Eine Gesetzesänderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes stellt Berlins Wohnungsbaupläne auf ehemaligen Güterbahnhöfen vor neue Herausforderungen. Was die Voraussetzungen für die Umsetzung der Verkehrswende verbessern sollte, ist für mehrere große Wohnungsbauvorhaben in verschiedenen Berliner Bezirken zu einem unkalkulierbaren Faktor geworden.
© Visualisierung Titelbild: ADEPT & Karres en Brands mit PGT Umwelt und Verkehr, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
Text: Björn Leffler
Auf dem Gelände, auf dem sich bis Ende des Zweiten Weltkriegs die raumgreifenden Gleisanlagen des Potsdamer und Anhalter Güterbahnhofs sowie der zugehörigen Personenbahnhöfe befanden, erstreckt sich heute der populäre Park am Gleisdreieck.
Der knapp 32 Hektar umfassende Park erstreckt sich vom Landwehrkanal über die Yorckstraße bis zur Monumentenbrücke. Die Anlage besteht aus drei Parkteilen, die zwischen 2011 und 2014 eröffnet wurden. Flankiert wird der Park von zahlreichen Wohngebäuden, die in den vergangenen Jahren entstanden sind.
Park am Gleisdreieck: Blaupause für zukünftige Entwicklungsprojekte?
Bis Ende der 2020er Jahre soll zudem ein Gewerbequartier in unmittelbarer Nähe zum heutigen Bahnhof Gleisdreieck mit insgesamt sieben bis zu 90 Meter hohen Gebäuden entstehen. Name des Projekts: „Urbane Mitte„.
Mit der erfolgreichen Umwidmung der riesigen, historischen Gleisanlagen im Zentrum Berlins ist der Park am Gleisdreieck – vor allem mit seiner umgebenden, urbanen Bebauung – ungewollt zu einer Blaupause für zukünftige Stadtentwicklungsprojekte in Berlin geworden.
Ehemalige Güterbahnhöfe im Fokus der Berliner Stadtentwicklung
Denn die anhaltende Flächenknappheit, gepaart mit der grassierenden Wohnungsnot in Berlin, zwingt die Stadtplanerinnen und Stadtplaner dazu, unorthodoxe Bauflächen in den Fokus zu nehmen und neue Nutzungskonzepte zu entwickeln.
In den vergangenen Jahren sind daher auch zahlreiche, ehemalige Güterbahnhöfe in den Fokus gerückt, um Bauland für Wohnungen, Gewerbe und Freizeitflächen zu schaffen – auch wenn die Nutzbarmachtung der einstmals industriell genutzten Areale häufig mit hohem baulichen Aufwand verbunden ist.
Projekt „Friedenauer Höhe“: 1.350 neue Wohnungen auf einstigem Güterbahnhofgelände
Kürzlich wurde als eines der ersten Wohnungsbauquartiere auf einem ehemaligen Güterbahnhofgelände das Projekt „Friedenauer Höhe“ fertiggestellt. Doch wie viele weitere ähnlich konzipierte Projekte in Berlin noch hinzukommen werden, ist derzeit tatsächlich mehr als fraglich.
Dabei gibt es noch einige weitere, großformatige Wohnungsbauvorhaben, die auf ehemaligen Bahn- und Güterbahnhofsflächen umgesetzt werden sollen. So sollen Wohnungen auf dem Gelände des einstigen Güterbahnhofs Köpenick entstehen, genauso wie auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs Pankow – auch wenn dort dem „Pankower Tor“ genannten Vorhaben bislang das Thema Artenschutz im Wege steht.
Wohnungsbau in Berlin: Gesetzesnovelle gefährdet Quartiersprojekte auf einstigen Güterbahnhöfen
Doch nun gibt es neben dem Artenschutz ganz offensichtlich noch eine weitere, bedeutende Hürde, die Berlins Güterbahnhofprojekte nehmen müssen. Denn eine Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG), die auf einen Antrag der Grünen im Bundestag zurückgeht, hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der Wohnprojekte neu geordnet – und komplizierter gemacht.
Die Änderung des „AEG“ durch die Ampelkoalition vor einem Jahr sollte Zweckentfremdungen von Bahngrundstücken verhindern und Kapazitätserweiterungen im Eisenbahnverkehr sichern – und somit Voraussetzungen schaffen, um die angestrebte Verkehrswende zu ermöglichen.
Eisenbahnbundesamt hat alle Übertragungen von Bahnflächen gestoppt – Konsequenzen für Berlins Wohnprojekte?
Laut Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) habe dies jedoch dazu geführt, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) alle Übertragungen von Bahnflächen gestoppt habe, wie kürzlich die Berliner Morgenpost berichtete. Das EBA bezweifle, ob Wohnungsbau weiterhin ein „überragendes öffentliches Interesse“ darstellt, das die Entwidmung von Bahnflächen rechtfertigt.
Die Entscheidung über einen Freistellungsantrag, den der Berliner Senat beim Bund gestellt hatte, wurde zunächst zurückgestellt, da die Senatsverwaltung das überwiegende öffentliche Interesse an der Freistellung offenbar nicht darlegen konnte.
Gaebler: Bundestag muss Fehler korrigieren, um weiteren Wohnungsbau zu ermöglichen
Bausenator Gaebler fordert, dass der Bundestag den Fehler korrigiert und das Allgemeine Eisenbahngesetz in den vorherigen Zustand zurückführt. Die Gesetzesänderung sei zwar gut gemeint, habe jedoch bundesweit dazu geführt, dass Wohnungsbauprojekte auf Eisenbahnflächen gestoppt werden mussten, da das Eisenbahnbundesamt keine Verhandlungen mehr führe.
Für das Projekt „Pankower Tor“ etwa müssten eisenbahnrechtlich gewidmete Flächen der Deutschen Bahn AG verlegt und entwidmet werden. Auch auf der Hauptfläche, wo die streng geschützte Kreuzkröte umgesiedelt werden soll, wären Entwidmungen notwendig, sollte sich die Nutzung als unvereinbar mit der Widmung erweisen, erklärte Senatssprecher Pallgen.
Gesetzesänderung gefährdet Entwicklungsprojekte in Pankow, Charlottenburg, Köpenick und Neukölln
Zusätzlich hat der Bezirk Pankow eine weitere Teilfläche im Entwicklungsgebiet von der Bahn erworben, um eine Oberschule zu erweitern. Da das Grundstück ebenfalls eisenbahnrechtlich gewidmet ist, sei eine Entwidmung auch hier unerlässlich, so Pallgen. Weitere betroffene Projekte befinden sich auf ehemaligen Bahnflächen in Charlottenburg (Stadteingang West) und Neukölln (Projekt „Ringbahnhöfe“).
Christian Gräff, baupolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in Berlin, kritisiert die Gesetzesänderung scharf und fordert die neue Koalition auf, die Anpassung umgehend rückgängig zu machen. Doch da auf Bundesebene in nächster Zeit die vorgezogene Bundestagswahl ansteht, wird hier aller Voraussicht nach in den kommenden Monaten nicht viel passieren.
Für den angespannten Berliner Wohnungsmarkt, der auf kreative und vor allem großformatige Wohnungsbaukonzepte eigentlich dringend angewiesen ist, sind die Auswirkungen dieser Gesetzesanpassung bislang noch nicht abzuschätzen. Vorerst jedoch wirken sie sich auf die Planungen für die Bebauung der einstigen Güterbahnhöfe negativ aus.
Quellen: Berliner Morgenpost, Berlin Bauboom, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, ADEPT & Karres en Brands mit PGT Umwelt und Verkehr, CKSA Christoph Kohl Stadtplaner Architekten, Nöfer Architekten, Eisenbahnbundesamt, Deutschen Bahn AG
Irgendwie eine mittlere Katastrophe… Aber im Umkehrschluss käme da gleich die Frage, auf welcher Grundlage werden dann die Arbeiten z.B. in Köpenick zur Freimachung des ehemaligen Güterbahnhofs durchgeführt. Denn dort ist die STRABAG ja voll am Wirbeln… Das überlappt sich zwar sicher auch in Teilen mit der Erweiterungsarbeiten des Bahnhofs zu einem RE-Halt, aber der Rest muss ja irgendwie außerhalb dieses Baustopps vonstatten gehen, oder?… Fragen über Fragen…
Leider geben die hier zitierten Stimmen aus Politik und Medien nicht die gesammte Komplexität des Themas wieder. Natürlich ärgert die Neufassung des AEG aus Dez. 2023 all jene, die sich Hoffnungen auf Filet-Grundstücke, etc. gemacht haben! Eine Rückkehr zur alten Fassung des AEG – wie aktuell seitens der CDU im Bundestag versucht – wäre aber keine gesellschaftlich akzeptabel Lösung.
Auf jeden Fall sehr zu empfehlen in diesem Zusammenhang eine Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages vom 2. Dezember diesen Jahres: … https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-pa-verkehr-eisenbahngesetz-1030836