Mit der Inbetriebnahme des Flughafens BER hat sich im Metropolgebiet Berlin/Brandenburg eine erhebliche, räumliche Schwerpunktverlagerung in den Südosten der Hauptstadtregion vollzogen. Wir widmen uns der Entwicklung dieser Region in einer mehrteiligen Reihe. Im ersten Teil der Serie stellen wir das Konzept der “Neocity” vor.
© Visualisierungen: Realace GmbH
Text: Henriette Schubert
Berlin hat eine wechselvolle und bewegte Geschichte, die einen entscheidenden Unterschied zu in der Größe vergleichbaren Großstädten herstellt. Teil dieser durch Kriegszerstörungen und Teilung geprägten Geschichte ist auch die Tatsache, dass die heutige Hauptstadt lange über keinen bedeutenden Großflughafen verfügte.
Die „Entwicklungs“-Korridore zwischen Flughafen und Kernstadt anderer Großstädte wie München oder Paris weisen hier mehr Dynamik auf, zeigen neben viel Potenzial jedoch zugleich einen Mangel an intelligenter Wertschöpfung, Urbanität sowie zukunftsfähigem Städtebau. Über die Jahre entstanden so verdichtete, aber wenig urbane Zwischenstädte. Ein Dilemma, welches auch der Region um den neuen Berliner Flughafen droht.
Charakteristisches Narrativ statt Zwischenstadt
Die Region um den BER gewinnt bereits wirtschaftlich an Gewicht und kann zweifelsohne als Boom-Region bezeichnet werden. Auch in den angrenzenden Teilen Brandenburgs verzeichnet sich ein starker Aufwärtstrend, der in Einwohnerzahl und Arbeitsmarkt ebenso deutlich ablesbar ist, wie in Grundstücks-, Gewerbe- und Büroflächenmarkt.
Das Unternehmen Realace GmbH sieht in dieser Region jedoch mehr als eine reine Flughafenachse. Sie spannen zwischen Ostkreuz und dem Neuköllner Hafen sowie zwischen Königs-Wusterhausen und Grünheide einen Entwicklungskorridor auf, der mit Motoren und Attraktoren wie der Wissenschaftsstadt Adlershof, dem neu entstandenen Tesla-Werk in Grünheide sowie dem Verdichtungsraum aus Hochschule und Unternehmen wichtige Positionen bereithält.
Eine besonders wichtige Rolle nimmt die einzigartige Stadtlandschaft der Müggelspree ein. Durch das Konzept der “Neocity” erhält dieser Stadtraum eine außergewöhnliche Charakteristik, welche nach der Veröffentlichung bereits eine positive Resonanz durch das Fachpublikum erhielt. Auch die Aufnahme des Innovations-„Korridors“-Südost in den Koalitionsvertrag der neuen Berliner Landesregierung ist ein Beleg für Wichtigkeit und Resonanz dieses Konzeptes.
Intelligente Ökosysteme für eine neue Urbanität
Die “Neocity” zeichnet sich durch Anwendung, Dynamik sowie Hybride aus und umfasst wichtige Wachstumstreiber wie angewandte und umgesetzte Ideen zu Mobilität, Nachhaltigkeit und Wissensproduktion sowie neue Ideen zu Städtebau und Urbanität.
Das Vernetzen dieser Faktoren zu intelligenten Ökosystemen schwächt hier jedoch keineswegs Möglichkeiten und Chancen einer Boom-Region. Vielmehr erlaubt und fördert das “Neocity”-Konzept mit seinen Modulen die hybriden Formen des Arbeitens und Wohnens sowie der Freizeitgestaltung.
Co-Existenz von Dynamik und Langsamkeit
Die Achse zwischen Flughafen und Kernstadt ist geprägt von beschleunigter Dynamik. Neues wird hier schnell erprobt, verworfen und rekombiniert. So könnte ein Netz aus Kiezen entstehen, die mit einer „15-Minuten-Erreichbarkeit“ aller Funktionen überzeugen und das Angebot städtischer Infrastruktur intensivieren würden.
Zur gleichen Zeit entfaltet sich der Stadtlandschaftsraum rund um die Müggelspree zu einem Ort der Langsamkeit. Die in den Kiezen hergestellte, schnelle Erreichbarkeit der Funktionen als Schwerpunkt des Moduls soll auch für die Erreichbarkeit der entschleunigten Orte gelten.
“Neokieze” als Kern einer dezentralen Entwicklungsstrategie
Der Innovations-„Korridor“-Südost soll keine Reproduktion einer Zwischenstadt werden, die in anderen vergleichbaren Städten entstanden ist. Vielmehr soll Urbanität auch außerhalb des Kerngebietes Einzug halten, wodurch die Entwicklung von Kiezen gefördert werden soll.
Durch diese dezentrale Entwicklungsstrategie entstehen nach den Vorstellungen von Realace neue städtische und stadtlandschaftliche Ökosysteme. “Neokieze” sollen dabei das neue Netzwerk der “Neocity” bilden. Sie werden nicht als klassische Wohnquartiere begriffen, sondern öffnen sich für Logistikstandorte, zeitgemäße Forschungs- und Entwicklungsräume sowie landschaftsbezogene Orte.
Kooperativer Ansatz, über Landesgrenzen hinweg
Jeder “Neokiez” bekommt ein klares Handlungsprogramm und ist in sich abgeschlossen, überschaubar, identitätsstiftend und nutzungsmischend mit einem Netz aus Akteuren. Das Zusammenspiel der Faktoren zu verstehen und zu fördern, beeinflusst den Erfolg der Stadtentwicklung maßgeblich.
Wichtig beim “Neocity”-Konzept ist, dass es unabhängig der Bundeslandgrenzen zwischen Berlin und Brandenburg funktionieren soll. Statt politischer Rivalität ist ein kooperativer, gemeinschaftlicher Denkansatz gefragt, der Vorbildcharakter auch für andere grenzübergreifenden Entwicklungsregionen der Hauptstadtregion haben könnte.
Verbindung und Anreicherung durch neue Wertschöpfungsformen
Das “Neocity”-Konzept dient als Schauplatz und Anwendungsort für neue Wertschöpfungsformen. Die weiträumige Ansiedlung von Logistik, Backoffices und dem MICE-Sektor (Meeting, Conference, Events, Incentives) im BER Umfeld soll dabei angereichert werden durch neuartige und besondere Ausprägungen von hybriden Nutzungsformen.
Neomanufacturing und Wissensproduktion bilden hierbei besondere Möglichkeiten. Vormals getrennte Nutzungsarten sollen sich zukünftig zu neuartigen Hybriden verbinden, etwa durch Schaulager, Vertical Farming, Last-Mile-Production oder Intelligent Warehousing.
Wenn sich dadurch die MICE-Angebote in Flughafennähe mit dem Prototyping verbinden, können dadurch auch Standorte im Grünen und am Wasser in neuer Weise belebt werden. Dabei fördert das “Neocity”-Weißbuch, welches Realace erstellt und veröffentlicht hat, keine bestimmte Branche. Es befasst sich vielmehr damit, das Modellhafte eines erfolgreichen Ortes zu identifizieren und schließlich neu anzuwenden.
Fokus auf angewandte Wissenschaft und Entwicklung
Die zentrale Ressource einer jeden Stadt ist das Wissen. Hier spielen entschleunigte Denkräume eine ebenso große Rolle wie die schnellen Orte der Anwendung. Entwicklung und Transfer von Wissen stehen daher im Fokus der “Neocity”. Bestehende Plattformen sollen gestärkt und durch Infrastrukturen des Testings und des Prototypings sinnvoll ergänzt werden. Die Ansiedlung neuer Wissenszentren könnte bereits bestehende Hochschul- und Forschungsinstitutionen oder gewerbliche Produktionskerne ergänzen.
Der “Neocity”-Ansatz versteht sich als Dialogimpuls für Flughafenareale von morgen und stellt den Beginn einer einer Entwicklung dar. Es lädt explizit dazu ein, Ideen aufzugreifen, zu interpretieren und weiterzutragen und stellt in diesem Sinne ein umfassendes Leitkonzept für alle Handelnden und Beteiligten dar.
“Neocity” kann also als Möglichkeit verstanden werden, die Geschichte Berlins als eine Stadt des stetigen Wandelns und Werdens weiterzuerzählen und gemeinsam mit Brandenburg ein neues und innovatives Stück Stadt zu entfalten.
Wenn Ihr mehr über das “Neocity”-Konzept von Realace erfahren wollt, findet Ihr hier weitere Informationen:
NEOCITY – ein Weißbuch für den Innovations- und Boom-Korridor im Berliner Südosten und Brandenburg
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Weitere Artikel zum Thema findet Ihr hier:
Newsletter
Abo-Modell
Neue Artikel
2. November 2024
[…] Reihe, Teil 1 – Berlins Boom-Korridor Südost: Das Konzept “Neocity” […]
[…] Lage von Königs Wusterhausen im sogenannten „Boom-Korridor Südost“, bedingt durch die Nähe zum Hauptstadtflughafen BER und des Tesla-Werks in Grünheide, […]