Im Südwesten Berlins plant die rot-grün-rote Koalition einen schrittweisen Rückbau mehrerer Stadtautobahn-Trassen. Der Berlin-Brandenburger Architekten- und Ingenieurverein hat visualisiert, wie die Stadtlandschaft nach dem Abriss der Stadtautobahn aussehen könnte.
© Visualisierungen: Patzschke Planungsgesellschaft mbH (weitere Visualisierungen sind am Ende des Textes zu finden)
Das Thema Autobahn-Bau gehört in Berlin zu den schwierigsten und am meisten diskutierten Stadtentwicklungsthemen der vergangenen Jahre. Allein der Weiterbau der Autobahn A100, vom zukünftigen Abschluss am Treptower Park weiter bis zur Storkower Straße erhitzt die Gemüter vieler Anwohnerinnen und Anwohner, die unvermindert gegen die Weiterführung des Projekts protestieren.
Auch die weiterhin “grün” geführte Senatsverkehrsverwaltung scheint diesem Projekt skeptisch gegenüberzustehen. So ließ die mittlerweile aus dem Amt geschiedene Verkehrssenatorin Regine Günther beim geplanten Neubau der Elsenbrücke über die Spree, zwischen Treptow und Friedrichshain, zwar neue Gleise einplanen, aber keine zusätzlichen Spuren für eine Weiterführung der A100 bis zum Prenzlauer Berg.
Bettina Jarasch steht der autogerechten Verkehrsplanung kritisch gegenüber
Auch ihre Nachfolgerin im Amt, die im letzten Wahlkampf knapp geschlagene Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, steht dem Thema Weiterbau der A100 ausgesprochen skeptisch gegenüber. Etwas weiter will die Regierungskoalition sogar im Berliner Südwesten gehen. Wie wir bereits im Dezember 2021 berichteten, sollen dort mehrere Stadtautobahn-Trassen zurück gebaut werden.
In West-Berlin wurde seit April 1956 der Bau der neuen Stadtautobahn forciert. Während das Straßenbahnnetz vollständig zurück gebaut wurde, wurde die infrastrukturelle Ausrichtung der Stadt stark auf das Auto ausgerichtet (ergänzt durch das U- und S-Bahnnetz).
West-Berlin: Bau der Stadtautobahn durch dicht besiedelte Wohngebiete
Der Bau der Stadtautobahn wurde durchaus kompromisslos auch durch dicht besiedelte Wohngebiete der Westhälfte der Stadt geführt und hat dadurch deutlich überdimensionierte Trassen geschaffen, die von vielen Anwohnerinnen und Anwohnern in den betroffenen Stadtquartieren seit vielen Jahren als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden.
Beispielhaft für diese Entwicklung steht die Autobahnbrücke über dem Breitenbachplatz im Ortsteil Dahlem (Bezirk Steglitz-Zehlendorf). Das 1980 eingeweihte Bauwerk dominiert den Stadtplatz vollends, wirkt in seiner Massivität aber tatsächlich deplatziert.
Abriss der Autobahn am Breitenbachplatz wird seit vielen Jahren diskutiert
Seit mehreren Jahren diskutieren Anwohner, Bürgerinitiativen und Politiker darüber, welche Folgen ein Abriss für die städtebauliche Entwicklung des Platzes aber auch für die Verkehrsentwicklung in diesem Stadtraum haben könnte.
Der Architekten und Ingenieurverband Berlin-Brandenburg, kurz “AIV”, hat unter Federführung seines Vorsitzenden, Tobias Nöfer, und Architekt Robert Patzschke, der ebenfalls Mitglied im Vorstand des “AIV” ist, das Thema aufgenommen und forderte bereits im Sommer 2021 einen Abriss der Autobahn 104 und eine Neugestaltung der neu entstehenden Stadträume.
“AIV” fordert Abriss der Autobahn und Neugestaltung des Stadtraums
Der Verband hat, um die städtebaulichen Potenziale zu verdeutlichen, die eine solche Neuausrichtung des Stadtraums mit sich bringen würden, erste Visualisierungen veröffentlicht, die den Breitenbachplatz und angrenzende Stadtteile ohne das Autobahn-Bauwerk zeigen.
Robert Patzschke hat daher Testentwürfe angefertigt und neue Baukörper in die vorhandene Baustruktur eingefügt. Diese städtebaulichen Skizzen sollen Politik, Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger dazu ermutigen, eine zukunftsweisende, städtebauliche Position zu beziehen und den Umbau entschieden anzugehen.
Tobias Nöfer äußert sich wie folgt zum Thema: “Der Abriss der Autobahnbrücke über dem Breitenbachplatz ist durch ein Verfahren mit Gutachten und Bürgerbeteiligung auf den Weg gebracht. Doch geht das Denken nicht weit genug, denn ein Rückbau nur dort wäre Stückwerk. Deswegen treten wir für den Komplettabriss ein.”
“AIV” macht sich für Paradigmenwechsel der Stadtentwicklung stark
Der “AIV” hat bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass er sich für einen Paradigmenwechsel in Richtung nachhaltige Stadtentwicklung und Städtebau einsetzt und aktiv daran mitwirken möchte, Dynamik in diese Bewegung zu bringen.
Nöfer führt zum Thema noch weiter aus: “Unsere Städte stehen vor einem grundsätzlichen Wandel: Angesichts der nicht länger zu leugnenden Klimakrise kann es ein ‘Weiter so’ im Städtebau nicht geben. Der Abschied von der ‘autogerechten Stadt’ des 20. Jahrhunderts ist ein Thema, das umgehend und konsequent angegangen werden muss.“
Hans Stimmann: “Große Chancen für die Errichtung neuer Wohnungen”
Dabei hat der Verein prominente Unterstützer, wie etwa den ehemaligen Staatssekretär für Stadtentwicklung, Hans Stimmann. Er sagt: “Die Stadt kann verlorengeglaubte Qualitäten eines urbanen Lebensraums im menschlichen Maßstab wiedergewinnen. Verdichtete, schöne und lebenswerte Städte schützen die Landschaft vor weiterer Zerstörung. Es eröffnen sich zudem große Chancen für die Errichtung einer großen Zahl neuer Wohnungen (…).”
Der “AIV” betont, wie auch viele Anwohnerinnen und Anwohner des Breitenbachplatzes in Steglitz-Zehlendorf, die infrastrukturelle Sinnlosigkeit des Autobahn-Bauwerks. Denn nachdem die Planung einer Westtangente schon vor Jahrzehnten aufgegeben wurde und die Schnellstraße in eine Tempo-30- Zone mündete, wurde die Bundesautobahn A 104 schon vor über 15 Jahren entwidmet.
Das Vorhaben ist Teil des Koalitionsvertrags
Das Thema wurde immerhin auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Hier heißt es zu diesem Thema: “Die Koalition wird den Rück- und Umbau überdimensionierter Relikte der autozentrierten Stadt weiter vorantreiben, indem für Projekte wie den Rückbau der Breitenbachplatzbrücke/Tunnel Schlangenbader Straße mit konkreten Planungen begonnen wird und weitere Projekte, wie beispielsweise der Umbau des Bundesplatzes, identifiziert und zur Umsetzung gebracht werden.“
Einen konkreten Zeitplan für den Abriss der genannten Trassen gibt es also noch nicht. Für die betroffenen Kieze ist es dennoch ein wichtiges Signal, dass ein möglicher Umbau erstmals konkret untersucht wird. Es wäre für viele der betroffenen Areale und Stadtplätze womöglich die Chance, den urbanen, kleinteiligen Charakter zurück zu erlangen, den sie vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und den verkehrsorientierten Wiederaufbau in den West-Berliner Nachkriegsjahren hatten.
Wie dies zukünftig aussehen könnte, hat das Architekturbüro Patzschke, welches noch im Januar 2022 beim BDA-Publikumspreis siegreich war, anschaulich visualisiert. Eine Rückkehr vieler überbauter und aus dem Stadtbild verschwundener Stadtplätze scheint, wenn man diesen Visualisierungen folgen würde, wieder möglich. Als nächstes wäre nun aber erst einmal die Politik am Zug.
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© Visualisierungen: Patzschke Planungsgesellschaft mbH
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2. November 2024
Der Abriß von innerstädtischen Autobahnen müßte ein wirklich linkes Ziel sein und nicht nur für die drei linksparteien entspannend, sondern für jeden Bürger, der in dieser Stadt lebt und weniger Umweltverschmutzung möchte …außerdem würde ein solcher Abriß der Beruhigung der Sinne nützen und für Verfeinerung der Ästhetik.
[…] verfolgt in infrastruktureller Hinsicht längst andere Pläne und beschäftigt sich eher mit dem Rückbau der Stadtautobahn im Berliner Südwesten. Für das Quartier am Bahnhof Südkreuz boten sich dafür vollkommen neue […]
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