Der Neubau der Berliner Zentral- und Landesbibliothek kommt nicht so recht voran. Erst wurde der Baustart für das Projekt auf das Jahr 2027 verschoben, nun gibt es zudem Diskussionen um die Standortwahl am Blücherplatz in Kreuzberg. Offensichtlich erwägt die Koalition, das Projekt an einer Stelle zu realisieren, die bereits von Klaus Wowereit favorisiert worden war: am ehemaligen Flughafen Tempelhof.

Die Amerika-Gedenk-Bibliothek am Kreuzberger Blücherplatz. Hier sollte der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek eigentlich entstehen. Nun gibt es jedoch in der Koalition offenbar Uneinigkeit über die Standortwahl.

© Titelfoto: depositphotos.com
Text: Björn Leffler

 

Eigentlich war der Plan für den Neubau der Zetral- und Landesbibliothek klar umrissen. Am Standort Blücherplatz, unweit des Mehringplatzes, wo heute bereits die Amerika-Gedenkbibliothek steht, sollte der Neubau der “ZLB” entstehen.

Inklusive der bereits bestehenden 7.000 Quadratmeter der Amerika-Gedenkbibliothek sollten durch die Erweiterung rund 38.000 Quadratmeter Nutzfläche entstehen. Bis zu 6.000 Personen sollten sich im Gebäude zukünftig gleichzeitig aufhalten können, an 360 Tagen im Jahr.

Projekt der Superlative: “ZLB”-Neubau für 10.000 Besucher täglich

Das Gebäude sollte bis zu 16 Stunden am Tag geöffnet sein. Gerechnet wurde mit rund 10.000 Besuchern täglich. Damit würde am Blücherplatz der größte Bibliotheksstandort Deutschlands entstehen. Rund 60 Prozent der entstehenden Flächen sollten Publikumsflächen werden. Darüber hinaus waren Schulungs- und Gruppenräume in verschiedenen Größen geplant.

Der anstehende Architekturwettbewerb sollte als zweiphasiger, hochbaulicher und offener Realisierungswettbewerb durchgeführt werden, der sowohl den Bau des Gebäudes als auch die Gestaltung der Freiflächen rund um die Bibliothek mit einschließen sollte. Die Blücherstraße würde im Rahmen des Bauprojekts für den Autoverkehr gesperrt werden.

Im September 2022 wurde der Baustart auf das Jahr 2027 verschoben

Mitte September 2022 verkündete dann Finanzsenator Daniel Wesener (Die Grünen), dass der geplante Baustart des Projekts um ein Jahr verschoben werden müsse, von 2026 auf 2027, was bei den Projektinitiatoren verständlicherweise wenig Begeisterung auslöste. Denn der Bau des Gebäudes ist seit vielen Jahren geplant, wurde letztlich aber immer wieder nach hinten verschoben. Die nun kommunizierte Verschiebung ist also nur eine von vielen, die bereits vorausgegangen waren.

Viel gravierender jedoch ist die aufkommende Diskussion um den richtigen Standort für die neue Zentral- und Landesbibliothek. Ein Thema, welches eigentlich längst abgeschlossen zu sein schien.

Klaus Wowereit wollte den Neubau am Rande des Tempelhofer Feldes errichten

Als sich im Mai 2014 knapp 65 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Volksentscheids zum Tempelhofer Feld gegen eine Bebauung der Freifläche aussprachen, waren damit nicht nur die Wohnungsbaupläne der von Klaus Wowereit geführten, großen Koalition dahin.

Auch das Vorhaben, am Rande des Tempelhofer Feldes für 270 Millionen Euro eines von Wowereits Herzensprojekten – den Neubau für eine Zentral- und Landesbibliothek – zu realisieren, löste sich mit dem Ergebnis des Volksentscheids in Luft auf. Und das Ergebnis des Volksentscheids hat bis heute Bestand.

2018 fiel die Wahl auf den Standort am Blücherplatz in Kreuzberg

Trotz der damals notwendig gewordenen Neuplanung wurde weiter an der Umsetzung des Projekts gearbeitet. So wurde eine Kostenschätzung angestrengt – zwischen 350 und 500 Millionen Euro würde ein solcher Bau wohl kosten – und eine Standortfindung durchgeführt.

Zwei Standorte waren in der engeren Auswahl. Das Marx-Engels-Forum in Mitte, direkt gegenüber vom neu errichteten Humboldt Forum, und der Blücherplatz in Kreuzberg. Der Standort am Halleschen Tor wurde letztlich ausgewählt, um einen möglichen Neubau zu realisieren.

Neubau der ZLB: Senatsverwaltung hat Zweifel am Standort Blücherplatz

Nach Informationen des Tagesspiegel gibt es nun seitens der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Bestrebungen, über den Standort am Blücherplatz noch einmal neu nachzudenken. Dem Vernehmen nach favorisiert die Senatsverwaltung viel eher eine Integration des Neubaus in die Bestandsgebäude auf dem Flughafen Tempelhof.

Offiziell ist das Vorhaben nicht bestätigt, intern scheint es jedoch Vorbehalte gegen den Standort am Halleschen Tor in Kreuzberg zu geben. So werden hohe Baukosten aufgrund der Nähe zum Landwehrkanal und dadurch zu erwartende, aufwendige Bauverfahren befürchtet.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hält an den bestehenden Plänen fest

Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Die Grünen) hält dennoch an den Neubauplänen für den Blücherplatz fest. Sie stellte klar: “Der Erhalt des wertvollen Baumbestandes und Klimaneutralität sind für die Nachbarschaft und den Bezirk von besonderer Bedeutung.

Das Szenario, die neue “ZLB” in die bestehenden, denkmalgeschützten Gebäude des ehemaligen Flughafens Tempelhof zu integrieren, hätte eine in weiten Teilen völlige Neuplanung des Projekts zur Folge – und damit vermutlich weitere Verzögerungen und einen noch späteren Baustart.

Generaldirektor der ZLB vermisst politische Rückendeckung für das Projekt

Volker Heller, Generaldirektor der Landesbibliothek, befürchtet, dass das Projekt erneut verschoben wird, wenn der Standort Blücherplatz wieder infrage gestellt wird. Zudem äußerte er Unzufriedenheit in Richtung Stadtentwicklungsverwaltung: “Ich kann nicht erkennen, dass das Projekt mit großem Enthusiasmus vorangetrieben wird. Das Gegenteil scheint der Fall.

Der kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Robbin Juhnke, hat die eigentlich nicht öffentlich geäußerten Pläne der Stadtentwicklungsverwaltung ebenfalls scharf kritisiert. So äußerte sich wie folgt dazu: “Das halte ich für Unfug. (…) Nur weil der Senat für die Nutzung des ehemaligen Flughafengebäudes kein Konzept besitzt, darf die ZLB nicht zum Notnagel werden.

Beschlossene Projekte werden immer wieder infrage gestellt

Am Beispiel des Landesbibliothek-Projekts wird erneut deutlich, dass die rot-grün-rote Regierungskoalition bei der Umsetzung von städtebaulichen Projekten einerseits immer häufiger in Konflikte mit den jeweiligen Bezirken gerät – wie beim Projekt “Urbane Mitte” – und andererseits eigentlich schon beschlossene Projekte auf den Prüfstand stellt.

Nicht nur der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek ist hierzu zu zählen, sondern beispielsweise auch der Bau einer Freitreppe am Humboldt Forum, der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aus Kostengründen blockiert wird, obwohl der Bau der Treppe in der vorangegangenen Legislaturperiode beschlossen worden war.

Der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek gehört zu den wichtigsten Bildungs- und Kulturprojekten des Landes Berlin und sollte daher höher priorisiert werden, als er derzeit offenbar wird – unabhängig davon, ob das Projekt am Blücherplatz oder am ehemaligen Flughafen Tempelhof realisiert wird. Das letzte Wort scheint hier jedenfalls noch nicht gesprochen.

 

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Quellen: Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Der Tagesspiegel, CDU Berlin, Bündnis 90/Die Grünen, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

 

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One Comment

  1. Haris 9. November 2022 at 20:54 - Reply

    Den Tempelhofentscheid würde ich dezidiert unabhängig von den anderen Projeken sehen, da Tempelhof Jahre her ist und die Wohnungs- und Bedarfssituation sich in den letzten Jahren drastisch verändert hat. Wir benötigen vorrangig Mut und Gestaltungsdrang in der heutigen Zeit. Weniger Denkverbote und mehr Kreativität. Die Idee der Zentralbibliothek auf dem Gelände hat schon etwas sehr Reizvolles. Die Zeiten von vermeintlich klaren Losungen ist vorbei, nun hat die Stunde unkonventioneller und visionärer Ideen geschlagen … Die Uhr tickt, es ist Zeit, die Stadt neu zu denken.

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