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Verkehrsplanung: CDU stoppt Ausbau des Radwegenetzes in Berlin

Die neue Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) beabsichtigt laut einer neuen Richtlinie, sämtliche Radwegprojekte zu stoppen, bei denen Parkplätze oder Fahrspuren zugunsten eines neuen Fahrradweges wegfallen sollen. Damit droht der Verlust und sogar die Rückzahlung von Bundesfördermitteln in Millionenhöhe.

Für Fahrradfahrer wird es in Berlin auch zukünftig zahlreiche gefährliche Verkehrssituation geben, denn die CDU beabsichtigt, sämtliche Radwegprojekte zu stoppen, die den Autoverkehr einschränken könnten. / © Fotos: depositphotos.com

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Text: Björn Leffler

 

Es sind eine Menge Fahrradweg-Projekte, die in den vergangenen Jahren in den Berliner Bezirken durch die mühseligen und langwierigen Prozesse der Verkehrsplanung gebracht wurden oder sich noch mitten im Planungsprozess befinden.

Ein Großteil dieser Projekte wird aller Voraussicht nach nicht realisiert werden. Jedenfalls nicht, wenn das, was RBB, Tagesspiegel und Berliner Morgenpost übereinstimmend berichten, tatsächlich umgesetzt wird.

Manja Schreiner (CDU) will Planung von Berliner Radwegprojekten stoppen

Demnach beabsichtigt die neue Verkehrssenatorin, Manja Schreiner (CDU), sämtliche Radwegprojekte zu stoppen, bei denen Parkplätze oder Fahrspuren zugunsten eines neuen Fahrradweges wegfallen könnten. Darüber sollen auch die Bezirke bereits informiert worden sein.

Eine derartige Richtlinie würde einen radikalen Richtungswechsel in der Berliner Verkehrswegeplanung bedeuten und zudem das geltende Mobilitätsgesetz ignorieren und ad absurdum führen.

Künftig “andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung”

Wortwörtlich heißt es laut RBB in dem Schreiben: “Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen.” Bis auf weiteres werden die Bezirke demnach aufgefordert, den Ausbau von Projekten auszusetzen, die den Wegfall eines Fahrstreifens oder von Parkplätzen zur Folge haben.

Dabei soll bereits der Wegfall eines einzigen Parkplatzes ausreichen, um ein komplettes Fahrradwegprojekt zu stoppen. Während der alte rot-grün-rote Senat eine Umverteilung des öffentlichen Straßenraumes zugunsten von Fußgängern, Radfahrern sowie Bussen und Bahnen verfolgte, bevorzugt die CDU offensichtlich eine stark autofreundliche Verkehrsplanung, was die geplante Wiedereröffnung der Friedrichstraße für den Autoverkehr exemplarisch zeigt.

Radwegprojekte: Unverständnis und Entsetzen in den Bezirksämtern

In den Bezirksämtern löste die Nachricht Unverständnis und Entsetzen aus. Vor den Folgen einer Aussetzung des Radwege-Ausbaus warnt die Verkehrsstadträtin des Bezirks Mitte, Almut Neumann in einem Interview mit dem RBB: “Ich mache mir Sorgen, dass nun ein Stillstand für den Ausbau von sicherer Infrastruktur für Menschen mit dem Rad droht.

Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Die Grünen) aus Neukölln bezeichnete den Schritt als “Drama, wenn das wirklich so kommt“. Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Werner Graf warf der Koalition aus CDU und SPD vor “dass sie ideologisch zur Verkehrspolitik des letzten Jahrhunderts zurück will.” Das Mobilitätsgesetz schreibe sichere Radwege an allen Hauptstraßen vor, teilte er weiter mit. Aus der aktuellen Handlungsanweisung des Senats liest er folgendes Signal: “Alles hat sich dem Auto unterzuordnen“.

Werner Graf (Die Grünen): “Alles hat sich dem Auto unterzuordnen”

Charottenburg-Wilmersdorfs Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Die Grünen) sagte gegenüber der Berliner Morgenpost, dass die Formulierung, dass bereits der Wegfall eines einzigen Stellplatzes ausreiche, “hochgradig verrückt” sei. Im schwarz-grün regierten Bezirk werde ebenfalls darauf geachtet, dass so wenige Stellplätze wie möglich für Radwegprojekte entfallen, aber eine so strikte Gangart hält Schruoffeneger für absurd.

Der ADFC Berlin bewertet die Ankündigung als Versuch der CDU, das Mobilitätsgesetz sukzessive aufzuweichen. In einer Presseerklärung äußert sich der Verein wie folgt dazu: “Wir werden entschieden dafür streiten, dass die dringend benötigten Radwegeprojekte weitergeführt werden. Wer nur an den Kfz-Verkehr denkt, hat die Vergangenheit, aber nicht die Zukunft von Berlin im Blick.

Verein “Changing Cities” zeigt sich schockiert und zutiefst besorgt

Ranghild Sørensen vom Verein Changing Cities zeigte sich in einer ersten Reaktion gegenüber dem Tagesspiegel schockiert von der neuen Linie der CDU-geführten Verkehrsverwaltung: “Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin.

Schreiner selbst ist, zumindest öffentlich, um einen deeskalierenden Ansatz für ihre Verkehrspolitik bemüht. So betont sie in einem Gespräch gegenüber der Berliner Morgenpost: “Der Straßenraum ist begrenzt, so wie insgesamt der Stadtraum begrenzt ist. Das wird dazu führen, dass mal der eine Verkehrsteilnehmer von Entscheidungen und Gestaltung des Verkehrsraums profitiert, mal der andere.”

Ist Manja Schreiner eine “Autoverkehrs-senatorin” oder tatsächlich objektiv?

Laut dem aktuellen Radverkehrsplan des Berliner Senats werden derzeit rund 19 Prozent der vorhandenen Verkehrswege für Fahrradwege genutzt. Insgesamt gibt es in der Hauptstadt ein rund 1.500 Kilometer langes Fahrradwegenetz.

Noch immer jedoch erfüllen viele dieser Radwege nicht die Anforderungen des gültigen Mobilitätsgesetzes oder gelten für den Fahrradverkehr als ungeeignet. Bezirksvertreter fürchten nun eine “Blockadehaltung” der Verkehrsverwaltung, so dass die dringend notwendige Modernisierung des Radwegenetzes in den kommenden Jahren auf der Strecke bleiben könnte.

Bundesmittel: Droht dem Land Berlin nun der Verlust von Fördermitteln?

Die Haltung der neuen Verkehrssenatorin könnte das Land Berlin zudem teuer zu stehen kommen. “Wenn das so stimmt, geht es auch um Fördergelder in Millionenhöhe“, bekräftigte Stadträtin Saskia Ellenbeck (Die Grünen). Sie betonte gegenüber der Berliner Zeitung: “Sie müssen dieses Jahr ausgegeben werden.” Zu einem großen Teil handele es sich um finanzielle Mittel vom Bundesverkehrsministerium – die nun in ganz Berlin zu verfallen drohen.

In mehreren Berliner Bezirken wurden Bundesfördermittel aus dem Programm „Stadt und Land“ in Anspruch genommen. Es ist derzeit unklar, ob die Bezirke oder das Land die Mittel zurückzahlen müsste. Da die Mittel zweckgebunden sind, können sie nicht für andere Vorhaben verwendet werden – und müssten bis Ende 2023 abgerechnet sein.

Verkehrsverwaltung ist um Schadensbegrenzung bemüht

Am Freitagnachmittag schließlich bemühte sich die Pressestelle der Senatsverwaltung darum, das Vorgehen zu präzisieren. Bestimmte Projekte würden weiterhin geplant, teilte die Pressestelle mit. Genannt wurden Vorhaben, die auf Beschlüsse der Unfallkommission zurückgehen oder die Schulwegsicherheit erhöhen sollen.

Auch neue Zebrastreifen werde es weiterhin geben. Die Sanierung bestehender Rad- und Fußverkehrsanlagen soll ebenfalls weiter verfolgt werden – so lange sich der Straßenraum dadurch nicht verändert.

Die Linke: “Eine Ohrfeige für Berliner, die auf sichere Radwege angewiesen sind”

In der Opposition jedoch ist der Unmut über die aktuelle Entwicklung dennoch gewaltig: “Diese Anweisung der Senatorin ist eine Ohrfeige für alle Berlinerinnen und Berliner, die auf sichere Radverkehrsinfrastruktur angewiesen sind“, sagten die Linken-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg und Niklas Schenker der Berliner Zeitung.

Naturgemäß sehen die CDU-Politiker dies nicht ganz so dramatisch. Thorsten Schatz, Stadtrat für Bauen, Planen, Umwelt- und Naturschutz im Bezirk Spandau, benannte mehrere Projekte, die in seinem Projekt trotz der neuen Richtlinie in diesem Jahr umgesetzt werden sollen: “Wir werden unter anderem in Gatow einen Schutzstreifen markieren, den Ausbau der Kisselnallee beginnen und den Radweg an der Charlottenburger Chaussee sanieren.

Ingo Schmitt (CDU) sieht die Umsetzung einer “ideologiefreien Verkehrspolitik”

Ingo Schmitt, von 2005 bis 2008 Landesvorsitzender der CDU Berlin, äußerte sich ebenfalls deeskalierend: “Hier geht es nicht um eine neue Verkehrspolitik, sondern um eine ideologiefreie Verkehrspolitik, die Frau Dr. Schreiner verkörpert. Nicht der Autoverkehr ist das Maß aller Dinge, aber eben auch nicht der Radverkehr!

Die neue Strategie der nun CDU-geführten Verkehrsverwaltung lässt derzeit noch eine Menge Fragen offen, nicht nur für die betroffenen Bezirke. Vor allem der drohende Verlust von Fördergeldern oder sogar mögliche Rückzahlungen lassen Zweifel daran aufkommen, ob die nun vorgegebene Richtlinie wirklich vollends durchdacht ist.

Gemeinsam mit Changing Cities und anderen Organisationen ruft der ADFC Berlin für diesen Freitag um 17.45 Uhr zu einer Spontandemonstration vor der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt auf. Die Adresse lautet: Am Köllnischen Park 3.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

Auch zukünftig werden Auto- und Radverkehr in Berlin um die knappen Flächen konkurrieren. / © Fotos: depositphotos.com

Weitere Verkehrsprojekte sind hier zu finden

Quellen: Berliner Morgenpost, Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verkehr und Klimaschutz, RBB, ADFC Berlin, Der Tagesspiegel, Radverkehrsplan des Landes Berlin

 

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