Das Bauvorhaben “Europacity” nördlich des Hauptbahnhofs gehört zu den umstrittensten städtebaulichen Projekten im Berlin der Nachwendezeit. Das auf 61 Hektar neu entstehende Quartier steht immer wieder aufgrund seiner vermeintlich nüchtern-modernen Architektur und der einfallslosen Raumgestaltung in der Kritik. Wir haben uns einmal vor Ort umgesehen. 

Der südliche Auftakt zur neu entstehenden “Europacity” entlang des Kunstmuseums “Hamburger Bahnhof” und des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals, der am östlichen Rand des Quartiers verläuft.

© Text und Fotos: Björn Leffler

 

Die in Berlin-Moabit entstehende “Europacity” wird nur selten genannt, wenn von gelungener, moderner Architektur im heutigen Berlin gesprochen wird. Das Image des neu entstehenden Quartiers zwischen dem Berliner Hauptbahnhof im Süden und dem Nordhafen am nördlichen Ende des Baufelds ist – in rein architektonischer Hinsicht – nicht das beste.

Zu einfallslos, zu wenig kreativ, zu nüchtern – dies sind die Beschreibungen, die man häufig hört, wenn über die “Europacity” im Zentrum der Hauptstadt gesprochen wird. Lange galt das Projekt als eines der größten, laufenden Bauvorhaben Berlins, langsam aber sicher werden große Teile des Quartiers fertiggestellt oder sind längst fertig.

Ein neues Quartier auf dem Gelände einer ehemaligen Industriebrache

Das Quartier ist entlang der Heidestraße auf einer ehemaligen Industriebrache entstanden. Aufgabe für die Stadtplanerinnen und Stadtplaner war es also, ein vollkommen neues Stadtviertel aus dem Boden zu stampfen, welches bis dato keinerlei Anknüpfungspunkte an die umgebenden Kieze in Wedding, Moabit oder Mitte hatte – bis auf die unspektakuläre Heidestraße selbst, die den Hauptbahnhof mit dem Wedding verbindet.

Nach einem 2009 verabschiedeten Masterplan sollte auf der insgesamt 61 Hektar großen Fläche ein gemischtes Quartier entstehen, welches neben Wohn- und Bürogebäuden auch Flächen für Einzelhandel und Kunst sowie öffentliche Stadtplätze beheimaten sollte. Es galt also, eine Fläche von rund 83 Fußballfeldern neu zu entwickeln.

“Europacity”: 3.000 Wohnungen und Arbeitsflächen für 16.500 Menschen

Insgesamt 3.000 Wohnungen und Arbeitsflächen für rund 16.500 Menschen sollen im Rahmen des Projekts entstehen. Einige der Projekte sind noch im Bau, wie das Hochhausprojekt „Upbeat Berlin“ ganz im Norden des Quartiers. Während dieses Hochhausprojekt in einigen Jahren den nördlichen Hochpunkt des zukünftigen Quartiers bilden soll, wird dies im Süden, direkt angrenzend an den Hauptbahnhof, der kurz vor der Fertigstellung stehende „KPMG Tower“ sein.

Wer sich heute auf dem Areal umsieht, kann sehr schnell erkennen, dass hier nicht gekleckert, sondern geklotzt wird. Zahlreiche Bauprojekte wurden und werden parallel realisiert. Das bis vor wenigen Jahren noch durch einen Containerbahnhof und kleinteilige Logistikinfrastruktur geprägte Gelände wurde vollkommen neu erfunden, auch infrastrukturell.

Die Verkehrsanbindung des Quartiers ist noch nicht optimal

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder die Anbindung des neuen Quartiers an den öffentlichen Schienen-Nahverkehr diskutiert. Genau hier hat das Projekt nämlich noch den Mangel, dass eine engmaschige Anbindung an Berlins S- oder U-Bahnnetz derzeit nicht gegeben ist.

Im Süden des Quartiers liegt natürlich der Hauptbahnhof, der vielfältige Verkehrsanbindungen bietet. Zudem eröffnet Ende 2023 die neue Station der City-S-Bahn, ebenfalls in der Nähe des Hauptbahnhofs. Am nördlichen Rand des Quartiers jedoch, an der Grenze zwischen Moabit und Wedding, fehlt eine äquivalente Bahnstation, obwohl hier in den vergangenen Jahren neue Gleise für die Anbindung des Hauptbahnhofs an die nördliche Ringbahn entstanden sind.

Bis 2026 soll die neue S-Bahnstration “Perleberger Brücke” entstehen

Den Bedarf hat nun offenbar auch der Berliner Senat erkannt. Dieser hat kürzlich öffentlich erklärt, dass an der Perleberger Brücke ein S-Bahnhof gebaut wird, der nach aktuellem Planungsstand schon 2026 eröffnen soll. Der neue Bahnhof soll nachträglich an der bestehenden Strecke errichtet werden.

Insgesamt gibt es vier zusammenhängende Planungsgebiete, aus denen sich die zukünftige “Europacity” zusammensetzen wird. Eines dieser Planungsgebiete, welches wiederum mehrere unterschiedliche Teilprojekte zusammenfasst, ist etwa das „Quartier Heidestraße“. Hier entstehen Wohnungen, Büroflächen, ein Hotel, eine Kita sowie Flächen für Gastronomie und Einzelhandel. Im zukünftigen Viertel nimmt das Projekt also eine wichtige Rolle für die Versorgung der zukünftig hier lebenden Menschen ein.

Geschäfte und Gastronomie entstehen entlang der Heidestraße

Entlang der Heidestraße, der zentralen Magistrale der “Europacity”, werden Geschäfte angesiedelt, die die Bedürfnisse des alltäglichen Bedarfs bedienen sollen. Zudem werden Quartiersplätze mit Restaurants, Cafés und Bars entwickelt, um eine Kiez-Atmosphäre zu schaffen, und natürlich neue Wohnungen errichtet.

Ein weiterer Meilenstein für die Belebung des Quartiers war die Fertigstellung der Fußgänger- und Fahrradbrücke hinüber zu den östlichen Quartieren des Ortsteils Mitte. Fast 77 Meter lang und vier Meter breit ist die Brücke nun geworden, die eine Querung des Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanals ermöglicht.

“Golda-Meir-Steg” verbindet seit Dezember 2021 Moabit und Mitte

Die Brücke soll den geplanten Stadtplatz in der „Europacity“ mit der Kieler Straße am anderen Ufer verbinden und wurde im Dezember 2021 eröffnet. Der Name der Brücke: “Golda-Meir-Steg“. Die Handläufe der Brücke sind mit LED-Leuchten bestückt. Durch das Lochmuster in den seitlichen Stahlwänden soll das Licht der beleuchteten Brücke nachts weithin sichtbar sein und den Steg gülden glänzen lassen.

Seine Rolle im Herzen der Hauptstadt wird das neue Viertel noch finden müssen. Der Charakter der rasant entstehenden „Europacity“ wird jedenfalls mit jedem Tag deutlicher, und dieser ist radikal nüchtern und modern. Das Quartier wird jedoch, im Gegensatz zum ebenfalls neu entstandenen Mercedes-Benz-Quartier an der East Side Gallery in Friedrichshain, immer wieder von Stadtplätzen mit Brunnen, Frei- und Spielplätzen durchzogen und bricht die monoton wirkende Bebauung damit immer wieder auf.

Wasserlage am Schifffahrtskanal wertet das Quartier erheblich auf

Zudem ist die Wasserlage der “Europacity” am Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal mit seinen modern gestalteten Uferwegen ein nicht zu unterschätzender Faktor. Vor allem der südliche Teil des Quartiers, der an das Kunstmuseum Hamburger Bahnhof anschließt, hat durchaus seinen Reiz und wird von vielen Fußgängern und Radfahrern intensiv und gern genutzt.

Übrigens wird auch das südlich des Hauptbahnhofs entstandene Büroprojekt „Cube“ des Kopenhagener Architekturbüros 3XN zum Entwicklungsgebiet „Europacity“ gezählt. Das Bürogebäude  fällt vor allem durch seine außergewöhnlich reflektierende Glasfassade auf.

Die Identität der “Europacity” muss sich erst noch (er-)finden

Auch die umliegenden Gebäude wie das Steigenberger Hotel, das Hotel Meininger oder die Bürobauten an der Bertha-Benz-Straße gehören zum Entwicklungsgebiet “Europacity”, werden aber nur selten als Teil des Projekts verstanden.

Die “Europacity” wird in nur wenigen Jahren vollendet sein. Viele Menschen leben und arbeiten schon heute darin und füllen das Neubaugebiet mit Leben, vor allem im südlichen Bereich des Areals. Welche Rolle das modern gestaltete Quartier im zukünftigen Berlin spielen wird, bleibt abzuwarten.

Dass bei der räumlichen und architektonischen Ausgestaltung der “Europacity” jedoch eine städtebauliche Chance vertan wurde, wird an vielen Stellen des Areals allzu deutlich. Sicher aber wird das Quartier in zehn oder zwanzig Jahren einen anderen Charakter haben, wenn die heute noch kleinen, frisch gepflanzten Bäume größer geworden sind und das Quartier dadurch deutlich grüner wirkt. Und auch die ein oder andere städtebauliche Korrektur, wie sie heute schon im Mercedes-Benz-Quartier vorgenommen wird, ist ja nicht undenkbar.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

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  1. […] verläuft und die südliche Begrenzung des geplanten Grünzugs zwischen Poststadion und “Europacity” bilden […]

  2. […] 2040” umfasst 24 dieser Quartiere, von denen einige bereits realisiert sind, wie etwa die Europacity oder das Stadtgut Hellersdorf. Weitere Projekte wie der Stadteingang West oder die Umsetzung des […]

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