Auf der Suche nach geeigneten Flächen zum Bau von bezahlbaren Wohnungen könnte ein innovativer Vorschlag des Berliner Planungsbüros Lindner eine innovative und spektakuläre Lösung sein. Das Büro schlägt eine Überbauung der Berliner Stadtautobahn A100 zwischen Halensee und Hohenzollerndamm vor, um Platz für ein autofreies Quartier mit 3.000 neuen Wohnungen zu schaffen.

Der Status Quo: So sieht der Autobahnabschnitt zwischen Halensee und Hohenzollerndamm heute aus. Das Planungsbüro Lindner hat hier ein großes Flächenpotenzial für den Bau von rund 3.000 Wohnungen ausgemacht.

© Visualisierungen: Lindner Planungsbüro
Text: Björn Leffler

 

Insgesamt 200.000 neue Wohnungen sollen es sein, die die rot-grün-rote Regierungskoalition bis zum Jahr 2030 in Berlin errichten möchte. Wenn es aber konkret darum geht, geeignete Flächen für die Errichtung der neuen Wohnhäuser zu finden, zeigt sich schnell, wie kompliziert dieses ambitionierte Vorhaben ist.

So gibt es mehrere Ansätze, das Thema Wohnungsbau in Berlin zu beschleunigen. Kürzlich berichteten wir über das Projekt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit dem treffenden Namen “Spreeküste“, welches  Flächen entlang der östlichen Spreeuferbereiche in den Bezirken Lichtenberg und Treptow-Köpenick ins Visier nimmt. Ziel ist die Evaluierung neuer, potenzieller Bauflächen.

Baufelder zur Errichtung bezahlbarer Wohnungen werden dringend gesucht

Auch die Überbauung bestehender Supermarktimmobilien in großem Stil ist einer der Ansätze, die vom Berliner Senat derzeit aktiv vorangetrieben werden. Dennoch ist es weiterhin enorm schwierig, vor allem in den begehrten Innenstadtlagen Berlins Raum für den Bau bezahlbarer Wohnungen zu finden – und die Berliner Stadtbevölkerung wächst unvermindert weiter.

Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt hatte daher kürzlich in einem dpa-Interview den Rückbau von Straßen und Parkplätzen gefordert, um zusätzliche Flächen für Wohnungsbau und die Schaffung entsiegelter Flächen zu ermöglichen. Ihr Ansatz, bestehende Stadtstrukturen zu nutzen statt “massiv und rücksichtslos” neu zu bauen, wurde seitdem kontrovers diskutiert.

Überbauung statt Rückbau: “Lindner Planungsbüro” mit innovativem Ansatz

Der Rückbau von bestehenden Straßen- oder Autobahnstrukturen wird beispielsweise im Berliner Südwesten seit mehreren Jahren diskutiert, wo Architekten, Bürgerinitiativen und sogar die rot-grün-rote Koalition den Abriss einer sanierungsbedürftigen, ehemaligen  Autobahnbrücke am Breitenbachplatz forcieren. Den von mehreren Stadtplanungsgruppen geforderten Abriss der nahegelegenen Autobahn 103 in Berlin-Steglitz weist der Bund, Eigner des Autobahnabschnitts, jedoch klar zurück.

Einen gänzlich anderen Ansatz wählt das in Berlin ansässige Planungsbüro Lindner, welches kürzlich mit einem Vorschlag zum Bau eines neuen Hertha-Stadions im Olympiapark oder einem kulturorientierten Konzept zur Um- und Neugestaltung des maroden ICC-Gebäudes am Messegelände aufgefallen ist.

Vorschlag von Lindner ist bereits vor Jahren erstmals veröffentlicht worden

Bereits vor mehreren Jahren hatte Mario Lindner, Inhaber des Büros, einen innovativen, städtebaulichen Ansatz zur Nutzung von bestehenden Autobahnflächen präsentiert, der zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde. Er schlug eine Überbauung der Berliner Stadtautobahn vor, um darüber liegend Platz für den so dringend benötigten Wohnungsbau zu schaffen.

Die Vorteile einer solchen Lösung liegen auf der Hand, da somit einerseits die lärmende und Abgase erzeugende Autobahn, die sich wie eine dröhnende Schneise durch viele Quartiere im Westen Berlins zieht, intelligent unter die Erde verlegt werden und der Raum darüber sinnvoll genutzt werden könnte. Zudem würden große Nutzflächen entstehen, die bislang überhaupt nicht existieren.

Überbauung der A100: Neue Visualisierung zeigt großes Flächenpotenzial

Im Rahmen der aktuellen, öffentlichen Diskussion hat das Planungsbüro Lindner seinen Vorschlag noch einmal überarbeitet und neu visualisiert. ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN präsentiert den überarbeiteten Entwurf in diesem Artikel erstmals der Öffentlichkeit. Lindner rechnet vor, dass durch eine Überbauung der Stadtautobahn zwischen den Bahnhöfen Halensee und Hohenzollerndamm eine Fläche entstehen würde, auf der rund 3.000 neue Wohnungen errichtet werden könnten.

Diese neuen Wohnungen sollten, um wirklich bezahlbaren Wohnraum schaffen zu können, in Kooperation mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften entstehen. Denn profitieren sollten vom Projekt vor allem die Menschen, die in Berlin händeringend nach bezahlbaren Mietwohnungen suchen.

Wohnungsbaugesellschaften könnten die Überbauung mitfinanzieren

Unabhängig davon, ob öffentliche oder private Wohnungsbaugesellschaften aktiviert würden: Die beteiligten Unternehmen könnten als Investoren des Projekts zur Finanzierung des Bauvorhabens beitragen. Denn wie bei allen Projekten wird die Finanzierbarkeit des Vorhabens ein Knackpunkt für die spätere Umsetzung sein.

Bei der Überbauung des Autobahnabschnitts müsste natürlich der anstehende Umbau des Autobahndreiecks Funkturm sowie der parallel zur Autobahn verlaufende Bahn- und Güterverkehr berücksichtigt werden. Auch dieser würde zukünftig dann unterirdisch verlaufen. Die maximale Brückenspannweite der Überbauung würde laut Lindner rund 60 Meter betragen.

60 Meter breite Überbauung, Wohnungen in nachhaltiger Holz-Hybridbauweise

Die zu errichtenden Wohnungen sollten in nachhaltiger Holz-Hybridbauweise entstehen, die neuen Wohnviertel im Idealfall verkehrsberuhigt und autofrei gestaltet werden. Dies könnte durch die Schaffung von Quartiersgaragen entstehen, die beispielsweise an den Endpunkten der Überbauung (wie etwa am Bahnhof Hohenzollerndamm oder am Bahnhof Halensee) errichtet werden könnten.

Das Quartier selbst sollte sich nach diesen Vorstellungen wie eine parkähnliche Grünzunge mit öffentlichem “Fahrradhighway” (entlang der A100-Streckenführung) über die heutige Autobahn legen und dabei gleichzeitig als eine elegante Form der Stadtreparatur funktionieren.

Stadtreparatur: Überbauung würde neue Wege zwischen Quartieren schaffen

So könnten auch die Straßen der angrenzenden Quartiere, die heute an der Autobahnschneise enden, sinnvoll durch das neue Viertel geführt werden. Zusätzlich zu den neu entstehenden Wohnungen wäre auch die Errichtung neuer Kita- und Schulgebäude vorauszusetzen, um kurze Wege für die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner zu ermöglichen.

Zudem könnten nachhaltige, städtebauliche Ansätze, die sich mittlerweile zum architektonischen Standard im Wohnungs- und Gewerbebau entwickelt haben, umgesetzt werden. Dazu gehören etwa die Installation oder der Bau von Photovoltaik-Modulen, Regenwasserspeichern oder Windkraftanlagen.

Flächen über der Autobahn als großes, städtebauliches Potenzial

Der mehrdimensionale und weitblickende Ansatz des Planungsbüros Lindner sollte, vor allem unter den Gesichtspunkten von Wohnungsknappheit und dem immer stärker werdenden Wunsch vieler Berlinerinnen und Berliner nach einer nachhaltigen Stadtentwicklung, noch einmal ausführlich beleuchtet werden.

Denn das Flächenpotenzial, welches über Berlins großen Straßen- und Schienenflächen liegt, könnte ein entscheidender Faktor bei der Suche nach neuem Bauland werden. Wer diesen Vorschlag als reine Utopie abtut, sollte seinen Blick nach Hamburg oder Barcelona richten. Dort sind ähnliche Vorhaben bereits umgesetzt oder begonnen worden.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

Gesamtbetrachtung: So könnte eine Überbauung der Stadtautobahn A100 zwischen Halensee und Hohenzollerndamm aussehen.

Autofreies Quartier: Am Rande der Überbauung könnten Quartiersgaragen entstehen, wo die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnanlage ihre Auto abstellen sollen.

Die Überbauung würde als “Stadtreparatur” funktionieren und die Abgas und Lärm produzierende Autobahn unter die Erde verlegen. Darüber würden völlig neue, bislang nicht existierende Stadtstrukturen entstehen.

Weitere Projekte in Charlottenburg-Wilmersdorf findet Ihr hier

Quellen: Lindner Planungsbüro, Der Tagesspiegel, FAZ, taz, Architektur Urbanistik Berlin, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN, dpa, Berliner Morgenpost

 

Weitere Artikel zu ähnlichen Projekten findet Ihr hier: