Der Bau der Grunerstraße Ende der 1960er Jahre war eines der wichtigsten Bauvorhaben der DDR-Regierung bei der Neuordnung der einstigen historischen Mitte Berlins. Um die gewünschte Breite der Straße zu erreichen, wurde ein Viertel des damaligen Land- und Amtsgerichtes abgerissen, obwohl das Gebäude den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte.
© Fotos Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Björn Leffler
Wie auch im Westteil der Stadt wurde in Ost-Berlin in den Jahrzehnten nach dem Krieg dem Autoverkehr höchste Priorität eingeräumt und die Stadtplanung entsprechend daran ausgerichtet. Der Mitte der 1960er Jahre begonnene, überdimensionierte “Durchbruch” der Grunerstraße vom Alexanderplatz bis zur Leipziger Straße machte den einstigen Molkenmarkt und die umliegenden Quartiere weitgehend unkenntlich.
Das Gebiet wurde bis vor kurzem noch von der raumgreifenden Grunerstraße dominiert. Mit ihren zahlreichen Fahrspuren, großflächigen Kreuzungen und angrenzenden Parkplätzen zerschnitt sie die einstige historische Mitte.
Wiederaufbau des Molkenmarkts und Verkleinerung der Grunerstraße
Diesen Status Quo wollen die Stadtplaner mit dem Wiederaufbau des Molkenmarktes signifikant verändern – und zwar zum besseren. Hierfür sind umfangreiche Baumaßnahmen infrastruktureller und städtebaulicher Natur notwendig, die längst begonnen haben. Während um die architektonische Form des zukünftigen, “neuen” Molkenmarkts noch gerungen wird, galt ein Projektbestandteil von vornherein als unumstößlich: Der Um- und Neubau der Grunerstraße.
Durch Verlegung der Grunerstraße werden wichtige Flächen gewonnen
Durch die Verlegung der Straße werden die für den Umbau benötigten Flächen gewonnen, auf denen sich in einigen Jahren ein neues, lebendiges Quartier mit einer Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur entwickeln soll, inklusive verkehrsberuhigter Bereiche. Der Molkenmarkt als Ort der Stadtgründung Berlins soll dadurch wieder erlebbar werden.
Dass die Tage der überdimensionierten Grunerstraße damit gezählt sind, kann für den Stadtraum im Umfeld von Nikolaiviertel und Alexanderplatz nur als positiv wahrgenommen werden. Das alte Straßenpflaster ist aufgrund der noch bis 2024 andauernden Ausgrabungsarbeiten längst aufgebrochen – und wird in dieser Form auch nicht zurückkehren.
Die neue Grunerstraße ist bereits weitgehend fertiggestellt
Die neue Grunerstraße ist bereits in großen Teilen fertiggestellt und führt künftig direkt am Roten Rathaus und den Rathauspassagen entlang. Um den Verkehr dann wieder auf den Mühlendamm zu lenken, macht die Straße zukünftig einen Schwenk direkt vor dem Nikolaiviertel.
Zukünftig wird man als Autofahrer also, in Ost-West-Richtung fahrend, aus dem Tunnel am Alexanderplatz kommend direkt auf das Nikolaiviertel und eine neue Ampel zusteuern und nach einem Linksschwenk eine weitere Ampel Richtung Mühlendamm vorfinden.
Für Bau der Grunerstraße wurde ein Teil des heutigen Amtsgerichts Mitte abgerissen
Was heute fast in Vergessenheit geraten ist: für den Bau der Grunerstraße ließ die DDR-Regierung ein Viertel des heutigen Amtsgerichts Mitte – den nördlichen Teil – komplett abreißen. Dieser Abriss geschah zwischen 1968 und 1969 und machte die Neuordnung der einstigen historischen Mitte Berlins überhaupt erst möglich.
Ziel der sozialistischen Stadtplaner war es, breite Aufmarsch- und Verkehrsschneisen zu errichten und die einstige Dichte und verwinkelte Struktur Alt-Berlins damit aufzulösen. Das Gebäude war im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört worden, was eine Entscheidung für einen Teilabriss des Gebäudes offenbar erleichterte.
Das GerichtsGebäude war zwischen 1896 und 1905 errichtet worden
Das an der Ecke Littenstraße / Grunerstraße stehende, in den Jahren 1896 bis 1905 im Stilmix aus Neobarock, Jugendstil und Gotik errichtete Gebäude des damaligen Land- und Amtsgerichtes (heute: Amtsgericht Mitte) dominierte das Areal in architektonischer Hinsicht.
Das Bauwerk war einst das zweitgrößte Bauwerk der Stadt, nur übertroffen vom nicht weit entfernten Stadtschloss. Das Gebäude wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, um die gesamten Zivilabteilungen des Landgerichts sowie des Amtsgerichts Berlin aufzunehmen.
Der ursprüngliche Haupteingang befand sich an der Grunerstraße
Der ursprüngliche Eingang zum Landgericht befand sich in der Grunerstraße 8, der zum Amtsgericht in der Neuen Friedrichstraße 17 (heute Littenstraße). Der Bau entstand auf einem Grundstück, das bereits dem Fiskus gehörte.
An der Ostseite wird das Grundstück heute begrenzt von der Trasse der Stadtbahn, an der nördlichen Schmalseite von der Grunerstraße und im Westen von der heutigen Littenstraße. Nach Süden war der Rest des Straßenblocks bis zur Voltairestraße für eventuelle künftige Erweiterungsbauten vorgesehen.
Ehemaliges Landgericht: Blockrandbebauung mit vier Innenhöfen
Die Struktur des Gebäudes lässt sich als Blockrandbebauung mit vier innen liegenden Querflügeln beschreiben. Dabei waren einzelne Flügel beziehungsweise Verbindungstrakte so angeordnet, dass insgesamt zwölf größere und kleinere Innenhöfe entstanden.
Der heutige, repräsentative Haupteingang des viergeschossigen Putzbaus befindet sich an der Littenstraße, in dem ursprünglichen Mitteltrakt der Gesamtanlage, der erst als zweiter Bauabschnitt errichtet wurde. Durch die Zerstörungen der Bombardements im Zweiten Weltkrieg und des Abrisses in den 1960er Jahren wurde letztlich der einstmals prachtvollste Teil des Gebäudes unwiderruflich zerstört.
Wichtige Teile des historischen Gebäudes sind erhalten geblieben
Erhalten geblieben ist bis heute aber das Haupttreppenhaus sowie die historische Eingangshalle, die von der Littenstraße aus betreten werden kann. Diese beeindruckenden Bauwerke zeugen von der einstigen Schönheit des Gebäudes, die zumindest teilweise erhalten und rekonstruiert werden konnte.
Die überdimensionierte Grunerstraße ist in ihrer Ausdehnung der 1960er Jahre mittlerweile Geschichte, zumindest in großen Teilen. Die Auswirkungen ihres Vortriebs mitten durch die einstige Berliner Altstadt werden aber noch für lange Zeit sichtbar bleiben.
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Quellen: Dissertation Dr. Benedikt Goebel, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum
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2. November 2024