Der seit über 20 Jahren in Berlin lebende Architekt Sergei Tchoban sprach in einem Interview ausführlich zum geplanten Wiederaufbau der Berliner Bauakademie am Schinkelplatz. Dabei räumte er ein, dass eine historische Rekonstruktion des Gebäudes für die Identität der Stadt sinnvoll sein kann – allerdings mit wichtigen Einschränkungen.
© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Björn Leffler
Sergei Tchoban, geboren im Oktober 1962 in Leningrad, ist ein deutscher Architekt und Künstler russischer Abstammung. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Architekturbüros Tchoban Voss Architekten und Gründer der Tchoban Foundation, die seit 2013 im dafür errichteten Museum für Architekturzeichnung in Berlin ihren Sitz hat.
Tchoban ist Mitglied im Bund Deutscher Architektinnen und Architekten sowie den Architektenkammern in Hamburg und Berlin. Seit über 20 Jahren lebt Tchoban nun schon in Berlin und hat die Stadt dabei auch architektonisch mitgestaltet.
Sergei Tchoban im Interview zum Wiederaufbau der Bauakademie
Im Gespräch mit dem Architekten- und Ingenieurverein Berlin Brandenburg hob Tchoban die hohe Bedeutung des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel für Deutschland und vor allem für die Stadt Berlin hervor, bevor er sich explizit zum Thema Bauakademie-Wiederaufbau äußerte.
Berlin empfindet Tchoban heute als Stadt, die ihre architektonische Identität noch nicht gefunden hat, was sich seiner Meinung nach auch maßgeblich auf die zukünftige Form der Bauakademie auswirken kann.
Sergei Tchoban empfindet Berlin als heterogene Stadt – und mag genau das
Denn die homogene Stadt, die Berlin vor den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war, die Stadt aufgrund ihrer bewegten Geschichte heute nicht mehr. Tchoban betont, dass es in Berlin bis zum Krieg trotz der aufkeimenden Bauhaus-Architektur nur wenige bauliche Kontraste gab. So sieht er Berlin bis dahin als klassische europäische Stadt mit einem sehr einheitlichen Stadtbild.
Dies ist Berlin mittlerweile natürlich längst nicht mehr. Sergei Tchoban sieht durch den Wiederaufbau Berlins seit dem Krieg viele verschiedene architektonische Schichten, an denen sich die typischen Baumerkmale der einzelnen Bauepochen sehr gut ablesen lassen.
Die Sehnsucht nach dem Berlin des 19. Jahrhunderts
Viele Berlinerinnen und Berliner jedoch fremdeln mit dem so heterogenen und kontrastreichen Berlin, was sich auch in der Diskussion um die Form des Wiederaufbaus der Bauakademie zeigt. Während progressive Gruppen sich einen radikal modernistischen Neuanfang am Schinkelplatz wünschen, fordern Befürworter der klassischen Rekonstruktion einen Wiederaufbau, der sich streng am historischen Vorbild orientiert und keine Experimente eingeht. Tchoban sieht darin die Sehnsucht vieler Menschen, das Berliner Stadtbild aus dem 19. Jahrhundert zurückzugewinnen.
Er betont im Gespräch, dass er selbst seit langem intensiv darüber nachdenkt, welche Form des Wiederaufbaus für das nach architektonischer Identität suchende Berlin an dieser Stelle die richtige wäre. Obwohl er selbst einem modernen Ansatz näher steht, kann er den Wunsch vieler Berlinerinnen und Berliner nach einer historisch orientierten Rekonstruktion sehr gut nachvollziehen.
Tchoban zieht Vergleiche mit Notre Dame in Paris und der Dresdner Frauenkirche
Tchoban sucht dabei den Vergleich mit anderen europäischen Städten und wiederaufgebauten Gebäuden, die für die Identität der Stadt eine herausragende Rolle spielen. Beispielhaft nennt er das Beispiel der Dresdner Frauenkirche und unterstreicht dabei, dass die historische Rekonstruktion der Kirche für die Stadt eine herausragende Rolle spielt. Auch die im Wiederaufbau befindliche Kirche Notre Dame in Paris nennt er als Referenzbeispiel.
Ob die Bauakademie für die ungleich größere Stadt Berlin eine ähnliche Rolle spielt, stellt Tchoban dabei infrage. Zudem verweist er darauf, dass die Bauakademie kein Bauwerk ist, welches die Silhouette der Stadt maßgeblich beeinflusst.
Welche Rolle spielt die Bauakademie für die Identität Berlins?
Für den lokalen Standort am Schinkelplatz, mit dem benachbarten, historisch rekonstruierten Humboldt Forum, der Friedrichswerderschen Kirche und dem Weltkulturerbe Museumsinsel schätzt er die Bedeutung des Gebäudes jedoch als eminent wichtig ein.
Tchoban kommt letztlich im Gespräch zu dem Schluss, dass eine historische Rekonstruktion der Bauakademie sinnvoll sein kann. Allerdings muss seiner Ansicht nach dann eine quasi identische Kopie des Originals entstehen. Der historisch orientierte Wiederaufbau muss seiner Ansicht nach mit geradezu heiligem Ernst umgesetzt und auch die angewandten Bauverfahren daraufhin angepasst werden.
Wenn historische Rekonstruktion, dann mit hohem Aufwand
Zudem betont er aber, dass die Stadtbevölkerung tatsächlich noch einmal darüber nachdenken müsse, ob die Bauakademie tatsächlich ein so bedeutendes Gebäude für die Baukultur und die Identität der Stadt Berlin ist, wie es die Frauenkirche in Dresden oder die Kirche Notre Dame in Paris sind.
Sollte sich Berlin für einen Wiederaufbau nach historischem Vorbild entscheiden, wird laut Tchoban jedenfalls mit sehr hohen Baukosten zu rechnen sein, da das Gebäude mit modernen Mitteln nicht sinnvoll zu rekonstruieren sei.
Tchoban rechnet mit hohen Baukosten für den Wiederaufbau
Bei Tchobans Ausführungen ist eine merkliche Zerrissenheit zum Thema Wiederaufbau der Bauakademie zu spüren. Seine Einschätzung, dass ein historischer Wiederaufbau mit hohen logistischen und finanziellen Aufwänden verbunden wäre, sollte im weiteren Verfahren auf jeden Fall berücksichtigt werden.
Genauso wie der Ansatz, dass eine historische Rekonstruktion nicht auf eine oberflächliche und günstig umzusetzende Rekonstruktion der äußeren Fassaden der Bauakademie reduziert werden sollte.
Hier gibt es das Gespräch mit Sergei Tchoban in voller Länge:
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Quellen: Berlin 2070 gGmbH, Wikipedia, Förderverein für die Schinkelsche Bauakademie e.V., Bundesstiftung Bauakademie
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2. November 2024
Für eine historisch fundierte Rekonstruktion würden sicherlich – wie schon oft zuvor – sehr viele Menschen sehr viel Geld spenden. So gesehen wäre es sogar die kostengünstigste Variante.
Spender*innen für einen Retro-Bauhaus-Entwurf zu finden, dürfte ungleich schwerer sein.
Wäre es möglich, den möglichst original-getreuen “historischen” Wiederaufbau zeitnah endlich zu realisieren- mehr als 30 Jahre sind vergangen- worauf denn noch immer warten- war das nicht schon längst mehr als genug Zeit zum “Diskutieren” etc.?
Viele stimmen Dani zu. Die Deutschen diskutieren, um nicht zu entscheiden. Das Unternehmerische Denken ist wieder zu praktizieren.