Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Im sechsten Teil widmen wir uns dem wachsenden Verkehrsaufkommen und dem damit einhergehenden Einzug motorisierter Verkehrsmittel. Gleichzeitig entstand in der südlichen Friedrichstadt ab Ende des 19. Jahrhunderts eines der größten Zeitungsviertel weltweit.
© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler
DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE
Teil 6 – Einzug der Moderne
Zu den ersten fünf Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier
Verkehrswachstum
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die noch recht beschauliche Friedrichstraße ihren Charakter verloren und der zunehmende Berufsverkehr nahm aufgrund der unter anderem im Norden der Friedrichstraße angesiedelten Maschinenbauunternehmen Borsig und Egells – der frühere Kompagnon Borsigs – rasant Fahrt auf.
Allein Borsig beschäftigte über 1.000 Arbeiter, die nicht mehr, wie früher üblich, auf dem Werksgelände oder in unmittelbarer Nähe des Unternehmens wohnten, sondern die vorhandenen Verkehrsmöglichkeiten nutzten, um von ihren Wohnquartieren aus ihrer Tätigkeit in den Betrieben nachzugehen.
Wachsender gewerblicher und privater Personenverkehr in der Friedrichstraße
Ebenso intensivierte sich der gewerbliche Geschäfts- sowie der private Personenverkehr durch den permanent wachsenden Handel und die Geschäftstätigkeit in der Friedrichstraße insgesamt.
Der Verkehr, der zu dieser Zeit hauptsächlich mit Pferdestraßenbahnen bewältigt wurde, bekam durch die Zulassung der ersten Pferde-Omnibusse die erste ernsthafte Konkurrenz, die aber zur Bewältigung des Verkehrsaufkommens in der Friedrichstraße mehr als notwendig wurde.
Pferde-Straßenbahnen und -Omnibusse prägten das Stadtbild im 19. Jahrhundert
Anfangs wurden die Omnibusse verstärkt zu Ausflügen außerhalb der damaligen Stadtgrenze genutzt, aber durch die zunehmende Intensivierung des Verkehrs in der Friedrichstraße wurden auch diese Pferde-Omnibusse als zusätzliche Transportkapazität für den innerstädtischen Verkehr eingesetzt.
Die Friedrichstraße wurde somit zu einer außerordentlich wichtigen Verbindungsstraße Berlins, sowohl außerhalb der beiden Enden – Oranienburger Tor und Leipziger Straße – als auch innerhalb der Stadtgrenze.
Friedrichstrasse: Erste elektrische Straßenbahn 1896
Im Zuge der weiteren Zunahme des Verkehrsaufkommens wurde die Friedrichstraße durch Siemens zum Einsatz von elektrischen Straßenbahnen voll elektrifiziert. Diese Umstellung war 1902 komplett abgeschlossen. Bereits 1896 war die erste elektrische Straßenbahn durch die Friedrichstraße gefahren.
Der Verkehr nahm zum Ende des 19. Jahrhunderts dramatische und beängstigende Züge an, denn die Einwohnerzahl Berlins hatte sich in den zurückliegenden vier Jahrzehnten nahezu vervierfacht und betrug 1890 rund 1,6 Millionen Einwohner und stieg bis 1905 auf zwei Millionen an!
Berlins wachsende Bevölkerung stellte die Verkehrsplaner vor Probleme
Die Dringlichkeit des zu bewältigenden Verkehrschaos unterstreichen auch die statistischen Erhebungen durch Beamte des Polizeipräsidiums aus dem Jahr 1892, die an einem Tag an der Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden gemacht wurden. Rund 118.000 Passanten wurden in 18.071 Wagen jedweder Art in einem Zeitraum von 16 Stunden transportiert.
Das Straßenverkehrsaufkommen hatte sich somit innerhalb der letzten vier Jahrzehnte fast vervierfacht, analog zum Bevölkerungswachstum im gleichen Zeitraum.
Das Zeitalter der Automobile mit Verbrennungsmotor begann
Neben der im Jahr 1902 abgeschlossenen Elektrifizierung und dem Einsatz der ersten elektrischen Straßenbahnen, mussten aber mehr „Pferdestärken“ her, denn die von Pferden gezogenen Omnibusse lösten das Problem der Verkehrsdichte nicht wirklich, so dass mit der Entwicklung des Verbrennungsmotors und dem Einsatz von Omnibussen mit eben diesen neuartigen Antrieben eine weitaus effektivere Transportvariante zur rechten Zeit kam.
Es dauerte nicht lang und die mit Verbrennungsmotoren angetriebenen Omnibusse hatten die Pferdeomnibusse verdrängt. Die neuen Omnibusse kamen vor dem Hintergrund des zunehmenden Verkehrsaufkommens, unterstützt durch den Berliner Magistrat, relativ schnell als Doppeldecker zum Einsatz.
1902 fuhr das erste private Automobil durch die Friedrichstraße
Die Friedrichstraße erlebte 1902 übrigens noch eine weitere Premiere, die des privat betriebenen und polizeilich genehmigten Automobils mit Verbrennungsmotor!
Kaiser Wilhelm II als Oberhaupt des preußischen Staates stand anfangs diesen Kraftfahrzeugen sehr skeptisch gegenüber, aber es dauerte nicht lange und er legte sich selbst ein solches „neuartiges Fahrzeug“ zu und wurde letztendlich ein glühender Anhänger des Motorsports.
Die Friedrichstraße erhielt ab 1878 ihren eigenen Bahnhof
Der Friedrichstraße, als längste Straße Berlins, wurde zur Bewältigung des Verkehrsaufkommens der Bahnhof Friedrichstraße aufgepflanzt, zuerst mit dem Zugbetrieb der Berliner Stadtbahn, der dann am 30.Januar 1923 mit dem U-Bahnhof erweitert wurde – eine weise Entscheidung des Berliner Magistrats.
Allerdings musste mit dieser Entwicklung zu einem Verkehrsknotenpunkt in der engen Friedrichstraße mit S- und U-Bahnen, Straßenbahnen, Omnibussen und dem zunehmenden Fernverkehr der Bahnhof Friedrichstraße zwischen1914 und 1925 als Doppelhalle neu gebaut werden.
Ergebnis dieses nicht mehr zu kontrollierenden Verkehrs, der allmählich dem Berliner Magistrat aus den Händen glitt, war die Zunahme der Zahl von Kollisionen zwischen Pferdebahnen, Droschken, Kraftfahrzeugen, Last- und Privatfuhrwerken, Handwagen, Omnibussen, Radfahren und Passanten.
Verkehrspolizist an der Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden
Dieser „ungeregelte“ Verkehr konnte so nicht mehr weitergehen, so dass 1902 an der Kreuzung Friedrichstraße / Unter den Linden der erste Berliner Verkehrspolizist mit einer Trillerpfeife seine Tätigkeit aufnahm mit dem Versuch, mit Hilfe seines Verstandes und seinen Armen die Verkehrsströme in die richtigen Bahnen zu lenken.
Aber der Verkehr war so laut, dass der Verkehrspolizist sich mit der Trillerpfeife kein Gehör mehr verschaffen konnte, so dass die preußischen Beamten Abhilfe geschaffen haben, indem sie den bewussten Verkehrspolizisten mit einer Trompete ausstatteten, um damit dem vorbeifließenden Verkehr den sprichwörtlichen „Marsch zu blasen“.
Berlin – Hauptstadt des Deutschen Reiches
Die von Reichskanzler Otto von Bismarck initiierte Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches im Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles stellte einen Wendepunkt für das jetzt geeinte Deutschland und vor allem für Berlin als jetziger Hauptstadt des Deutschen Reiches dar.
Die nach dem gewonnenen Krieg den Franzosen aufgebürdeten Reparationszahlungen bescherten dem Deutschen Reich und speziell der neuen Hauptstadt einen regelrechten Geldsegen, der weitreichende Konsequenzen mit sich brachte. So herrschte in Deutschland und vor allem in der Hauptstadt eine regelrechte Goldgräberhysterie, die einen Bauboom auslöste.
Berlin ab 1871: Bauboom durch kriegsbedingten Geldsegen
Diese plötzlich scheinbar unbegrenzt verfügbaren finanziellen Ressourcen führten zu sprichwörtlich massenhaften Gründungen von Aktiengesellschaften, in deren Folge komplette Industriezweige ihren Sitz und die Produktion nach Berlin verlegten, was wiederum den stetigen Zustrom weiterer Bevölkerungsschichten aus Deutschland und dem Ausland verursachte.
Der fieberhaft ausgebrochene Bauboom machte sich in Berlin vor allem in den großen Straßen, natürlich auch in der Friedrichstraße und deren Nebenstraßen, bemerkbar. Es entstanden an den Boulevards Prachtbauten kolossalen Ausmaßes, nicht nur was die Höhe der Gebäude betraf, sondern auch hinsichtlich der Verwendung von gediegenen und edlen Baustoffen, sowie der konstruktiven und architektonischen Gestaltung der Gebäude inklusive ihrer Fassaden.
Neue Architektur in der Friedrichstraße
Und so fanden im letzten Jahrzehnt des 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts in der Friedrichstraße Architekturwettstreite statt, ausgelobt von den unterschiedlichsten Auftraggebern, bei denen letztendlich die Architekten versuchten, sich hinsichtlich Genialität und Erfindungsreichtum ihrer Entwürfe zu übertreffen.
Das Bild der Friedrichstraße lässt das auch heute noch erkennen, trotz der in den letzten Jahrzehnten vorgenommenen Veränderungen im Straßenbild. Etwas dominierend kristallisierte sich beispielsweise die Jugendstilarchitektur heraus, heute noch zu sehen in der Friedrichstraße 182, wo das „Salamander-Haus“ entstand.
Jugendstil und venezianische Einflüsse in der Fassadengestaltung
Generell muss man konstatieren, dass sowohl in der Friedrichstraße als auch in der Leipziger Straße und am Hausvogteiplatz, wo sich Unternehmen der Konfektionsbranche niederließen, architektonische Stilmittel eingesetzt wurden, die vorher in Berlin ihresgleichen suchten.
So wurden etwa Fassadengestaltungen nach dem Vorbild venezianischer Paläste umgesetzt. Auch der Einsatz von hellem schlesischen Sandstein wurde umgesetzt. Schaufenster bis hinunter in den Souterrain, großzügige Fensterfronten, Erker und Dachabdeckungen mit Kupfer und Fassadenverkleidungen aus heller Bronze, blaugrünem Labrador oder Glasmosaike gehörten zu den Gestaltungselementen dieser Zeit.
Investoren und Versicherungsgesellschaften
Um die Jahrhundertwende hatte sich Berlin als Metropole etabliert und das Areal um die Friedrichstraße, Leipziger Straße und Unter den Linden hatte sich quasi zum Herz der Hauptstadt entwickelt.
Die Friedrichstraße wurde auch aufgrund der herrschaftlichen Bauten mit den prunkvollen Fassaden mehr und mehr zu einer attraktiven Geschäftsadresse, die naturgemäß für eine nicht unerhebliche Zahl von Investoren interessant war.
Viele Versicherungsgesellschaften siedelten sich in der Friedrichstraße an
Hierbei stachen vor allem in- und ausländische Versicherungsgesellschaften heraus, die sich vielschichtig um die Friedrichstraße gruppierten. Erwähnt seien hier große internationale Gesellschaften, wie die London & Larenshire five Insurance Company in Liverpool oder die Liverpool u. London u. Globe Versicherungsgesellschaft für Feuer.
Als inländische Versicherung, die gut 20 Jahre lang in der Friedrichstraße 191 residierte, sei die „Deutsche Feuerversicherung-Aktiengesellschaft“ genannt. Übrigens sitzt in diesem Gebäude heute der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
Versicherungen profitierten stark vom wirtschaftlichen Aufschwung
In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist aber unbedingt das auf vielen zeitgenössischen Abbildungen zu sehende Eckgrundstück Friedrichstraße / Leipziger Straße der Equitablen Lebensversicherungs-Gesellschaft der Vereinten Staaten, New York. Diese Gesellschaft kaufte 1888 das gesamte Grundstück, um dort mit einer erstaunlichen Architektur einen Neubau entstehen zu lassen.
Die Ansiedlung dieser vielen kleinen und großen Versicherungen in Berlin beruhte natürlich auf der stark zunehmenden Industrialisierung in der Hauptstadt, so dass die Versicherungsbranche regelrecht aufblühte und somit Anteil nahm am wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg der Stadt.
Die Investoren aus der Branche richteten dabei ihr Augenmerk nicht nur auf die Lage im Zentrum der Metropole, sondern auch auf renommierte Architekten, die ihre Repräsentationsansprüche in die Tat umzusetzen wussten.
Zeitungen, Druckereien und Verlage
Im südlichen Teil der Friedrichstadt hatte sich an der Schwelle vom 19. zum 20.Jahrhundert das Zeitungsviertel etabliert, wohingegen in der mittleren Friedrich- und Behrenstrasse Banken und Versicherungen ihr Domizil gewählt hatten.
Ausschlaggebend für die Ausbreitung des Zeitungsviertels waren vom preußischen Staat durchgeführte Steuervergünstigungen und die in diesem Areal bereits vorhandenen Druckereien.
Rund um die Friedrichstraße gab es eines der größten Zeitungsviertel weltweit
Wesentlich beteiligt am Aufschwung des Zeitungswesens war allerdings auch die in der Charlottenstraße – also in unmittelbarer Nähe – liegende wichtigste deutsche Nachrichtenquelle, das Wolffsche Telegraphenbüro. Von der Charlottenstraße aus hielt das Büro Kontakt zu Korrespondenten und ihren eigenen großen Agenturen weltweit.
Die in der Jerusalemer-, Koch- und Zimmerstraße liegenden kleineren Nachrichtenbüros, Druckereien und Verlage rundeten das Leistungsprofil im Zeitungsviertel ab.
Herausgeber Rudolf Mosse prägte das Medienwesen seiner Zeit
Der Vater der Sensationspresse und Herausgeber des zweimal am Tag erschienenen Berliner Tageblatt, Rudolf Mosse, trug mit seinen Nachrichtenübermittlungen wesentlich dazu bei, dass die Welt erfuhr, dass sich „Berlin auf den Weg zur Weltstadt“ aufgemacht hatte.
Mit seiner eigenen Großdruckerei hatte er einen regelrechten „Zeitungspalast“ geschaffen. Nicht weit davon entfernt lag der Scherl-Verlag, der mit seinem Berliner Lokal-Anzeiger und seinen Stadtreportern alles und jedem in Berlin nachjagte, um aktuell zu berichten, was in Berlin geschah.
Mit der nationalsozialistischen Diktatur kam leider auch das Ende des Berliner Tageblatts, denn die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschen Reich ließen die jahrelangen Rettungsversuche im Sande verlaufen, so dass nach dem Tod Mosses der Verlag im Jahr 1932 Konkurs anmelden musste.
Ullstein-Verlag: Aushängeschild des Berliner Zeitungsviertels
Es gab noch einen dritten großen Zeitungsverleger: Leopold Ullstein, der 1880 in der Kochstraße einzog, dem späteren Stammhaus der Ullsteindynastie. Der Ullstein-Verlag galt in Berlin als der größte und modernste Repräsentant des Zeitungsviertels, denn neben der Berliner Zeitung und der Berliner Morgenpost brachte er auch noch die „schnellste Zeitung der Welt“, die B Z am Mittag, heraus.
Die BZ wurde von fliegenden Händlern verkauft und nicht mehr, wie sonst üblich, ausgetragen, womit der Zeitungsstraßenhandel erst so richtig Fahrt aufnahm.
Diese drei großen Zeitungsverlage sorgten dafür, dass die Nachrichten über das Weltgeschehen in ihren Verlagen gebündelt wurde und von dort heraus täglich in die Metropole Berlin mit ihren vielen Millionen Lesern getragen wurden.
Fortsetzung folgt.
Weitere Artikelreihen findet Ihr hier:
https://entwicklungsstadt.de/serie-berlins-luftschloesser-teil-2-der-neubau-der-gedaechtniskirche/
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