Nach dem Krieg stand Berlin vor einer entscheidenden Frage: Sollte die Stadt modernisiert oder historisch rekonstruiert werden? Von Schnellstraßen und Grünflächen bis zur Spaltung Berlins – die Stadtplanung nach 1945 war von radikalen Konzepten und politischen Kämpfen geprägt. Warum das „Neue Berlin“ nur eine kühne Vision blieb, lest Ihr mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Berlins mühsamer Wiederaufbau nach dem Krieg: Während manche Stadtplaner ein modernes, autogerechtes Berlin skizzierten, setzten andere auf den Erhalt historischer Strukturen. Doch am Ende entschieden nicht nur Architekturpläne, sondern vor allem die Politik. / © Foto: IMAGO / United Archives
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Artikelreihe: Abschied von der autogerechten Stadt – Realität oder Utopie?
von Wolfgang Leffler
Teil 3 – Wiederaufbau nach 1945: Hans Scharouns „Neues Berlin“, das nie entstand
Zum Prolog der Artikelreihe gelangt Ihr hier, zum ersten Teil geht es hier. Und hier könnt Ihr den zweiten Teil lesen.
Wenn sich Stadt- und Verkehrsplaner beim Wieder-, Um- oder Neubau von Stadtanlagen am Leitbild einer autogerechten Stadt orientieren wollen, dann ist eine differenzierte Betrachtungsweise angebracht. Bei Neubauquartieren ist eine Stadterweiterung quasi ohne Einschränkungen möglich.
Im Gegensatz dazu unterliegen die Planungen für die Innen- und Altstädte lokalen Gegebenheiten. Städte wie London oder Sheffield auf der britischen Insel oder in Deutschland Dortmund, Köln oder Berlin, die durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg als regelrechte Trümmerwüsten übrigblieben, hatten mit der Neugestaltung die städtebaulichen Voraussetzungen, sich zu autogerechten Städten zu entwickeln.
Nach dem Zweiten Weltkrieg: Die verpasste Chance der autoaffinen Moderne
Um diesem Anspruch einer „autoaffinen Moderne“ (Marshall-Plan) gerecht zu werden, hätte es allerdings in diesen Städten einer großzügigen Rekonstruktion des alten Stadtgrundrisses bedurft. Das hat man jedoch versäumt.
In anderen europäischen Städten fühlte man sich dem historischen Stadtbild stärker verpflichtet und handelte dementsprechend. Unmittelbar nach dem Krieg ging es in vielen Städten aber vor allem darum, den verfügbaren Wohnraum zu ermitteln und dementsprechend zu verteilen.
Gebäudeschäden zwischen 40 und 75 Prozent: Wiederaufbau in Berlin nach 1945
Die Gebäudeschäden lagen in den Berliner Innenstadtbezirken zwischen 40 und 75 Prozent, besonders extrem in Mitte, Tiergarten, Friedrichshain und Steglitz. Aber auch in den äußeren Stadtbezirken betrugen die Gebäudeschäden zwischen zehn und 38 Prozent, etwa in Treptow, Pankow, Spandau oder Lichtenberg.
Hier musste zunächst der ständige Zustrom von Evakuierten, Flüchtlingen und Heimkehrern organisiert werden, was die Planungen erheblich erschwerte. Aufgrund der vorherrschenden Mangelwirtschaft mussten die Stadtverwaltungen eigenständige Entscheidungen treffen, um das Leben der Menschen einigermaßen abzusichern.
Der primäre Schwerpunkt lag dabei selbstverständlich auf der Ernährung. Danach ging es allerdings bereits um den Wiederaufbau der Wohnungen sowie die Instandsetzung der Verkehrswege und Transportmittel.
„Kollektivplan“ für Berlin: Hans Scharouns ambitionierte Konzepte und ihr Scheitern
Architekt Hans Scharoun, Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen, war in den Jahren 1945 bis 1946 innerhalb des Berliner Magistrats für die Stadtplanung zuständig. Gemeinsam mit ehemaligen Bauhaus-Kollegen erarbeitete er einen „Kollektivplan“ für eine komplette Neuordnung Berlins.
Der „Flachbau mit Gartenanteilen“ sollte stärker in das Berliner Stadtbild integriert werden. Hans Stimmann, von 1991 bis 2006 Berlins Stadtbaudirektor, bezeichnete diese Pläne als ein „Glaubensbekenntnis für eine völlig neue Stadt Berlin.“ Diese Planungen sahen vor, das Hobrechtsche Radial- und Ringstraßensystem durch ein Rechtecksystem aus Schnellstraßen zu ersetzen, die durch eine grüne Stadtlandschaft führen sollten.
Moderne Architektur, Schnellstraßen, Grünflächen: Das „Neue Berlin“ blieb nur eine Vision
Das von Scharoun entworfene Leitbild des „Neuen Berlin“ fasste Stimmann Jahrzehnte später wie folgt zusammen: „Die City sollte in moderner Architektur, aber in der alten Lage zwischen Potsdamer Platz und Spree neu entstehen, das administrative Stadtzentrum zwischen Alexanderplatz und Spree neu gebaut werden.“
Dazu kam es jedoch nicht. Nachdem die SPD aus den Wahlen 1946 mit knapp 49 Prozent als Sieger hervorgegangen war, wurden Scharouns „Kollektivpläne“ verworfen, da sie den Verdacht erhärteten, zu sehr an die sowjetische Besatzungsmacht anzulehnen.
SPD gewinnt die Wahlen: Neuausrichtung der Stadtplanung unter Karl Bonatz
Als SPD-Mann lehnte Scharouns Nachfolger Karl Bonatz Anfang April 1947 die Ordnungsprinzipien des Kollektivplans ab. Der Tagesspiegel berichtete Ende 1947, dass Bonatz „mehr beamtlich und ökonomisch vorgeht, da er sich stärker mit den historischen Gegebenheiten auseinandersetzt.“
Weiter hieß es: „Bonatz löst Berlin nicht in einzelne Stadtquartiere auf, die voneinander abgegrenzt sind. Er behält die Radialstraßen bei und bewahrt den Charakter einer Kernstadt, deren Erweiterung ringförmig anschließt.“
Zunehmende Spaltung und das Ende der Einheitlichen Stadtplanung
Doch auch Bonatz irrte sich, da er nicht davon überzeugt war, dass man auf Trümmern eine Stadtplanung entwickeln könne, als ob dort nie etwas gestanden hätte. Der Wiederaufbau Warschaus basierte übrigens genau auf diesem Prinzip.
Die politischen Verhältnisse in Berlin sorgten dafür, dass auch Bonatz‘ Pläne verworfen wurden. Die sich anbahnende Spaltung der Stadt führte zu gegensätzlichen Vorstellungen darüber, wo und was in Berlin gebaut werden sollte.
Bau-Leistungsschau 1948: Wendepunkt für den Wiederaufbau Groß-Berlins
In der Berlin-Blockade von Juni 1948 bis Mai 1949 setzte die „Bau-Leistungsschau“ einen vorläufigen Schlusspunkt für den unmittelbaren Wiederaufbau Groß-Berlins. Danach präsentierte das Hauptamt für Stadtplanung einen neuen Plan, der eine geordnete und nach Funktionen gegliederte Bebauung vorsah.
Im Detail war vorgesehen, Wohnen, Arbeiten, Krankenhäuser, Hochschulen und Regierungsstandorte voneinander zu trennen. Geplant war, dass die alte City von Berlin als Hauptstandort für diese Aufgaben fungieren sollte, um die einseitige Bevorzugung des Westteils der Stadt zu reduzieren.
Neue Entwicklungskonzepte für Berlin
Um die Dominanz der westlichen City zu minimieren, plante man eine Entwicklung mit starker Ausstrahlung nach Osten (Friedrichshain), Süden (Hermannplatz) und Norden (Wedding). Es war nicht schwer zu erahnen, wohin diese „Entwicklungen“ in der Stadt letztendlich führen würden.
Übrigens war jede Eintrittskarte zur „Bau-Leistungsschau“ zugleich ein Los. Gewinner erhielten einen Bezugsschein für Glas, Dachpappe, Nägel, Glühbirnen oder andere Baustoffe, die die britische Militärverwaltung bereitstellte.
Diese Materialien konnten direkt auf der Ausstellung erworben werden. Sie wurden von der Royal Air Force per Luftbrücke nach Berlin eingeflogen – ironischerweise von derselben Luftwaffe, die mit ihrem ersten Bombenangriff im Herbst 1940 die Zerstörung der Stadt eingeleitet hatte.
Fortsetzung folgt…

Architekt Hans Scharoun, Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen, war in den Jahren 1945 bis 1946 innerhalb des Berliner Magistrats für die Stadtplanung zuständig. Gemeinsam mit ehemaligen Bauhaus-Kollegen erarbeitete er einen „Kollektivplan“ für eine komplette Neuordnung Berlins. / © Foto: Wikimedia Commons, Deutsche Fotothek (Fotothek df pk 0000197 024 Jubiläumsfeier.jpg)