Die Idee einer „Lindenkolonnade“ für die Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg ist ein architektonischer Vorschlag von Jan Kleihues und Heike Handa, der die Transformation eines historischen Straßenraums in einen modernen, urbanen Stadtraum zum Ziel hat. Das Gebäude hätte eine Länge von mehr als einen Kilometer und würde große Teile der heutigen Bebauung verdecken. Der Entwurf zielt darauf ab, eine moderne und leichte Straßenpromenade zu schaffen, um den Charakter der Verkehrstrasse völlig neu zu denken.
© Visualisierung Titelbild & Foto: Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten mbH
Text: Björn Leffler
Zu seinem 200-jährigen Jubiläum hatte sich der AIV ein großes und über alle Maßen relevantes Thema ausgesucht, welches in Ausstellungen, Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen die Berliner Stadtgesellschaft bis Ende November 2024 begleiten und aktivieren sollte. Berlins große Straßen wurden auf diese Weise in den Fokus der Fachwelt sowie der Öffentlichkeit gerückt. Mittlerweile ist sowohl die Freiluftausstellung als auch die Veranstaltungsreihe zu Ende gegangen – und wurde intensiv wahrgenommen.
Für das spannende Format des AIV haben zehn namhafte Büros Visionen für zehn Berliner Straßen entworfen, die aufzeigen, wie der Straßenraum von morgen aussehen könnte. Bewusst sind hierbei aber prominente Verkehrsachsen wie Kurfürstendamm, Friedrichstraße oder Unter den Linden außen vor gelassen worden.
Vielfältige Visionen für Berlins Straßen der Zukunft: Holzmarktstraße, Altstadt Köpenick, Schloßstraße und Mollstraße
In dieser Reihe haben wir bereits über die Umgestaltung der Mollstraße, das Hochhauskonzept für die Holzmarktstraße, neue Wege für die Steglitzer Schloßstraße sowie die städtebauliche Entwicklung der Müggelheimer Straße in der Altstadt Köpenick berichtet.
Im Rahmen dieses ambitionierten Ausstellungsprojekts haben auch Jan Kleihues (CEO des Büro Kleihues + Kleihues) und Heike Handa (vom Laboratory of Art and Architecture) in enger Zusammenarbeit eine zukunftsweisende Vision für die Berliner Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg entworfen, wie sie es selbstbewusst formulieren.
Städteräumliche Vision: Eine „Lindenkolonnade“ für die Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg
Die als „Lindenkolonnade“ bezeichnete Struktur soll sich durch ihre „elegante und fast schwebend wirkende Konstruktion“ auszeichnen. Geprägt von dicht aneinandergereihten, runden Stahlstützen wollen die Architekten damit eine architektonische Leichtigkeit erzeugen, die im Bereich der W. Michael Blumenthal Akademie einen besonderen Höhepunkt erreichen könnte: Hier öffnet sich die Kolonnade im Entwurf von Kleihues und Handa zu einem Platz, der durch freistehende Linden geprägt ist.
Diese Linden sollen nach Vorstellung der Architekten in einem organischen Dialog zwischen Architektur und Vegetation stehen und dem städtischen Raum so eine einladende Atmosphäre verleihen. Ein Großteil der heutigen Bebauung würde hinter dieser neuen „Lindenkolonnade“ allerdings verschwinden, die Lindenstraße würde durch einen solchen Umbau wohl deutlich dichter und urbaner wirken.
Die „Lindenkolonnade“ soll sich in Nord-Süd-Richtung über die gesamte Länger der Lindenstraße erstrecken
Die „Lindenkolonnade“ erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung über die gesamte Länge der Straße. Sie beginnt im Norden an einem erweiterten Straßenraum gegenüber dem Axel-Springer-Hochhaus und führt bis zur Randbebauung des Mehringplatzes im Süden, was eine gewaltige Gebäudelänge von mehr als einem Kilometer bedeuten würde.
Den nördlichen Auftakt in Kleihues‘ und Handas Entwurf bildet eine kleine Stadtteilbibliothek, während im Süden eine architektonisch auffällige Konstruktion, die sogenannte „Neugierde“, den Blick über die stark befahrene Straße hinweg zum Landwehrkanal und zur Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz lenkt.
Umbau der Lindenstraße soll die unwirtliche städtebauliche Situation mit minimalen Eingriffen verbessern
Die räumliche Intervention verfolgt das Ziel, die derzeit unwirtliche städtebauliche Situation mit minimalen Eingriffen zu verbessern. Dabei soll sie die klassische Idee einer Straßenpromenade mit der zeitlosen Formensprache einer Kolonnade verbinden. Diese soll nicht nur eine klare räumliche Fassung des Straßenraums ermöglichen, sondern auch Platz für quartiersnahe Nutzungen bereithalten.
Wie auch alle anderen Visionen, die im Rahmen der „immer modern!“-Reihe gezeigt wurden, ist auch das Konzept für die Lindenstraße eine Idee, für die es seitens der Stadt Berlin oder des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg keinen konkreten Bedarf oder etwas wirklich konkrete Planungen gibt. Ziel ist es vielmehr, einen Diskurs darüber anzustoßen, wie Berlins Straßenräume zukünftig gestaltet werden könnten und wie Fehler der Vergangenheit vermieden werden können.
1922: Erster Bau für einen Blumengroßmarkt in Kreuzberg
Die Kreuzberger Lindenstraße ist allerdings schon heute ein spannender Stadtraum, der weit mehr ist als eine schöne Verkehrsstraße. Bis zum Mai 2010 befand sich hier der zentrale Berliner Blumengroßhandel. Der Standort in der Berliner Friedrichstadt hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts Bestand. Ab 1922 wurde dort erstmals eine eigene Halle speziell für den Blumengroßmarkt gebaut. Diese wurde 1937 durch einen Neubau ersetzt.
Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde an derselben Stelle ein Provisorium errichtet, das 1965 schließlich einem weiteren Neubau wich. Dieses Gebäude hat bis heute Bestand. Im Mai 2010 zog der Blumengroßmarkt zur Großmarkthalle Beusselstraße nach Moabit um. Die Halle an der Lindenstraße wurde an das Jüdische Museum Berlin verkauft, welches seinen Standort auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat.
Die einstige Markthalle wird heute vom Jüdischen Museum genutzt
Heute befindet sich die Akademie des Jüdischen Museums, benannt nach dem einstigen US-Finanzminister Werner Michael Blumenthal, in dem Gebäude. Die ehemalige Lagerhalle wurde nach dem Auszug der Blumenhändler aufwändig umgebaut und erweitert und bildet so einen architektonischen Gegenpol zum spektakulären, von Daniel Libeskind konzipierten, Museumsbau auf der anderen Straßenseite.
Zu den bekanntesten Projekten des Architekten Jan Kleihues, der nun die Vision der „Lindenkolonnaden“ entworfen hat, zählen das Hotel Dorint Kurfürstendamm (ehemals Sofitel Berlin Kurfürstendamm und Hôtel Concorde), das Hotel Maritim und ein Wohn- und Geschäftshaus am Leipziger Platz in Berlin. 2016 wurde die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin-Mitte nach seinen Plänen fertiggestellt. Mit genehmigten Gesamtkosten von 1,086 Milliarden Euro ist sie bis heute das größte Bauprojekt des Bundes. Derzeit wird nach seinem Entwurf unter anderem das Projekt „FÜRST“ am Kurfürstendamm umgesetzt.
Quellen: Laboratory of Art and Architecture, Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg, HILMER SATTLER ARCHITEKTEN, Ahlers Albrecht Gesellschaft von Architekten mbH, TCHOBAN VOSS Architekten GmbH, ST raum a. GmbH, LANGHOF®, GRAFT, Jan Kleihues, Kleihues & Kleihues, Heike Hanada, hh_laboratory of art and architecture, gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Bernd Albers Architekten, ENS Architekten, Fachhochschule Potsdam, Patzschke Planungsgesellschaft mbH, Axthelm Rolvien Architekten, MÄCKLER ARCHITEKTEN, HKK Landschaftsarchitektur, ARGUS Stadt und Verkehr