Mit der Inbetriebnahme des Flughafens BER hat sich im Metropolgebiet Berlin/Brandenburg eine erhebliche, räumliche Schwerpunktverlagerung in den Südosten der Hauptstadtregion vollzogen. Wir widmen uns der Entwicklung dieser Region in einer mehrteiligen Reihe. Im zweiten Teil der Serie schauen wir auf die aktuelle Verkehrsplanung rund um den BER.
Text: Henriette Schubert
Was viele Stadtplaner und Experten seit vielen Jahren erwartet und prognostiziert haben, hat in den vergangenen Jahren längst eingesetzt: Eine rasante und großflächige Investitions- und Bauentwicklung rund um die Flughafenregion der Gemeinde Schönefeld und der angrenzenden Quartiere auf Brandenburger sowohl auch auf Berliner Seite.
Dieser Entwicklung soll nun auch die Verkehrsplanung für die neue Boom-Region folgen. Mit ihrem Vorstoß zum Ausbau der U-Bahn-Linie U7 sorgte Berlins amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) allerdings für Wirbel. Schnell wurde Kritik laut, sie würde die falschen Prioritäten anlässlich der Anbindung des BER an das Verkehrsnetz setzen und dabei andere, ebenso wichtige Verkehrsprojekte vernachlässigen.
Die IHK Berlin sah bereits vor Jahren einen erhöhten Infrastrukturbedarf
Die Forderungen, die Verkehrssituation und mögliche oder existente Engpässe rund um den BER sowie dessen Umfeld genau zu analysieren, sind nicht neu. Bereits vor einigen Jahren, also noch vor der Eröffnung des Flughafens, widmete sich die IHK dieser drängenden Thematik.
Anlass hierzu gab die positive Entwicklung hinsichtlich des Fluggastaufkommens an den ehemaligen Berliner Flughäfen in Tegel und Schönefeld. Hierdurch wurde deutlich, dass die bisher geltenden Daten auf veralteten und mittlerweile überholten Annahmen beruhen – diese Daten wurden natürlich vor der Corona-Pandemie erhoben.
IHK mahnt zögerliche Verkehrsplanung an
Das Wachstum von Gemeinden und Gewerbestandorten sowie die Eröffnung und das weitere Wachstum des Großflughafens BER werden laut dieser Prognosen die künftige Verkehrssituation herausfordern und stark belasten. IHK-Hauptgeschäftsführer Marcus Tolle betonte unlängst, dass entsprechende Maßnahmen zügig eingeleitet werden müssen.
Planungs- und Realisierungszeiten für Verkehrsprojekte seien zu lang, um weiterhin zögerlich zu handeln. Dabei sei das Beherrschen der Zukunftssituation sehr wichtig, um auch die Wirtschaft in der Flughafenregion zu fördern und zu stärken. Über kurz oder lang werde die sehr dynamische Entwicklung sowohl zu einer Überlastung der Bundesautobahnen führen, als auch zu einer hohen Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel, besonders zu den Spitzenzeiten.
Gute Anbindung von Wohngebieten und Gewerbestandorten muss erreicht werden
Dennoch müsse die Attraktivität des „Boom Korridors Südost“ gestärkt werden. Eine gute Anbindung von Wohngebieten und Gewerbestandorten an das öffentliche Netz sei daher unerlässlich. Bislang übersteige hier die Nachfrage jedoch deutlich die Kapazität.
Der von der IHK aufgestellte Maßnahmenkatalog stellt daher in sechzehn Punkten die wichtigsten Instrumente rund um Straßenverkehr, Regionalbahnen, S- und U-Bahnen sowie den Busverkehr dar.
IHK bewertet Ausbau der U7 als vielversprechendste Maßnahme
Neben Planungen und Fertigstellungen rund um Autobahnanschlussstellen und Ausbauten geht es hier auch um eine Angebotsausweitung des Regionalverkehrs durch eine Taktverdichtung oder größere Fahrzeuge. Vor allem die Linie RE2 ist hiervon in besonderem Maße betroffen. Neben weiteren Ausbauten von Bahnhöfen zählt auch die Verlängerung der U7 bis zum BER zu den vielversprechendsten Maßnahmen.
Im Januar warb Franziska Giffey bei ihrem Antrittsbesuch bei den Berliner Verkehrsbetrieben für den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel und hob dabei die große Bedeutung des Ausbaus von U-Bahn-Linien hervor. Die Verlängerung der U7 vom Neuköllner Ortsteil Rudow bis zum BER habe daher für sie Priorität.
Berliner Koalitionsvertrag: Keine Priorisierung der U7-Verlängerung
Mit diesem Vorstoß widerspricht sie jedoch den Plänen der Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Die Grünen), die den Ausbau und die Verlängerung der Linie U3 nach Untersuchung der Nutzen und Kosten priorisiert und aktiv vorantreibt.
Auch der Koalitionsvertrag der regierenden Parteien SPD, Grüne und Linke besagt eine Untersuchung von Kosten und Nutzen für insgesamt fünf U-Bahnstrecken, jedoch ohne Priorisierung einer bestimmten Linie. Neben der angestrebten Verlängerung der U7 zum BER geht es auch um eine Erweiterung in Richtung Nordwesten sowie um weitere Ausbauprojekte rund um die Linien U2, U3 sowie die U8.
Berlin und Brandenburg scheuen die hohen Baukosten für den U7-Ausbau
Ferner plädieren der Fachausschuss für Mobilität der SPD Berlin sowie der Arbeitskreis Verkehr der SPD Brandenburg zunächst für eine grundsätzliche Prüfung der Förderungswürdigkeit rund um den U7-Ausbau.
Die Verkehrspolitiker warnen davor, dass dieser Ausbau anderen, ebenso wichtigen Verkehrsprojekten die Ressourcen streitig machen könnte. Das Schienenverkehrsprogramm i2030 definiert mehrere Verkehrsprojekte rund um Berlin und Brandenburg, bei denen ein dringender Bedarf für Aus- oder sogar Neubau besteht.
Ein Konkurrieren um Bundesmittel der verschiedenen Baumaßnahmen mit dem Ausbau der U7 ist daher sehr wahrscheinlich. Die Fachpolitiker sehen hier zudem keinen erhöhten Bedarf. Während sie dafür plädieren, vorerst ausschließlich Projekte aus dem Programm i2030 beim Bund anzumelden, halten sie im Hinblick auf Kosten und Nutzen die U7-Verlängerung für unverhältnismäßig.
Schienenverkehrsprogramm “i2030” wird priorisiert
Die im Jahr 2020 geschätzten Kosten für das U7-Projekt von mindestens 800 bis 950 Millionen Euro variieren je nach Bauart und könnten weiterhin ansteigen. Mit insgesamt einer Milliarde Euro seien die Baukosten nicht angemessen, um lediglich für eine verbesserte ÖPNV-Anbindung der Wohngebiete sowie der geplanten Gewerbegebiete zu sorgen. Bereits jetzt bestünde eine gute Schienenanbindung zum Flughafen. Die Inbetriebnahme der Dresdner Bahn 2025 gilt hier als angemessene Erweiterung.
Unterdessen möchte die Berliner Landesregierung gemeinsam mit dem Landkreis Dahme-Spreewald, dem Bezirk Neukölln sowie den Anliegergemeinden ein ÖPNV-Konzept mit Bussen und Straßenbahnen umsetzen, hierbei jedoch mögliche Trassen eines U7-Ausbaus freihalten.
Die Politik ist uneins über die Priorisierung der Verkehrsplanung
Der vorangegangenen Kritik an Giffeys Vorstoß schließt sich auch Felix Reifenschneider, der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus an. Nicht alle sinnvollen Linien könnten zugleich finanziert und gebaut werden. Indes erhält die Senatschefin auch Unterstützung. Der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel (SPD), unterstützt den beschleunigten Ausbau der U7. Hierdurch erhofft er sich eine spürbare Entlastung seines Bezirks.
Zudem sieht Igel in der direkten Anbindung der U-Bahn-Linie an den Flughafen die Chance, dass Menschen vermehrt auf die U-Bahn umsteigen und der Autoverkehr abnimmt. Engpässe in Richtung Flughafen könnten so vermieden werden. Um den Bezirk erstmalig an das U-Bahn-Netz anzuschließen und so auch der Innenstadt näherzubringen, plädiert er weiterführend für eine Streckführung über Altglienicke.
Berlin und Brandenburg müssen Hand in Hand planen – auch die Kosten
Neben den verschiedenen Stimmen und Positionen bleibt eine Sache jedoch klar: Sollte die Region rund um den BER weiterhin so wachsen wie derzeit prognostiziert, ist eine breiter aufgestellte infrastrukturelle Anbindung unerlässlich.
Zu erwartende, steigende Fluggastzahlen sowie der Zuzug in die neu entstehenden Wohn- und Gewerbegebiete erfordern eine rasche Weiterentwicklung von Verkehrsnetzen sowie des öffentlichen Personennahverkehrs. Berlin und Brandenburg müssen hierfür eng kooperieren und sinnvolle Planungen vorantreiben – und vor allem: die entsprechenden Kosten hierfür einplanen.
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Die weiteren Teile der Reihe findet Ihr hier:
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2. November 2024