Auf dem Berliner Landesparteitag der SPD sprachen sich die Delegierten mehrheitlich gegen den Weiterbau der A100 und für die Enteignung von Wohnungsbaukonzernen aus. Was bedeutet das für die Regierungskoalition und den weitern Fortschritt dieser zwei sensiblen, städtebaulichen Themen?
Text: Henriette Schubert
Am vergangenen Sonntagabend sprach sich die Mehrheit der Delegierten der Berliner SPD für die bedingte Enteignung von Wohnungen, jedoch gegen den Weiterbau der Autobahn A 100 aus. Die Beschlüsse des Landesparteitages lassen damit einen Kurzwechsel der Sozialdemokraten vermuten und regen zu kontroversen Debatten an.
Vor allem die Haltung der Partei zum Enteignungsgesetz erscheint überraschend. Hatte sich die Parteispitze vor dem Parteitag dafür starkgemacht, den Antrag der Jusos bezüglich der Enteignung zu entkräften, so ließ der Beschluss des vergangenen Sonntags einen klaren Linksruck erkennen.
Enteignung als Sinnbild der Hauptstadt?
Die nun beschlossene, schnellstmögliche Einführung des Gesetzes sieht zwar ein positives Votum der Enteignungskommission hinsichtlich einer möglichen Vergesellschaftung als Bedingung vor, führt jedoch zu Diskussionen. Auch die regierende Bürgermeisterin und Chefin der SPD, Franziska Giffey, hatte in einem Interview vor wenigen Tagen verlauten lassen, wie wichtig es sei, in der Stadt zusammenzuarbeiten und Probleme gemeinsam zu lösen.
Ihr Wohnungsbaubündnis beispielsweise sei auf Kooperation ausgelegt. Eine Enteignung würde hier vollkommen gegenteilig agieren und auf nationaler sowie internationaler Ebene wohl ein verzerrtes Bild der deutschen Hauptstadt zeichnen. Der in der Zwischenzeit gefällte Beschluss jedoch ermöglicht genau dies.
Das Ende des Ausbaus der A 100?
Auch mit dem beschlossenen Planungsstopp des Weiterbaus der A 100 am selben Tag löst die Berliner SPD eine nicht nur regionale Debatte aus. Rund 65 Prozent der Delegierten stimmten auf dem Parteitag dafür, den Weiterbau der Autobahn nach Friedrichshain und Pankow zu beenden.
Bereits während der Debatte hatte die Mehrheit der Rednerinnen und Redner für diesen Beschluss plädiert. Der Flächennutzungsplan für die sogenannten Vorhalteflächen des 17. Bauabschnittes soll nun durch das Berliner Abgeordnetenhaus geändert und in diesem Zusammenhang die Projektanmeldung aus dem Bedarfsplan für Bundesfernstraßen entfernt werden.
SPD stellt sich gegen ein von ihr selbst verabschiedetes Projekt
Diese Anmeldung war zuvor vom damaligen, rot-schwarzen Senat vorgenommen worden – also auch von der SPD. Der nun von den Delegierten geforderte Schritt würde möglicherweise das Ende des Bauprojektes bedeuten, denn auch auf Bundesebene hat sich die SPD für die Beendigung dieser Planungen durch das Bundesverkehrsministerium ausgesprochen.
Die jetzige Entscheidung der Berliner SPD-Basis ist Teil einer jahrzehntelangen Debatte rund um die Notwendigkeit des 17. Bauabschnittes der A100. Zum Parteitag legten auch die Kreisverbände Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, die Antragskommission sowie die Jusos entsprechende Anträge vor, in denen eine Zustimmung zum Planungsstopp empfohlen wurde.
Kosteneinsparungen von bis zu einer Milliarde Euro möglich
Yannik Haan aus dem Kreisverband Mitte begrüßte die Entscheidung und sieht das Ende des Autobahnausbaus auch als Ende einer zwanzigjährigen Debatte an. Rednerin Marie Scharfenberg aus Friedrichshain-Kreuzberg hatte zudem auf die enormen Investitionen hingewiesen, die an anderer Stelle gebraucht werden würden. Mit den geplanten Kosten von bis zu einer Milliarde Euro für den 17. Bauabschnitt könnten beispielsweise 4.000 Kilometer Radwege oder 30 neue Schulen erbaut werden.
Politische Relevanz erlangte die Thematik eigentlich erst durch das Bundesverkehrsministerium. Dieses schrieb gegen den Willen des Senats die Planung für den 17. Bauabschnitt offiziell aus, um den Weiterbau voranzutreiben. Damit sei laut der parlamentarischen Staatssekretärin Daniela Kluckert (FDP) ein beschlossener Weiterbau sicher.
SPD wird in Sachen A100 von Grünen und Linken unter Druck gesetzt
Der Berliner Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linkspartei hingegen legt fest, dass es innerhalb der laufenden Legislaturperiode keine weiteren Planungen für den Weiterbau der Stadtautobahn geben soll. Während die SPD sich hier unschlüssig zeigt, geschah dies insbesondere auf Drängen von Grünen und Linken.
Vor dem Parteitag signalisierten jedoch auch die Parteivorsitzenden der SPD, Franziska Giffey und Raed Saleh, Offenheit für Debatten über ein Ende des Weiterbaus der A100. Somit stimmen die derzeit aktuellen Koalitionspartner Berlins offiziell gegen den weiteren Ausbau der Stadtautobahn – und zwar geschlossen. Felix Reifschneider, der verkehrspolitische Sprecher der FDP, kritisiert diesen Beschluss, denn er richte sich gegen die Verlässlichkeit von laufenden Planungen des Bundes.
Fehlende Verknüpfung der ehemaligen Teile Berlins
Auch die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) äußerte sich kritisch zum Beschluss. Der Hauptgeschäftsführer Jan Eder empfindet die Abkehr der SPD vom Weiterbau als kurzsichtig und spricht die wirtschaftliche Entwicklungskraft der Hauptstadt an.
Auch über 30 Jahre nach dem Mauerfall würde eine ausreichende Verknüpfung der beiden ehemaligen Teile Berlins fehlen – zumindest was die Straßen-Infrastruktur angehe. Potenziale von Gewerbeflächen im Nordosten blieben somit ungenutzt, da die Anbindung zu anderen städtischen Wirtschaftszentren sowie dem BER unterbrochen sei.
Grundsätzlich kommen beide Beschlüsse des Parteitags, zum Weiterbau der A100 sowie zur Enteignung von Wohnungsbaukonzernen, durchaus überraschend. Es wird spannend zu beobachten sein, wie die weiteren Gespräche zwischen Bundes- und Landesregierung verlaufen werden.
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