Verkehrssenatorin Bettina Jarasch möchte in den kommenden vier Jahren bis zu 50 neue Kiezblocks im gesamten Berliner Stadtgebiet errichten. Viele Bezirke planen bereits die Schaffung von verkehrsberuhigten Quartieren. Probleme bereiten jedoch Finanz- und Personalengpässe.
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Text: Henriette Schubert
Platzmangel, fehlende Sicherheit und keine Aufenthaltsqualität verändern den öffentlichen Raum häufig zu einem reinen Transitort. Auch Berlin hat sich über viele Jahrzehnte von den Bedürfnissen der Menschen entfernt. Zumindest sehen dies zahlreiche Bürgerinitiativen, Kiezbewohner und auch Politiker in der Hauptstadt so.
Eine Verkehrswende hin zu mehr Lebensqualität in der Stadt scheint damit unabdingbar, wie es kürzlich auch Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt forderte. Mit sogenannten Kiezblocks sollen bis 2026 daher sinnvolle Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung umgesetzt werden. Hierbei stehen die Bezirke aber vor diversen Problemen.
Aufenthalts- und Lebensqualität durch Kiezblocks?
Kiezblocks beschreiben Wohngebiete, die ohne Kfz-Durchgangsverkehr funktionieren. Durchfahrtsperren, Einbahnstraßen und Tempolimits verhindern hierbei, dass der Kiez als Abkürzung für Autofahrerinnen und Autofahrer genutzt wird. Der Autoverkehr soll wieder ausschließlich über die in der Stadtplanung auch vorgesehenen Hauptstraßen gelenkt werden.
Dennoch bleiben die Kieze offen für Autos, etwa für Anwohnerinnen und Anwohner, Rettungsfahrzeuge, den Lieferverkehr oder auch die Müllabfuhr. Durch diese Maßnahmen wird der Kiez angenehmer und sicherer für Fußgänger und Radfahrer. Zusätzlich lässt die reduzierte Zahl der Autos im Kiez Flächen frei werden, die somit eine Umnutzung hin zu mehr Aufenthaltsqualität erhalten.
So können Treffpunkte, Sitzgelegenheiten, Sport- und Spielplätze sowie Grünflächen errichtet werden. Für Anwohner nimmt zudem neben dem Verkehrslärm auch die Luftverschmutzung ab. Ziel ist es, durch Kiezblocks wieder Lebensqualität in der Stadt herzustellen. Langfristig führt dieses Konzept jedoch auch zur Aufwertung des Kiezes, wie zum Beispiel durch die Ansiedlung lokaler Gewerbe.
Verkehrsberuhigung: Berliner Senat mit großen Zielen bis 2026
Auch die Senatsverkehrsverwaltung von Berlin erachtet Kiezblocks in vielen Bezirken als überaus sinnvoll. Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Die Grünen) möchte sich daher in den nächsten Jahren für die Errichtung von 30 bis 50 neuen Kiezblocks im gesamten Stadtgebiet einsetzen. Da es bisher aber nur wenige Realisierungen oder konkrete Planungen gibt, gilt es bis 2026 noch einiges zu bewegen, um das ambitionierte Ziel zu erreichen. Auch eine ungleiche Verteilung im Stadtgebiet soll laut Jarasch vermieden werden.
Planungen und Maßnahmen für Kiezblocks im Berliner Stadtgebiet
Der Bellermannkiez in Gesundbrunnen im Berliner Stadtteil Mitte gehört zu den bereits umgesetzten Maßnahmen. In den nächsten vier Jahren sollen in diesem Stadtteil elf weitere Kiezblocks hinzukommen. Nach dem Brüsseler Kiez sind bereits der Sprengelkiez sowie der Flottwellkiez in Planung. Die weiteren acht Orte müssen derweil noch ausgewählt werden.
Auch Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich bis 2026 Ziele gesetzt. Jedes Jahr sollen hier zwei neue Kiezblocks hinzukommen. Für die Gegend um den Klausenerplatz sowie den Karl-August-Platz liegen die Planungen bereits vor. Weitere Planungen sind für die Bereiche um die Rüdesheimer Straße, den Leon-Jessel-Platz sowie den Volkspark Wilmersdorf angesetzt.
Kiezblocks in Planung: Klausenerplatz, Arnimkiez oder Schillerpromenade
Der Stadtteil Pankow hingegen beteiligt bislang noch Anrainer, bevor der Kiezblock für den Arnimkiez kommen kann. Konkrete Pläne liegen hier für die Beruhigung des Komponistenviertels vor, wie das Bezirksamt mitteilte.
Auch andere Stadtteile befinden sich in laufenden Planungen oder ersten Umsetzungsschritten. Neukölln arbeitet an Kiezblocks im Reuterkiez, in Rixdorf sowie entlang der Schillerpromenade, während im Bezirk Treptow-Köpenick der Fokus zunächst auf dem Kungerkiez liegt. Ähnliches gilt für Tempelhof-Schöneberg und die dortige Gartenstadt.
Lokale Verteilung als Problem der Mobilitätswende
Bereits die Auflistung verdeutlicht erste Probleme, denn die Vorhaben befinden sich vorwiegend im Berliner Zentrum innerhalb des S-Bahn-Rings. Darüber hinaus erweisen sich die genannten Straßenzüge bereits ohne die Maßnahmen als verhältnismäßig ruhig. Die Anwohner werden hier zwar weniger von Lärm und Abgasen gestört, engagieren sich jedoch intensiver in Initiativen für die Verkehrsberuhigung.
Niklas Schenker, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (Die Linke), erachtet es als sinnvolle Maßnahme, dort die Errichtung von Kiezblocks zu fördern, wo zivilgesellschaftliche Initiativen bereits aktiv seien, denn sie stünden für den gesellschaftlichen Wunsch nach Veränderung.
Kritisch betrachtet er jedoch die Missachtung der “ärmeren” Kieze, die die Mobilitätswende ebenso benötigen, sich aber weniger aktiv engagieren oder engagieren können. Der größte Handlungsdruck bestünde seiner Ansicht nach jedoch genau in diesen Gegenden.
Friedrichshain-Kreuzberg schlägt anderen Weg ein
Aus diesem Grund entschied sich der Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg für einen anderen Weg, denn der Verkehr soll hier im gesamten Bezirksgebiet beruhigt werden. Dabei geht es nicht darum, die Gebiete zu bevorzugen, in denen die meisten Anwohnerinnen und Anwohner entsprechende Meldungen machten, sondern die Gegenden zu betrachten, die verkehrsbedingt die meisten Probleme aufzeigen.
Die in diesen Quartieren oftmals weniger einkommensstarke und eher migrantisch geprägte Anwohnerschaft tritt zwar weniger offensiv für die Veränderung ein, die Verkehrswende ist hier jedoch genauso unabdingbar.
Peronal und Geld: Zu wenige Ressourcen für umfassende Maßnahmen
Neben der problematischen Verteilung im Stadtgebiet gelten auch knappe Ressourcen als Grund dafür, warum so viele Vorhaben allenfalls auf dem Papier existieren. Seitens des Senats wurden die Mittel für den Fußverkehr zuletzt ausgeweitet, ausreichend Geld stünde damit jedoch nicht zur Verfügung, um eine berlinweite Umsetzung von Kiezblocks zu fördern, wie die Senatsverkehrsverwaltung kritisch anmerkt.
Hinzu gesellt sich das Personalproblem der Bezirke. Seit dem Beschluss des Fußverkehrsteils des Mobilitätsgesetzes steht es jedem Bezirk gesetzlich zu, zwei zusätzliche Fußverkehrsplaner einzustellen. Diese Posten sind bislang, außer in Friedrichshain-Kreuzberg, jedoch nicht besetzt, wodurch Personal für Planung und Umsetzung einer Mobilitätswende durch Kiezblocks schlichtweg fehlt.
Wie realistisch Bettina Jaraschs engagierte Pläne zur stadtweiten Schaffung von bis zu 50 neuen Kiezblocks vor dem Hintergrund der bestehenden Kapazitätsmängel sind, bleibt abzuwarten. Klar ist: Ohne die Unterstützung durch die Ressorts Finanzen und Stadtentwicklung wird es die Verkehrssenatorin schwer haben, ihr Ziel zu erreichen.
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Quellen: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bezirksamt Pankow, Changing Cities, Der Tagesspiegel, Architektur Urbanistik Berlin
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