Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Im neunten Teil widmen wir uns dem politischen Machtwechsel, der sich ab Januar 1933 vollzog und der nicht nur die Geschichte Berlins radikal beeinflusste. An der Friedrichstraße sollte unter anderem ein überdimensioniertes Völkerkundemuseum entstehen, welches jedoch nie gebaut wurde.
© Foto Titelbild: Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler
DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE
Teil 9 – Politischer Machtwechsel
Zu den ersten acht Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier
Der Spielbetrieb der Berliner Bühnen ging auch nach der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 weiter, nur unter etwas anderen Vorzeichen.
Danach veränderten sich im Berliner Straßenbild und natürlich auch in der Friedrichstraße einige Dinge grundlegend. Ausgehend von dem am 1. April 1933 gegen jüdische Geschäftsinhaber ausgesprochenen Wirtschaftsboykott, begannen neben diesen wirtschaftlichen Beschränkungen weitere Repressalien gegen die Bevölkerung jüdischer Herkunft, wie persönliche Diskriminierungen und massive existenzielle Bedrohungen.
Anteil der jüdischen Bevölkerung lag in der Friedrichstraße bei gut 10 Prozent
In der im Berliner Verwaltungsbezirk Mitte gelegenen Friedrichstraße lag der Anteil der Bevölkerung jüdischer Herkunft immerhin bei gut zehn Prozent und somit relativ hoch gegenüber anderen Stadtteilen Berlins.
Beispielhaft dafür waren die im Jahr 1933 in der Friedrichstraße beheimateten gut siebzig Rechtsanwaltskanzleien; nach 1938 war hier nicht eine einzige Kanzlei mehr ansässig.
Künstler, Wirte oder Rechtsanwälte verloren ihre beruflichen Grundlagen
Die Schauspielerin Camilla Spira, die in der Operette ‚Im weißen Rössl‘ mit der Rolle der Wirtin im Großen Schauspielhaus, dem späteren Friedrichstadt-Palast, berühmt wurde, war mit dem jüdischen Rechtsanwalt Dr. Hermann Eisner verheiratet. Eisner verlor 1938 seine Zulassung als Rechtsanwalt und seinen Vorstandsposten beim Engelhardt-Konzern.
Eisner, dessen Kanzlei in der Friedrichstraße 85 lag, emigrierte nach intensivsten Überredungskünsten seiner Frau im Jahr 1938 in die Niederlande, wurde aber nach dem gewaltsamen Einmarsch der Deutschen Wehrmacht verhaftet und ins Konzentrationslager Westerbork deportiert, wo er glücklicherweise überlebte. Zwei Jahre nach Kriegsende kehrte Eisner nach Berlin zurück und erhielt seine Zulassung als Rechtsanwalt wieder.
Das “Große Schauspielhaus” hieß ab 1934 “Theater des Volkes”
Im von den Nazis 1934 umbenannten Großen Schauspielhaus in „Theater des Volkes“, wo im gleichen Jahr der Leiter des Bayrischen Staatstheaters München, Walther Brüggemann, die künstlerische Leitung übernahm, wurden jetzt deutsche Stücke gespielt, wie etwa „Wallenstein“ oder Lippls bayrisches Volksstück ‚Die Pfingstorgel‘.
Anlässlich der Olympischen Spiele 1936 in Berlin kam die KdF-Revue ‚Freut Euch des Lebens‘ auf die Bühne. 1938 wurde das „Theater des Volkes“ umgebaut und erhielt unter anderem eine speziell für Hitler projektierte ‚Führerloge‘.
Größenwahn in der Friedrichstadt
Die Nationalsozialisten entwickelten nach der Machtübernahme Vorstellungen im ‘Germania-Projekt‘, einem architektonischen Gigantismus ohnegleichen.
So sollten vom Bode- und Pergamonmuseum aus Richtung Weidendammer Brücke zu beiden Ufern der Spree drei gigantische Bauwerke entstehen. In Höhe des heutigen Monbijou-Parks war ein ‚Germanisches Museum‘ geplant, dass sich bis zur Oranienburger Straße hin erstrecken sollte.
Daran weiter anschließend in westlicher Richtung sollte ein noch größeres Museum entstehen, das ‚Ägyptische Museum‘ mit zwei riesigen Pylonen am Spreeufer. Als drittes Bauwerk auf dieser Spreeseite sollte die ‚Ostasiatische Sammlung‘ als Museum entstehen, mit einem ‚hohen Eckturm‘ an der Weidendammer Brücke.
überdimensioniertes “Völkerkundemuseum” sollte an der Friedrichstrasse entstehen
Auf der anderen Spreeseite, also auf dem kompletten Raum zwischen S-Bahn, Friedrichstraße, Spree und Bode-Museum, sollte ein überdimensioniertes ‚Völkerkundemuseum‘ errichtet werden.
Aber der Gipfelpunkt des nationalsozialistischen Größenwahns bildete die Nord-Süd-Achse, mit dem Mittelpunkt des Spreebogens am Reichstagsgebäude und der dort geplanten ‚Großen Halle‘ des Volkes mit einem Fassungsvermögen von 180.000 Menschen.
Gigantische Großbauten sollten der Friedrichstadt “aufgepfropft” werden
Des Weiteren sollten entlang des Schiffbauerdamms weitere Block-Großbauten in die Friedrichstadt „aufgepfropft“ werden. Wäre es zur Ausführung dieser Pläne gekommen, gäbe es das ‚Berliner Ensemble‘, mit samt der angegliederten Nebengebäude, an diesem Standort nicht mehr.
Aber die Geschehnisse des zweiten Weltkrieges ließen von Albert Speers Plänen ganze vier Gebäude übrig, die allerdings nichts mit den Architekturplänen des aberwitzigen ‚Germania-Projekts‘ zu tun hatten, sondern sämtlich bis 1939 bzw. 1940 an der Friedrichstraße als reine Zweck- bzw. Geschäftsbauten errichtet wurden.
Friedrichstrasse: Reale Neubauten im Nationalsozialismus
Bei diesen Neubauten handelte es sich um den 1937 an der Nordwestecke zur Französischen Straße hin gelegenen Erweiterungsbau für die Reichs-Kredit-Gesellschaft, dessen Architekt ein gewisser de Groot war und der mit einer neuen, futuristischen Fassadengestaltung dem Bau einen dem Zweck entsprechenden Ausdruck zu verlieh. Das Gebäude in der Friedrichstraße 168 hatte bis ins Jahr 1999 mit wenigen Veränderungen Bestand und musste im gleichen Jahr dann dem neuen Haus des Beamtenbundes Platz machen.
An der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße wurde bereits 1934 das ‚Haus der Schweiz‘ durch die Architekten Meier und Appenzell errichtet, ein Geschäftshaus, in dem Schweizer Firmen ihre Niederlassungen unterbrachten. Die Fassade ist mit einer Bronzestatue geschmückt, die eine Armbrust und einen Apfel trägt und somit auf die Schweizer Nationalheldensage Wilhelm Tells verweist. Das Haus ist an dieser bereits seit 350 Jahren berühmten Berliner Kreuzung mittlerweile das älteste Haus.
Südliche Friedrichstrasse: Bis 1940 entstand das imposante “Gau-Arbeitsamt”
Ein heute noch imponierendes Gebäude ist das von den Architekten Fritsche und Löhbach in den Jahren 1938 bis 1940 erbaute ‚Gau-Arbeitsamt‘, das sich von der südlichen Friedrichstraße bis zur Charlottenstraße erstreckt. Ein achtgeschossiger Hochhausturm kombiniert mit sechsgeschossigen Seitenflügeln.
Allerdings wurde es bereits im März 1940 dem von Hitler neu ernannten ‚Minister für Bewaffnung und Munition‘, Todt, zugewiesen, der vorher ‚Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen‘ war. Erst im Jahr 1952 wurde das Gebäude dann für den ursprünglich angedachten Zweck als Landesarbeitsamt genutzt, aktuell auch heute noch.
In die Friedrichstraße zog eine völlig neue Nutzerschaft ein
Ein Bau aus der frühen Phase des Nationalsozialismus, das ‚Haus Friedrichstadt‘ mit der Hausnummer 194-199, ist ein Indiz dafür, wie in sich verändernden politischen Zeiten auch die Mieter und Nutzer ändern, denn hier zogen nach der Machtübernahme der Nazis Institutionen ein, die dem neuen politischen Geist entsprachen: Deutsches Sprachpflegeamt, Reichsschrifttumkammer und Reichssachenschaft für das Dolmetscherwesen in der Deutschen Rechtsfront.
Das Gebäude wurde in den Jahren 1934 und 1935 nach Plänen des Architekten Baumann errichtet und nach Schäden im zweiten Weltkrieg im Jahr 1950 mit leichten Veränderungen wiederhergestellt. Ein weiterer Umbau erfolgte nach dem Fall der Berliner Mauer in den Jahren 1993 und 1994. Ab 2009 zogen Banken und Immobiliengesellschaften in das Gebäude ein; es erfährt aktuell eine weitere Rekonstruktion.
Veräußerung jüdischer Unternehmen
Dieser neue ‚politische Geist‘ mit seiner nationalen Rassenhetze gegen die jüdische Bevölkerung überlagerte natürlich auch Unternehmen, die sich seit langem in jüdischem Familienbesitz befanden.
Davon stark betroffen war u.a. auch die Wein- und Feinkosthandlung Kempinski & Co., die schon seit 1874 ihren Stammsitz in der Friedrichstraße hatte und die sich nun aufgrund der von den Nazis vorangetriebenen ‚Arisierung‘ gezwungen sah, die in jüdischem Familienbesitz befindliche Firma an einen Konkurrenten, der Firma Aschinger, zu verkaufen.
Das Unternehmen “Aschinger” profitierte vom neuen politischen Zeitgeist
Der zunehmende politische Druck ließ Kempinski keine andere Wahl, was im nachhinein von Aschinger bei diversen gerichtlichen Streitigkeiten zur Rückübertragung an Kempinski nach Kriegsende bestritten wurde.
Aber der kurzfristige Nutznießer des „Deals“, konnte aus der zweifelhaften Übernahme kein Kapital schlagen und stand kurz nach Beendigung des zweiten Weltkriegs vor dem wirtschaftlichen Ruin. Das Unternehmen Aschinger, eine immerhin angesehene große Gastronomiekette, konnte sich davon nicht mehr erholen.
Das jüdische Unternehmen “Kempinski” erholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg
Kempinski allerdings unternahm nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs einen erneuten Versuch, das Unternehmen wieder aufzubauen. Und so gelang es dem letzten Kempinski-Erben, mit Hilfe des US-amerikanischen Wirtschaftshilfe-Fonds des Marshallplans, das entsprechend notwendige Kapital zu besorgen.
Damit baute er in der City-West, am Kurfürstendamm, ein neues Hotel, das allerdings bereits 1953 wieder verkauft wurde. Die Berliner Kempinski-Ära, die seinen Ursprung in der Friedrichstraße hatte, endete somit. Aber immerhin, der Name blieb erhalten.
Die 1940er Jahre in Berlin: Krieg und Zerstörung
Der Zweite Weltkrieg zerstörte weitgehend die Friedrichstraße, schillernder Glanz und Ruhm der Prachtstraße, die bis kurz vor dem Ende der Schlacht um Berlin im April 1945 die ‚pulsierende Verkehrsader und berauschende Mitte‘ in der Weltmetropole war, versank nach den verheerenden Dauerbombardements der Alliierten in Schutt und Asche.
Danach war Berlin – ganz speziell die Mitte der Stadt – kaum mehr als ein Trümmerhaufen. Betrug bis 1939 die Einwohnerzahl noch 4,3 Millionen, sank diese unmittelbar nach Ende des Krieges auf gerade mal noch 2,8 Millionen.
Bei Bombenangriffen auf Berlin kamen 50.000 Menschen ums Leben
Bei den massiven Bombenangriffen kamen 50.000 Menschen ums Leben, 600.000 Wohnungen waren zerstört und die Gas-,Wasser-und Stromversorgung war weitestgehend unterbrochen.
Dazu kam, dass die ehemalige Hauptstadt des Deutschen Reiches schnell zur geteilten Stadt wurde, denn die Alliierten hatten in der Anti-Hitler-Koalition eine gemeinsame Besatzung unter einer gemeinsamen Verwaltung beschlossen, aufgeteilt in vier Sektoren.
Berlin nach 1945: Teilung der Stadt
Allerdings hielt diese gemeinsame Verwaltung nicht lange, denn nach dem Ende der Vier-Mächte-Verwaltung im Juni 1948 gründeten die West-Alliierten eine eigene Kommandantur und nach Einführung einer neuen Währung in Teilen Deutschlands und Berlins, die von den Westmächten regiert wurden, kam es zur Blockade West-Berlins durch die sowjetischen Besatzer.
Diese Sektorengrenze verlief zwischen dem sowjetischen Sektor und dem von den westlichen Alliierten regierten Teil der Stadt, gelegen an der südlichen Zimmerstraße, in unmittelbarer Nähe zum U-Bahnhof Kochstraße. Diese Grenze zerschnitt die Stadt und sie zerstörte die Friedrichstraße.
Die Sektorengrenze zerstörte die einstige Friedrichstraße
Aus dieser Sektorengrenze innerhalb Berlins wurde eine Grenze zwischen zwei Systemen. Bisher war sie nur eine unsichtbare Grenzlinie, die seit der Bildung Groß Berlins im Jahr 1920 die Stadtbezirke Mitte und Kreuzberg miteinander verband, aber mit dem Mauerbau im August 1961 wurden diese beiden Stadthälften am ‚Checkpoint Charlie‘ voneinander getrennt.
Im sowjetischen Sektor lag der Bahnhof Friedrichstraße, den man vom Westteil der Stadt mit U- und S-Bahn erreichen konnte. Aber die Teilung der Stadt war bereits vor dem Mauerbau vorangetrieben worden, mit zwei Bürgermeistern, zwei Stadtverordnetenversammlungen, zwei Währungen und zwei Staaten, zuerst die Gründung der BRD und kurz danach die der DDR im Jahr 1949.
Somit hinterließ der zweite Weltkrieg nicht nur physische, sondern auch psychische Trümmer, die insbesondere das Bild des Stadtzentrums prägten. Für die Friedrichstraße bedeutete dies zukünftig zwei unterschiedliche städtebauliche Bebauungspläne.
Fortsetzung folgt.
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