Das 1987 rekonstruierte und neu errichtete Nikolaiviertel in Berlin-Mitte gilt als prominentestes Beispiel einer veränderten Baupolitik der DDR in den 1980er Jahren. Nun soll das Quartier bis 2027 renoviert, modernisiert und aufgeforstet werden, denn seit seiner Wiedereröffnung sind im Nikolaiviertel rund 135 Bäume verloren gegangen.

Berlins ältestes noch erhaltenes Gebäude: Die Nikolaikirche im Herzen des Nikolaiviertels. Bis 2027 soll das gesamte Quartier renoviert werden. / © Foto: depositphotos.com

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Text: Björn Leffler

 

Das im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörte Nikolaiviertel im Berliner Bezirk Mitte gehört zu den ältesten Siedlungsquartieren der Hauptstadt. Die namensgebende Kirche St. Nikolai wurde Anfang des 13. Jahrhunderts fertiggestellt.

Die Kirche lag damals im Zentrum der Stadt Berlin. Zur gleichen Zeit entstand direkt gegenüber am westlichen Ufer auf der Spreeinsel die Petrikirche als Mittelpunkt für das etwas kleinere Kölln, das im Jahr 1237 erstmals urkundlich erwähnt wurde.

Bereits im 13. Jahrhundert begann die Geschichte des Nikolaiviertels

Das Jahr 1237 galt damit auch als Grundlage für die gefeierten Stadtjubiläen in den Jahren 1937 (700 Jahre) und 1987 (750 Jahre), obwohl in dieser Urkunde tatsächlich nur die Stadt Kölln, nicht aber Berlin erwähnt wurde. So genau haben es die Stadtväter im 20. Jahrhundert offenbar nicht genommen.

Bereits 1264 wurde die Nikolaikirche erstmals umgebaut und wurde auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder baulich verändert. Im Zusammenhang mit der 700-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1937 während der Zeit des Nationalsozialismus begannen Planungen, das Viertel um die Nikolaikirche grundlegend umzugestalten.

Die Nationalsozialisten wollten das Nikolaiviertel vollständig abtragen

Tatsächlich war in dieser Zeit konkret vorgesehen, die als minderwertig empfundene Bebauung, die sich in äußerst baufälligem, marodem und für die Bewohner teils unerträglichem Zustand befand, zu großen Teilen abzutragen. An der Stelle des Nikolaiviertels sollte eine Art Freilichtmuseum mitsamt großer Veranstaltungsfläche entstehen.

Doch es kam anders. Zwischen 1943 und 1945 wurde das Quartier im Bombenhagel der Alliierten zu großen Teilen zerstört. In der Berliner Stadtplanung spielte das einstige Nikolaiviertel für viele Jahre dann überhaupt keine herausragende Rolle mehr, denn die Verwaltung Ost-Berlins konzentrierte sich auf möglichst effektive Wohnraumbeschaffung. So verfiel das verbliebene Viertel zusehends.

Die DDR plante auf dem Gelände des Nikolaiviertels einen Hochhausbau

An der Stelle des Nikolaiviertels sollte – wieder einmal – eine vollkommen andere Nutzung realisiert werden. Die Spree sollte zu einem Hafenbecken für Ausflugsdampfer im Rahmen des Baus des Zentralen Regierungshochhauses der DDR erweitert werden. Diese Pläne wurden jedoch niemals umgesetzt.

Im Vorfeld der anstehenden 750-Jahr-Feier im Jahr 1987 gab es dann eine Wende in den Planspielen für das Nikolaiviertel. Die Stadtverwaltung der DDR-Hauptstadt zeigte plötzlich eine neue Wertschätzung für die Geschichte des Areals und plante, auf dem Brachland ein attraktives und auch touristisch anziehendes Stadtviertel zu entwickeln. Die Idee der Rekonstruktion des Nikolaiviertels war geboren.

Bis 1987 wurde das Nikolaiviertel rekonstruiert und neu errichtet

Die Fertigstellung des Projekts sollte bis zum Jahr 1987 erfolgen, was letztlich auch gelang – pünktlich zum Stadtjubiläum, welches in beiden Hälften Berlins gefeiert wurde. Die Wiedererrichtung des Nikolaiviertels galt als Prestigeprojekt der DDR-Regierung, um im Wettstreit mit der West-Berliner Regierung punkten zu können.

Im Verlauf des Wiederaufbaus wurden die wenigen vorhandenen Gebäude restauriert und durch zahlreiche Neubauten ergänzt. Diese wurden zum Teil mit historisierenden Fassaden, teils in angepasster industrieller Plattenbauweise besonderer Art, errichtet.

Seit 2018 steht das 1987 neu eröffnete Nikolaiviertel unter Denkmalschutz

So wurden Giebel, Ornamente und schmiedeeiserner Zierrat nachempfunden. Aber auch modern geschnittene Wohnungen wurden im Zuge des Projekts errichtet. Anfang 2018 wurde das in den 1980er Jahren neu errichtete Nikolaiviertel in die Berliner Denkmalliste aufgenommen.

Laut dem Landesdenkmalamt Berlin sei es das “prominenteste Beispiel einer veränderten Baupolitik der DDR in den 1980er Jahren” und stehe für eine “Phase der Rückbesinnung auf die urbanen Qualitäten gewachsener Stadtteile“.

Prugger Landschaftsarchitekten erstellten Gutachten zum Nikolaiviertel

Immerhin ist die Fertigstellung des “neuen” Nikolaiviertels nun aber auch schon wieder fast 37 Jahre her, und das zeigt sich an vielen Stellen im Quartier. Daher hatte das Bezirksamt Mitte das Dresdner Büro Prugger Landschaftsarchitekten beauftragt, ein denkmalpflegerisches Gutachten zu erstellen.

Die Arbeit an diesem Gutachten nahm rund ein Jahr in Anspruch. In der vergangenen Woche wurde das Gutachten vorgestellt. “Wir haben hier einen originalen Bestand aus der Gründungszeit, der in Städten heute sehr selten und äußerst schützenswert ist“, sagte Anne Prugger, Geschäftsführerin des Büros, gegenüber der Berliner Woche.

Gutachten konzentriert sich auf Baumbestand, Grünflächen und Straßen

Das Gutachten konzentriert sich allerdings ausschließlich auf die Straßen und Plätze des Viertels, nicht auf die Gebäude. Für das Gutachten nahmen die Dresdner Landschaftsarchitekten zunächst den Bestand im Nikolaiviertel auf.

So wurden die Grünflächen, Bäume, Gehölze, die Pflasterwege und die Uferpromenade, das nahe Umfeld der Nikolaikirche sowie des Ephraim-Palais’, aber auch Skulpturen, Plastiken, Treppen, Geländer und Schmuckverzierungen untersucht.

Arbeit der DDR-Stadtplaner der 1980er Jahre wird ausdrücklich gelobt

Im Zuge der Untersuchungen wurde die Arbeit der Architekten und Stadtplaner ausdrücklich gelobt, die das Viertel in den 1980er Jahren wiederaufgebaut haben. “Grünanlagen, Kirchplatz, Wege und viele Bäume liegen und stehen nach wie vor am gleichen Platz“, sagte Anne Prugger. Das sei eine absolute Seltenheit bei vergleichbaren Projekten.

Das Viertel hat mittlerweile jedoch einen Großteil seines Baumbestands verloren. Seit 1987 waren es insgesamt rund 135 Bäume, die wegen zu großer Trockenheit und durch Fällungen aufgrund von Baustellen verloren gegangen sind.

Das Nikolaiviertel soll in den kommenden Jahren renoviert werden

In den kommenden Jahren soll das Viertel komplett renoviert und modernisiert werden. Neben der Revitalisierung des Baumbestands und der Grünflächen sowie der Ausbesserung von Gehweg- und Straßenschäden soll auch das Verkehrskonzept des Viertels neu überdacht werden.

Das Quartier ist heute eine reine Fußgängerzone, nur Lieferverkehr darf werktags bis 11 Uhr in das Quartier fahren. Andere Autos sind hier grundsätzlich nicht erlaubt. Im Zuge des Umbaus sollen unter anderem aber auch neue Fahrradbügel errichtet werden.

Nikolaiviertel: Bis 2027 soll der Umbau abgeschlossen werden

Heute gibt es im Nikolaiviertel rund 50 Geschäfte, 22 Restaurants und Cafés, fünf Museen und auch etwa landeseigene 800 Wohnungen, die meisten vermietet die Wohnungsbaugesellschaft WBM. Seit 2019 ist das Viertel Städtebaufördergebiet und mit 5,7 Hektar das kleinste Quartier im Programm „Lebendige Zentren und Quartiere“ in Berlin.

Die nun geplante Schönheitskur für das Viertel soll nach aktuellem Planungsstand bis zum Jahr 2027 abgeschlossen werden. So wäre es ein schönes Jubiläum, wenn das wiedererrichtete Viertel genau 40 Jahre nach seiner Eröffnung in neuem Glanz strahlen könnte.

 

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Quartier mit bewegter Geschichte: Das Nikolaiviertel im Herzen Berlins im heutigen Bezirk Berlin-Mitte. / © Foto: depositphotos.com

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Quellen: Architektur Urbanistik Berlin, Berliner Woche, Wikipedia, Bezirksamt Mitte, Prugger Landschaftsarchitekten

 

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