Auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Reinickendorf will die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU ein autofreies Wohnquartier für rund 1.200 Menschen errichten. Eine Bürgerinitiative wehrt sich allerdings gegen das Projekt.
© Titelbild A.Savin, Wikimedia Commons
Text: Stephanie Engler, Björn Leffler
Die Wohnungsnot in Berlin ist groß, und so werden die Stadtplanerinnen und Stadtplaner bei der Suche nach möglichen Standorten zur Schaffung zusätzlichen Wohnraums immer kreativer.
Immer häufiger rücken dabei auch ehemalige Krankenhaus- und Heilanstaltsstandorte in den Mittelpunkt, wie etwa beim Pankower Ludwig-Hoffmann-Quartier im Stadtteil Buch. Das Projekt im nördlichen Berlin ist längst soweit vorangeschritten, dass bereits zahlreiche Bewohner auf der neu geschaffenen Wohnanlage leben.
600 WOHNUNGEN SOLLEN AUF DEM GELÄNDE DER EHEMALIGEN NERVENKLINIK ENTSTEHEN
Auch in Reinickendorf geht man nun offenbar diesen Weg. Das Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik im Stadtteil Wittenau soll in den kommenden Jahren in ein Wohnviertel umgewandelt werden.
Bis zum Jahr 2026 sollen auf einem Teil des Areals rund neue 600 Wohnungen entstehen. Auf dem Gelände sollen nur wenige Parkplätze für die Anwohnerinnen und Anwohner geschaffen werden, das neue Quartier soll überwiegend autofrei werden.
WOHNPROJEKT DER GESOBAU: SORGEN DER ANWOHNER WURDEN ANGEHÖRT
Das Bauprojekt steht noch ganz am Anfang. Das Bezirksamt Reinickendorf, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen sowie die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU hatten vor fast genau einem Jahr zu einem Gebietsspaziergang eingeladen, rund 50 Interessierte waren gekommen.
Gleich zu Beginn der Begehung wurden damsl kritische Stimmen der Anwohnerinnen und Anwohner laut, die nach dem Bau von Luxuswohnungen oder Parkplätzen fragten. Ein Mitarbeiter des Bezirksamts verteilte Stifte und Blöcke, damit alle Fragen notiert werden konnten.
Zahl der Baumfällungen war bereits im November 2022 ein Thema
Außerdem wurden Sorgen geäußert, dass die 135.000 Quadratmeter große Parkanlage nicht bestehen bleiben würde. Wie viele Bäume werden gefällt? Bleibt der Zaun, der das Gelände bisher umgibt? Fragen, die in unterschiedlichen Varianten immer wieder gestellt wurden.
Anschließend an den Begehungstermin im November 2022 hatte sich schließlich eine Bürgerinitiative gegründet, um ihre Vorbehalte gegen das geplante Wohnprojekt gegenüber dem Bezirksamt wirksam und koordiniert formulieren zu können.
Bürgerinitiative kritisiert das Wohnprojekt in seiner jetzigen Konzeption
Die Bürgerinitiative zur Erhaltung des Wittenauer Stadtwaldes hatte am 31. Oktober der Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Kerstin Köppen (CDU), 1.443 Unterschriften überreicht. Das Bezirksamt wird nun die Gültigkeit prüfen, und falls mindestens 1.000 Unterschriften gültig sind, wird der Einwohnerantrag als angenommen gelten. Das würde bedeuten, dass sich die BVV zumindest mit dem Anliegen auseinandersetzen muss.
Laut der Initiative gefährden die GESOBAU-Baupläne der Wohnungsbaugesellschaft zahlreiche Bäume und den Lebensraum verschiedener Wildtiere. Die Initiative betont, dass in Zeiten des vom Senat ausgerufenen Klimawandel-Notstands ein solches Bauvorhaben eigentlich “verboten” sei.
Bürgerinitiative: 244 Bäume könnten dem Wohnprojekt zum Opfer fallen
Nach Angaben der Bürgerinitiative könnten auf dem einstigen Klinikgelände bis zu 244 Bäume gefällt und weitere Flächen versiegelt werden. Daher fordert die Initiative ein ordnungsgemäßes Bebauungsplanverfahren, um die Rahmenbedingungen für Klima-, Natur- und Artenschutz zu sichern. Auch die bisherige Vernachlässigung der Bürgerbeteiligungsrechte wird kritisiert.
Die Antworten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Björn Wohlert im August lassen allerdings noch nicht klar erkennen, ob tatsächlich so viele Bäume gefällt werden müssen.
Senatsverwaltung: Zahl der Baumfällungen steht noch nicht fest
Dies könne erst im Rahmen der Genehmigungsplanung festgestellt werden. Die Verwaltung betont jedoch, dass die wertvollsten Baumbestände erhalten bleiben sollen und dass der vorhandene Baumbestand ein Qualitätsmerkmal des geplanten Wohnquartiers werden soll.
Die Initiative hatte sich bereits im März 2023 mit einer Eingabe an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses gewandt. Dort wurde ebenfalls der fehlende Bebauungsplan und die mangelnde Bürgerbeteiligung kritisiert.
Der Senat verfolgt das Wohnprojekt trotz der Kritik weiter
Die Senatsverwaltung erklärte, dass das Anliegen der Petition mit dem Pflege- und Entwicklungskonzept für die Waldflächen weitgehend erfüllt werde. Trotzdem wird das Bauvorhaben mit etwa 600 Wohnungen vor dem Hintergrund des Wohnraummangels in Berlin weiterverfolgt.
Bisher wurde schon jeder einzelne Baum untersucht und kartografiert. Zwei Bäumen dürfen erst gar nicht gefällt werden, da in ihnen der „Heldbock“, ein in Deutschland vom Aussterben bedrohter Käfer aus der Familie der Bockkäfer, gefunden wurde. Die GESOBAU betonte bislang stets, dass nur 30 Prozent des Geländes überhaupt bebaut werden soll.
DIE EINSTIGE NERVENKLINIK: DUNKLE VERGANGENHEIT UND DENKMALSCHUTZ
Das Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik hat eine lange Geschichte, die 1880 mit der ersten Nervenheilanstalt Berlins begann. Bis 2006 war sie Standort einer psychiatrischen Klinik, zuletzt unter der Bezeichnung Vivantes Humboldt-Klinikum. So sind viele der Gebäude heute denkmalgeschützt.
Die dunkle Seite des Areals geht zurück auf die Zeit des Nationalsozialismus. Denn die Klinik spielte eine zentrale Rolle bei der systematischen Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen.
So findet sich im Süden des Geländes sogar noch der alte Anstaltsfriedhof. Mittlerweile ist er ein Gedenkort und wird wie das Krankenhaus des Maßregelvollzugs auf dem Gelände verbleiben. Dies wurde schon im Vorfeld der Planungen vom Land Berlin garantiert.
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Quellen: Berliner Woche, Bezirksamt Reinickendorf, Architektur Urbanistik Berlin, Wikipedia, Berliner Morgenpost, GESOBAU
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2. November 2024
“Not in my back yard” scheint in Berlin zunehmend die Devise zu sein. Wenn man in eine Großstadt wohnt, muß man in Zeiten von Wohnungsknappheit auch Abstriche akzeptieren. M. m. n. ist Umweltschutz hier nur vorgeschoben. Lieber verdichten als Berlin noch mehr ausdehnen.