Der Berliner Senat bleibt seiner autofreundlichen Politik treu. Ein 600 Meter langer Abschnitt am Ufer des Landwehrkanals in Kreuzberg sollte umgestaltet werden. Anstelle von Autospuren sollten Flächen für Fußgänger und Radfahrer entstehen. Das Pilotprojekt wurde mit knapp drei Millionen Euro vom Bund gefördert und ausgezeichnet. Nun stoppt die Verkehrsverwaltung das Vorhaben.
© Visualisierung/Foto: yellow Z
Text: Björn Leffler
Bereits im März 2020 berichteten wir erstmals über das Vorhaben des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, einen Teil der Uferbereiche am Landwehrkanal umzugestalten und dafür den nah am Wasser verlaufenden Autoverkehr teilweise zu reduzieren.
Diese Plänen wurden im Juli 2022 konkreter, denn das Bauvorhaben sollte mit rund 2,95 Millionen Euro vom Bund gefördert werden. Um die ambitionierten Pläne in die Tat umzusetzen, müsste infrastrukturell viel verändert werden. Die Idee der Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Die Grünen) war es, eine neue, sogenannte „Innenstadtpromenade“ zu schaffen.
DER AUTOVERKEHR AM LANDWEHRKANAL SOLLte EINGESCHRÄNKT WERDEN
Diese Idee sah konkret vor, das Hallesche und das Tempelhofer Ufer vom Urbanhafen bis hin zum Kulturforum in Tiergarten völlig neu zu denken und zu gestalten. Dieses sollte, wie schon bei anderen Infrastrukturprojekten in der Innenstadt, zumindest teilweise auf Kosten des Autoverkehrs geschehen.
Der Straßenverkehr sollte auf der Südseite des Landwehrkanals, also oberhalb der Amerika-Gedenk-Bibliothek, zusammengefasst werden. Im Verkehrsbereich, von wo es derzeit in östlicher Richtung zur Oberbaumbrücke geht, sollten Fahrspuren in beide Richtungen eingerichtet werden.
DIE NÖRDLICHE SEITE DES LANDWEHRKANALS SOLL VÖLLIG NEU GESTALTET WERDEN
Somit hätte die nördliche Seite des Landwehrkanals dann völlig neu gestaltet werden können. Der Bezirk hatte sich mit dem Bauvorhaben beim Förderprogramm “Nationale Projekte des Städtebaus 2022” beworben, gemeinsam mit 79 anderen Gemeinden aus dem gesamten Bundesgebiet.
18 dieser Bewerbungen wurden ausgewählt und wurden vom Bund gefördert, und das Projekt am Halleschen Ufer hat es in diese Auswahl geschafft. Insgesamt verteilte der Bund hier 75 Millionen Euro. Knapp drei davon wollte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zur Weiterentwicklung des Projekts nutzen.
“BEISPIELHAFTES VORBILD FÜR FUSSGÄNGERFREUNDLICHE TRANSFORMATION“
Das Konzept hatte die Entscheidungsträger im Bund offensichtlich überzeugt. Der Umbau eines 600 Meter langen Abschnitts des Ufers am Landwehrkanal diente ihnen als “beispielhaftes Vorbild für die fußgänger- und fahrradfreundliche Transformation von Infrastrukturflächen“, hieß es in einer Mitteilung der Bundestagsabgeordneten für den Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain-Prenzlauer Berg Ost, Cansel Kiziltepe (SPD).
Treppen, die zum Wasser führen, Grünflächen für Spaziergänger, Sporttreibende oder Flächen zum Grillen sollten hier entstehen. Herrmann wollte damit, so ihr erklärtes Ziel, “nicht-kommerzielle Freiräume” schaffen. Das Konzept ging zurück auf die Zeit, als Herrmann noch Umweltstadträtin des Bezirks war.
Die Berliner Verkehrsverwaltung möchte das Projekt nicht weiterverfolgen
Doch aus dem vom Bund ausgezeichneten Modellprojekt soll nach Wünschen des Berliner Senats nichts werden. Denn die zuständige Senatsverkehrsverwaltung möchte das Projekt nicht weiterverfolgen, wie Der Tagesspiegel berichtet.
Die Erfolgsaussichten des Projekts seien aufgrund noch ungeklärter verkehrlicher Fragen „gering„, wie es in einem Brief von Verkehrsstaatssekretärin Claudia Elif Stutz (CDU) an den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg heißt.
CDU nennt hohe Personalaufwände als wichtigen Grund für die Absage
Stutz begründet die Entscheidung der Verkehrsverwaltung wie folgt: „Im Lichte der zu erwartenden hohen Personal- und Ressourcenbindung bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich dieses Verfahren nicht einleiten werde und darum bitte, das Projekt ‚Umgestaltung des Halleschen Ufers‘ nicht weiter zu verfolgen.“
Claudia Elif Stutz versucht hier also nicht, einen Kompromiss mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu finden oder das Projekt an bestimmten Stellen anzupassen. Stattdessen soll das gesamte Projekt – und damit die knapp drei Millionen Euro Fördergelder vom Bund – fallengelassen werden.
Hallesches Ufer: Erhaltung des Autoverkehrs hat Vorrang
Für den Bezirk, der seit 2019 viel Arbeit in die geplante Umgestaltung der Uferwege gesteckt hat, ist die Kehrtwende des Senats eine schallende Ohrfeige. Statt einem vom Bund als „zukunftsweisendem Stadtumbau“ prämierten Konzept soll nun schlichtweg der Autoverkehr zu beiden Seiten des Landwehrkanals erhalten bleiben.
Dies wird im Brief der Verkehrsverwaltung an den Bezirk verklausuliert formuliert. Es müsse gewährleistet sein, dass „leistungsfähige Hauptverkehrsstraßen für die Versorgung und Erreichbarkeit in der Stadt weiterhin zur Verfügung stehen“, heißt es dort. Insbesondere dürfe der Verkehr durch solche Maßnahmen nicht in die Wohnkieze gedrängt werden.
Berliner Senat fürchte Verdrängung des Verkehrs in die Wohnquartiere
Stutz konkretisiert das: „Die Herausnahme des Teilabschnitts der B 96 im relevanten Bereich wäre somit verbunden mit einem zwingenden, bisher nicht erkennbaren anderweitigen Netzschluss.“ Dass der Verkehr alternativ auf der Südseite des Landwehrkanals entlang geführt werden soll, anstatt ihn zu unterbrechen, lässt die Verkehrsstaatssekretärin dabei offenbar außer Acht.
Es wird ein weiteres Mal mehr als deutlich, dass der Berliner Senat und die von Manja Schreiner (CDU) geführte Senatsverkehrsverwaltung ihre autofreundliche Politik durchsetzt, selbst wenn dies zur Folge hat, dass Fördergelder verfallen und ausgezeichnete Modellprojekte komplett von der Projektliste gestrichen werden.
Clara Hermann: „Ideologische Autopolitik des schwarz-roten Senats“
Bezirksbürgermeisterin Clara Hermann zeigte sich schwer enttäuscht über diese Entscheidung und sagte gegenüber dem Tagesspiegel: „Der schwarz-rote Senat betreibt ideologisch die Autopolitik des letzten Jahrhunderts und verhindert so eine grüne Oase am Landwehrkanal.“
Zumal der Fördergeldbescheid des Bundes erst vor wenigen Monaten beim Bezirk eingegangen war. Diese Gelder werden nun aller Voraussicht nach verfallen. Wie die SPD, Partner der CDU im schwarz-roten Regierungsbündnis, zu dieser Entscheidung steht, ist bislang nicht bekannt. Doch das Vorgehen der Verkehrsverwaltung dürfte Konfliktpotenzial bergen.
CDU-geführte Senatsverkehrsverwaltung bleibt ihrer bisherigen Linie treu
Die CDU-geführte Senatsverkehrsverwaltung bleibt mit dieser Entscheidung ihrer bisherigen Linie treu. Neben der Neubewertung und teilweisen Einstellung jahrelang geplanter Radverkehrsprojekte hatte die Verkehrsverwaltung kürzlich auch das Tramprojekt zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz auf der Leipziger Straße infrage gestellt. Grund dafür war die Befürchtung, dass das Tramprojekt zu mehr Stau auf der Leipziger Straße führen könnte.
Auch eine vom Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf angestrebte und seit vielen Jahren vorangetriebene Schließung des Autotunnels am Bundesplatz hatte Manja Schreiner abgelehnt. Denn, wie der Senat betont, der Tunnel sei noch immer in gutem Zustand und könnte ohne Probleme weitergenutzt werden.
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Quellen: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Yellow Z, Berliner Morgenpost, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN, Der Tagesspiegel
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