaufbau der Synagoge im Hamburger Grindelviertel soll die einstige Synagoge am Landwehrkanal in ihrer ursprünglichen Form und Ausdehnung wiederaufgebaut werden. Nur die Nutzung soll eine neue sein, denn in dem neuen Gebäude soll ein jüdisches Kulturzentrum entstehen.
Mit dieser Einrichtung möchte die Gemeinde ein Zeichen der Toleranz, des Miteinanders, der Weltoffenheit und des Zukunftsoptimismus senden. Einer der Initiatoren des Projektes ist Dr. Dekel Peretz. Er ist Vorsitzender des Vereins “Jüdisches Zentrum Synagoge Fraenkelufer” und treibt das Vorhaben seit nunmehr fast acht Jahren voran.
Synagoge am Fraenkelufer: Architekturwettbewerb gestartet
Der nächste Meilenstein für das Projekt soll nun mit dem Start des Architekturwettbewerbs genommen werden. Im Rahmen eines europaweiten Wettbewerbs wird nach einer konkreten baulichen und gestalterischen Lösung für ein Projekt gesucht, das ein Gemeinde- und Kulturzentrum sowie eine Kindertagesstätte mit 45 Plätzen umfassen soll.
Der Wettbewerb läuft bis Ende des Jahres, und in der zweiten Januarhälfte 2025 wird eine Jury voraussichtlich den Siegerentwurf auswählen. Engelbert Lütke Daldrup, der ehemalige Flughafenchef, bestätigte dies gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Engelbert Lütke Daldrup fungiert als Baubeauftragter in dem Projekt
Lütke Daldrup übernahm 2022 ehrenamtlich die Rolle des Baubeauftragten und hat seitdem wichtige Planungs- und Genehmigungsschritte erfolgreich begleitet, wie Der Tagesspiegel berichtet.
Zuletzt ging es dabei um ein Bedarfsprogramm, in dem die zuständigen Behörden die geplante Raumstruktur und deren Nutzung bestätigten. Der Prozess wird neben dem Verein auch von einem Kuratorium unterstützt, dem Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angehören. Ein bekanntes Mitglied dieses Gremiums ist Friede Springer, Großaktionärin des Medienhauses Axel Springer.
Wiederaufbau der Synagoge soll bis zu 25 Millionen Euro kosten
Die Initiatoren schätzten die Kosten für den Wiederaufbau von Beginn an auf etwa 20 bis 25 Millionen Euro. Nach Aussage von Lütke Daldrup habe sich an diesem finanziellen Rahmen bislang auch nichts geändert. In verschiedenen Investitionstöpfen des Landes Berlin seien demnach bis zu 24 Millionen Euro für das Vorhaben reserviert, zusätzlich zu eingehenden Spenden.
Lütke Daldrup äußerte die Hoffnung, dass nach Abschluss des Architektenwettbewerbs und weiterer Planungsverfahren die Baugenehmigung im Jahr 2026 erteilt werden könne. Wenn alles optimal verlaufe, könnte gegen Ende 2026 der Grundstein gelegt werden.
Kreuzberg: Grundstein für das Projekt könnte Ende 2026 gelegt werden
Die historische Synagoge entstand von 1913 bis 1916 im klassizistischen Stil nach Plänen von Alexander Beer, dem Baumeister der jüdischen Gemeinde.
Sie bot damals Platz für 2.000 Personen und war damit eine der größten Synagogen der Stadt. Beer ist auch verantwortlich für die jüdische Mädchenschule in der Auguststraße und eine weitere Synagoge in Wilmersdorf, die ebenfalls 1938 beschädigt wurde und komplett niederbrannte.
Synagoge am Fraenkelufer entstand von 1913 bis 1916, mitten im Ersten Weltkrieg
In dem Gebäude am Fraenkelufer (damals Kottbusser Ufer), welches mittelalterliche und barocke Stilelemente vereinte, waren ein Saal für Jugendgottesdienste, die Wochentagssynagoge und Dienstwohnungen untergebracht.
Die heutige jüdische Gemeinde in Kreuzberg verzeichnet seit rund 15 Jahren ein signifikantes Wachstum. Das liegt vor allem an den vielen Juden, die aus dem Ausland hergezogen sind. Sie kamen aus Ländern wie den USA, Ungarn oder Israel, einige auch aus Lateinamerika.
Stetiges Wachstum: Neue Dynamik für jüdisches Leben in Kreuzberg
Das jüdische Leben in Kreuzberg, welches auch während des Zweiten Weltkrieges und der anschließenden Jahrzehnte nie aufgehört hatte, hat vor allem seit der Wiedervereinigung eine ganz neue Dynamik gewonnen.
Der erneut aufkeimende Antisemitismus der vergangenen Jahre wird auch hier mit großer Sorge beobachtet. Umso relevanter wird das Wiederaufbau-Projekt am Fraenkelufer bewertet.
Architekt Kilian Enders zeigt, wie die neue Synagoge aussehen könnte
Ein erster Entwurf des Architekten Dr. Kilian Enders für den Wiederaufbau der Synagoge hatte bereits 2021 gezeigt, wie der Baukörper sich zukünftig in das bestehende Umfeld einfügen könnte und machte die Dimensionen des möglichen Neubaus deutlich.
Wichtig ist dabei aber zu wissen: Die exakte Form und Gestaltung des Gebäudes steht derzeit noch nicht fest. Es soll sich zwar stark am historischen Vorbild orientieren, doch welche Ideen die Architektenteams letztlich einbringen werden, ist noch offen. Auf die Ergebnisse des Architekturwettbewerbs darf man in jedem Fall sehr gespannt sein.
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Quellen: Verein Freunde der Synagoge Fraenkelufer e.V., Leo Baeck Institue New York / Berlin, RBB, Der Tagesspiegel, Visualisierungen Kilian Enders, Jüdische Gemeinde zu Berlin, Deutsche Presse-Agentur
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2. November 2024