In der Berliner City West werden derzeit viele Gebäude aus den Jahrzehnten des Wiederaufbaus abgerissen, um Platz für neue Projekte zu schaffen. Nur wenige Gebäude, die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren entstanden sind, konnten in architektonischer Hinsicht langfristig überzeugen. Nun entsteht an ihrer Stelle ein völlig neues Gesicht im westlichen Zentrum Berlins.
© Visualisierung Titelbild: Quarterback Immobilien / Jahr-Gruppe / HAMBURG TEAM Projektentwicklung / ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Björn Leffler
Es sollte ein weiteres, dominantes Zeichen dafür werden, dass im westlichen Teil der geteilten Stadt Berlin ein Aufbruch in die architektonische Moderne vollzogen wird. Dafür sollte die Ruine der im Krieg ausgebombten Kaiser-Wihelm-Gedächtniskirche vollständig abgetragen und durch einen nüchternen Neubau ersetzt werden. Die Pläne von Architekt Egon Eiermann lösten in der West-Berliner Bevölkerung sowie in der Medienwelt jedoch so starke Proteste aus, dass der Abriss des Kirchenturms nicht erfolgte.
Letztlich wurde ein architektonischer Kompromiss gefunden, der noch heute am Breitscheidplatz betrachtet werden kann. Die neu konstruierte, zerstörte Gedächtniskirche wurde zum Wahrzeichen der Frontstadt West-Berlin und ist bis heute ein vielbesuchtes Touristenziel.
städtebaulicher Neuanfang in den 2010er Jahren rund um die Gedächtniskirche
Im direkten Umfeld der Gedächtniskirche sind 2012 und 2017 zwei Gebäude fertiggestellt worden, die den städtischen Raum rund um Tauentzien und Kurfürstendamm völlig neu definiert haben – und das Wahrzeichen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auch in der Höhe übertrumpfen: Die Gebäude “Upper West” und “Zoofenster”, welches vorrangig durch die Hotelkette Waldorf Astoria genutzt wird.
Für die Hochhäuser musste unter anderem das in den 1950er Jahren errichtete Schimmelpfeng-Haus weichen, welches im Jahr 2013 abgerissen wurde. Der Bau von “Upper West” und “Zoofenster” war der Startschuss für etwas, was man aus heutiger Sicht ohne Übertreibung die Neuerfindung der Berliner City West bezeichnen kann.
City West: 600 Hektar zwischen Urania, Stuttgarter Platz und Tiergarten
Vor dem Zweiten Weltkrieg war die City West, die sich in den Ortsteilen Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf und Tiergarten befindet, als “Neuer Westen” oder “Zooviertel” bekannt. Die während der Teilung bekannt gewordene City West umfasst in etwa eine Fläche von gut 600 Hektar und erstreckt sich vom Stuttgarter Platz bis zur Urania und vom Tiergarten bis zur Lietzenburger Straße.
Weite Teile dieses Areals waren nach den alliierten Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, viele Gebäude wurden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. So entstanden in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren neue, moderne Gebäude, die ganz im architektonischen Zeitgeist standen.
Wiederaufbau: Rasterfassaden und Betonbau dominierten das neue West-Berlin
Diese Gebäude zeichneten sich häufig durch Betonfassaden aus, die nicht selten konstruktivistisch und nur als Rasterfassaden ausgebildet waren. Eines der frühen Beispiele für diese Architekturepoche ist der Ernst-Reuter-Platz, wo in den 1950er Jahren die ersten Hochhäuser errichtet wurden.
Ab 1963 wurde am Breitscheidplatz das Europa-Center an Stelle des ebenfalls im Krieg zerstörten Romanischen Cafés als Büro- und Geschäftshaus errichtet. Ein weiterer Hochhausbau entstand am Kurfürstendamm als Kudamm-Karee, das die erhaltenen Bühnen der Komödie und des Theaters am Kurfürstendamm in den Neubau integrierte.
West-Berlin: Ausbau zur autogerechten Stadt, Abriss historischer Gebäude
Zudem wurde der Ausbau West Berlins in eine autogerechte Stadt forciert und die Stadtautobahn errichtet, ab April 1956 (Bau der ersten Schnellstraße entlang des S-Bahnrings zwischen Halensee und Hohenzollerndamm). Die gesamte West-Berliner Innenstadt erhielt ein neues Verkehrskonzept und zum Teil auch völlig neue Straßenführungen, wodurch auch neue Quartiere wie der Bereich rund um den Adenauerplatz entstanden.
Es sind nur einige Beispiele einer großflächigen Neubebauung, die in den Nachkriegsjahrzehnten erfolgte und dem Westteil der Stadt einen völlig neuen, modernistischen Charakter verlieh. Das mitunter radikale Denken in der Stadtplanung jener Zeit führte mitunter auch dazu, dass eigentlich gut erhaltene Gebäude wie etwa der Anhalter Bahnhof abgerissen wurden.
Nach dem Mauerfall verlor die City West an Bedeutung
Nach der Wiedervereinigung verlagerten sich in den 1990er Jahren dann die Schwerpunkte innerhalb Berlins. So entstand zwischen dem Zentrum Ost-Berlins rund um den Alexanderplatz und der City West ein weiteres Zentrum, im Bereich der historischen Mitte Berlins und des ehemaligen Mauerstreifens.
Während im neuen Berliner Stadtzentrum umfangreich geplant, gebaut und neu konzipiert wurde, veränderte sich in der City West erst einmal wenig. Erst ab 2010 rückte der Stadtbereich wieder verstärkt in den Fokus der Stadtplaner. Denn die in den Nachkriegsjahrzehnten neu entstandene Stadt war baulich stark in die Jahre gekommen – und wirkte im Vergleich zum “neuen” Zentrum in der Mitte Berlins oft bieder und spießig.
Die Architektur der Wiederaufbau-Jahre hatte sich schnell überlebt
Die Architektur der 1950er, 1960er und 1970er Jahre erwies sich nur in wenigen Fällen als zukunftsträchtig und wirkt mittlerweile nicht mehr wirklich ansprechend. So hat längst eine städtebauliche Umwälzung in der City West begonnen, bei denen viele Gebäude, die in den Wiederaufbau-Jahrzehnten entstanden sind, abgerissen und durch neue Gebäude ersetzt werden.
Ein Beispiel dafür ist die geplante Neubebauung am Adenauerplatz. Hier wurden bereits mehrere Gebäude aus den 1960er Jahren abgerissen, um Platz für einen modernen Neubau zu schaffen. Auch das benachbarte Panorama-Hotel wird vollkommen umgestaltet und wird sein heutiges, optisches Antlitz verlieren.
Zahlreiche Bauprojekte in der City West werden geplant oder umgesetzt
Rund um den Kurfürstendamm gibt es noch weitere, zahlreiche Beispiele dafür, wo Nachkriegsarchitektur abgetragen oder baulich so stark verändert wird, dass sie einer Neuerfindung gleicht. Dies lässt sich beispielsweise am ambitionierten Bauvorhaben “FÜRST” an der Uhlandstraße beobachten, welches das zwischen 1969 und 1974 entstandene Gebäudeensemble “Kudamm Karree” ersetzen wird.
Nur wenige Meter weiter, in der Lietzenburger Straße, werden ähnliche Projekte umgesetzt. Hier sind zwei Projekte geplant, die direkt gegenüber voneinander entstehen sollen. Auf der nördlichen – der Charlottenburger – Seite ist ein Büroprojekt vorgesehen. Auf der Wilmersdorfer Seite im Süden soll ein Neubau mit 122 möblierten Apartments entstehen. Für eines der Projekte wurde eine bestehende Hotelanlage aus den 1960er Jahren abgerissen.
Uhlandstrasse, Spichernstrasse, Urania: Altes geht, Neues kommt
Ein ähnliches Bauvorhaben soll an der Uhlandstraße 104 und 105 realisiert werden. Auch hier soll ein Bestandsbau aus der Nachkriegszeit weichen, um Platz für das Projekt „Uhlandhouse“ zu schaffen. Bereits im Bau sind insgesamt drei Bauprojekte, die direkt am U-Bahnhof Spichernstraße, an der Schnittstelle zwischen Bundesallee und Hohenzollerndamm entstehen.
Auf der einen Seite entsteht hier das Büro- und Wohngebäude “Quartier Bundesallee”. Auf dem Grundstück stand zuvor für fast vierzig Jahre ein eher zweckmäßiges Bürogebäude, welches für den nun entstehenden Neubau weichen musste.
Auf der anderen Seite wächst das Projekt “Acht und Eins”, ein Hotel- und Büroprojekt, welches zu beiden Seiten der Pariser Straße entsteht. Vor Beginn des Projekts wurde ein bestehendes Gebäude aus den 1960er Jahren abgerissen, um Platz für die zwei neuen Gebäude zu schaffen. Dieser in die Jahre gekommene Gebäuderiegel war als merkwürdige Überbauung der Pariser Straße konzipiert und hatte zu einer unnötigen Sackgassensituation geführt, die nun im Zuge des Neubauprojekts wieder aufgelöst wird.
Das “Pressehaus Constanze” musste einem modernen Neubau weichen
Es gibt noch weitere Projektbeispiele, bei denen Häuser aus der Epoche des Wiederaufbaus abgerissen werden, um Platz für Neubauprojekte zu schaffen. So etwa beim beim „Equalizer“-Projekt, welches unweit des Lützowplatzes entsteht. Mehrere Bestandsgebäude aus den 1960er Jahren befanden sich auf dem Baugrundstück, welche in den vergangenen Jahrzehnten sowohl als Hotel als auch als Wohnraum genutzt wurden. Immerhin: ein kleiner Teil dieser Gebäude wird auch in das neue Ensemble integriert.
Nur wenige Meter südlich des „Equalizer“-Bauprojekts entwickelt die Jahr-Gruppe gemeinsam mit dem Projektentwickler Hamburg Team ein Büro- und Wohngebäude. Anders als beim Nachbarprojekt sollen keine Elemente der ursprünglichen Gebäude in das neue Ensemble einfließen.
Das ist auch nicht mehr möglich, da das Gebäude aus den 1960er Jahren mittlerweile längst abgerissen ist. Auf dem Grundstück, auf dem der Neubau entstehen soll, stand zuvor das seit vielen Jahren leer stehende „Pressehaus Constanze“. Es war die erste deutsche Frauenzeitschrift nach dem Zweiten Weltkrieg, die dem Gebäude seinen Namen verliehen hatte.
Straßenkreuzung an der Urania wird an allen vier Seiten neu gestaltet
An der Urania ist das Bauvorhaben nur eines von insgesamt vier Neubauprojekten, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen. Alle vier Seiten der Straßenkreuzung sollen neu bebaut werden, die Strukturen der “alten” City West verschwinden nicht nur an dieser Stelle Stück für Stück.
Aber nicht nur Gebäude fallen der Abrissbirne zum Opfer. Auch die autogerechte Stadt soll nach dem Willen vieler Stadtplaner und Architekten zurück gebaut werden, um Platz für neue, menschenfreundlichere Formen der Urbanität zu schaffen.
Konzepte für den Rückbau der autogerechten Stadt
Konzepte hierfür gibt es zahlreiche, so etwa vom Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg, der einen möglichen Rückbau der Autobahn 104 im Berliner Südwesten zum Thema des Schinkel-Wettbewerbs 2023 gemacht hat. Auch das vom Verein Paper Planes kürzlich veröffentlichte “Manifest der freien Straße” geht in eine ähnliche Richtung.
Wie schwierig der Umgang mit den Zeugnissen dieser Bauepoche mitunter ist, zeigt der komplexe Umgang mit Gebäuden wie etwa dem denkmalgeschützten ICC am Dreieck Funkturm, für das der Berliner Senat noch immer ein tragfähiges Nutzungskonzept sucht – und ganz nebenbei das nötige Geld für die Sanierung. Auch der Umbau des Steglitzer Kreisels in einen Wohnturm will nicht so recht funktionieren.
Der Erhalt des ICC als Architekturikone des ehemaligen West-Berlin erscheint richtig und alternativlos, unabhängig von seiner zukünftigen Nutzung. Doch es wird wohl eher eine Ausnahme bleiben. Der städtebauliche Trend der vergangenen Jahre zeigt, dass die Stadtplaner nur wenig von dem, was in den Nachkriegsjahrzehnten im Westteil Berlins errichtet wurde, für erhaltenswürdig halten. Die Abrissbirne wird in den kommenden Jahren also sicher weiter kreisen.
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2. November 2024
Nachhaltig ist doch anders.. viele von diese Gebaüde hätte mann ganz einfach umwandeln können in Wohnungen. Meistens ist der Bausubstanz noch gut. Ich wohne Keithstrasse, bei uns wird alles was nach den Krieg gebaut worden ist abgerissen. Berlin hat noch so viele Baulücken und Brachen, baut dort dann neues……
[…] Kurfürstenstraße in Berlins City West ist noch immer stark geprägt von Gebäudestrukturen aus den Wiederaufbau-Zeiten der 1960er und […]