Trotz vieler spektakulärer Bauwerke, die in Berlin umgesetzt wurden, war die Stadt immer auch ein Ort unerfüllter Visionen und Utopien. Wir haben eine Auswahl der spannendsten, aktuellen Vorhaben zusammengestellt, die in die Kategorie “ungewöhnlich” fallen.
Ob es der nie realisierte Traum von der Magnetbahn-Technologie, der vollständige Abriss der historischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der nicht umgesetzte Bau einer Großarena auf dem Gelände des Stadions der Weltjugend oder der lange geplante Bau eines Marx-Engels-Platzes samt Hochhaus am Alexanderplatz war: In Berlin sind in den vergangenen hundert Jahren viele, große Visionen ersponnen, aber letztlich nicht realisiert worden.
Die wohl bekannteste Utopie der Stadtgeschichte, die glücklicherweise niemals realisiert wurde, war die Welthauptstadt-Fantasie der Nationalsozialisten, die aus Berlin eine überdimensionierte Steinwüste mit dem Namen “Germania” machen wollten.
Viele Beispiele für gescheiterte, aber auch umgesetzte Visionen
Aber auch kleiner dimensionierte Projekte wurden in der einstmals geteilten Stadt, die sich seit nunmehr dreißig Jahren wieder Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland nennen darf, nicht umgesetzt. In unserer Mini-Reihe “Berlins Luftschlösser” haben wir uns einem Teil dieser Projekte der Vergangenheit bereits gewidmet.
Auch heute gibt es eine Vielzahl von Projekten, deren Ziel den Betrachter oder die Betrachterin im ersten Moment in ungläubiges Staunen zu versetzen mag oder zumindest ein zweifelndes Stirnrunzeln erzeugen. Nichtsdestotrotz wurden einige solcher Visionen hin und wieder auch Wirklichkeit, wie etwa der Wiederaufbau des Stadtschlosses oder die Neuerrichtung des hoch aufragenden Potsdamer Platzes mit dem futuristischen Sony Center.
Band des Bundes, Zoofenster, Humboldt Forum: Wahr gewordene Stadtvisionen
Auch die Realisierung des von Axel Schultes konzipierten, die Spree zweimal überquerenden “Band des Bundes” im Regierungsviertel kann hier genauso genannt werden wie das “Zoofenster”-Projekt am Breitscheidplatz oder die – mit 20 Jahren verspätete – Umsetzung der Hochhauspläne am Alexanderplatz.
In dem populären, 1996 durch den Jovis Verlag erstmals herausgegebenen Buch “Berlin – Visionen werden Realität” wurden vor rund 25 Jahren einige Projekte aufgeführt, die damals als visionär galten und heute vollkommen selbstverständlich Teil des Berliner Stadtbildes sind, wie etwa das GSW-Hochhaus, die moderne Erweiterung des Deutschen Historischen Museums oder der gläserne, von Meinhard von Gerkan geplante Hauptbahnhof. Und es finden sich natürlich auch einige Projektvorhaben, die niemals realisiert wurden.
Wie sehen die Visionen für das Berlin der Zukunft aus?
Das deutlich aktuellere, 2017 im transcript Verlag erschienene Buch “Berlin – Visionen einer zukünftigen Urbanität“, beschäftigt sich eingehend mit der Frage, ob Kunst und Kreativität zu einem Mittel werden können, um Widersprüche im System Stadt aufzudecken und eigene Formen der Zukunftsbetrachtungen zu entwickeln. Autorin Christine Scherzinger fragt hier aus Sicht einer kritischen, geographischen Stadtforschung nach Visionen einer zukünftigen Urbanität.
Wie solche Visionen aussehen können, haben wir in der Vergangenheit bereits häufig auf ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN gezeigt. Einige der spannendsten und visionärsten Ideen haben wir hier noch einmal für Euch zusammengefasst. Entscheidet selbst, welche Projekte Ihr für vollkommene Utopie haltet – und welche für visionär und umsetzbar.
1/ Das Flussbad-Projekt an der Museumsinsel
© creativecommons / Flußbad Berlin e.v.
Das Projekt Flussbad wird seit mehreren Jahren maßgeblich vom Verein Flussbad Berlin vorangetrieben. Das Projekt wird unter anderem vom Bundesförderprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ finanziell unterstützt. Zwischen Museums- und Fischerinsel soll das Wasser der Spree durch natürliche Filterbereiche so gereinigt werden, dass ein Schwimmen in der Spree bedenkenlos möglich wäre. Das Projekt wird mittlerweile aber auch von vielen Seiten kritisch gesehen, da unter anderem die Finanzierbarkeit des Vorhabens angezweifelt wird.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
2/ Hochhäuser am Dreieck Funkturm
© Visualisierung: Christoph Langhof Architekten
Architekt Christoph Langhof ist in Berlin vor allem durch das von ihm entworfene Gebäude „Upper West“ am Kurfürstendamm bekannt. Noch viel spektakulärere Pläne hat sein Architekturbüro für den Verkehrsknotenpunkt Westkreuz entworfen.
Das Areal am Funkturm, welches im Zentrum dieser Hochhausvision steht, ist ein ungemütliches Gewirr aus Verkehrswegen: A 100, Avus, Messedamm, Halenseestraße und die Schienen des S-Bahn-Ringes treffen hier aufeinander. Es gibt schönere Orte in Berlin. An dieser Stelle kann sich Langhof eine Hochhausbebauung in großem Stil vorstellen. Bis zu neun Wolkenkratzer mit einer intelligenten Mischnutzung schlägt das Büro vor.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
3/ Solar-Überdachung der Stadtautobahn
© Grafik: LABOR3 Architektur GmbH
Die Berliner CDU war schon im Oktober 2020 mit einem innovativen Vorschlag an das Berliner Abgeordnetenhaus herangetreten. Teile der insgesamt 77 Kilometer langen Stadtautobahn könnten mit einer Photovoltaik-Anlage überdacht werden. Riesige Solarpaneele sollen demnach auf Stelzen befestigt werden und die Autobahn wie ein Dach überspannen. Umgesetzt wurde eine solche Idee bislang noch nicht, allerdings gibt es bereits konkretere Planungen in der Schweiz und Österreich.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
4/ Umwidmung der A100 in eine “City-Farm”
© Visualisierung: Paper Planes Berlin / reindeer renderings
Nach aktuellem Verkehrsplan soll die Stadtautobahn nicht nur bis nach Treptow, sondern weiter durch den Stadtteil Friedrichshain bis zur Storkower Straße geführt werden. Viele Bürgerinitiativen und Vereine, aber auch die in der derzeitigen Regierung beteiligte Partei Bündnis 90/Die Grünen, sehen das innerstädtische Autobahnprojekt ausgesprochen kritisch. Die im Rohbau weitgehend fertige Trasse soll nach Vorstellungen des Vereins “Paper Planes” zum innerstädtischen Landwirtschaftsbetrieb werden, mit künstlicher Beleuchtung und Klimatisierung, deren Energie von einem Solardach gewonnen wird. Auf diese Weise könnten die Lieferwege für landwirtschaftliche Erzeugnisse radikal reduziert werden.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
5/ Das ICC als “Mobility-Hub” der Zukunft
© Visualisierung: GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH
Das Internationale Congress Centrum Berlin, kurz ICC, war bis zu seiner Schließung im Jahr 2014 eines der größten Kongresshäuser der Welt. Seit Jahren wird in Berlin über die Zukunft des Gebäudes diskutiert. Im Jahr 2019 hatte der Berliner Senat Vorschläge für eine zukünftige Nutzung des Gebäudes eingeholt. Darunter waren sehr unterschiedliche Ideen: das ICC als Zentral- und Landesbibliothek, als riesiges Gewächshaus oder eben weiterhin als Standort für den Messebetrieb.
Auch das Büro Graft hat sich mit einem Vorschlag eingebracht. Die Vorstellung von Thomas Willemeit ist es, aus dem ICC ein Mobility Hub der Zukunft zu machen, auch im Namen: Das Projekt trägt den Titel „M.ICC“: Mobility Innovation Convention Center.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
…und einen Podcast zum Thema haben wir hier veröffentlicht
6/ Bauminseln am ufer der Mierendorff-Insel in Charlottenburg
© Visualisierung: Lindner Planungsbüro UG
Das vom Berliner Architekten Mario Lindner geführte Lindner Planungsbüro ist bekannt für seine innovativen, städtebaulichen Ideen, die bereits in der Vergangenheit für Aufsehen gesorgt haben. Zu den Ideen, die das Team um Mario Lindner entwickelt hat, gehören unter anderem ein Konzept zur Autobahnüberbauung der A100 zu Wohnzwecken oder eine kulturell orientierte Nachnutzung des sanierungsbedürftigen ICC.
Ein weiteres Konzept, welches Mario Lindner gemeinsam mit dem ebenfalls in Berlin ansässigen Architekten Philipp Kleihues entwickelt hat, beschäftigt sich mit der Reinigung des Spreewassers durch die Schaffung mehrerer Bauminseln. Das Projekt trägt den Namen „Spreekreuz Inselpark“ und soll nach den Vorstellungen der beiden Architekten am Uferbereich der Spree in Charlottenburg umgesetzt werden.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
7/ Das Radbahn-Projekt unter dem U1-Viadukt in Kreuzberg
Das 2015 erstmals veröffentlichte “Projekt Radbahn” entstand aus der Idee heraus, den Platz unter dem denkmalgeschützten U-Bahn-Viadukt der Line U1 als Raum für einen Radweg nutzbar zu machen. Die Initiatoren des Projekts sehen eine geradlinige Führung für den Radverkehr zwischen Oberbaumbrücke und Kottbusser Tor vor. Der Berliner Senat unterstützt das Vorhaben und hat bereits im Februar 2021 zwei mögliche Varianten für eine entsprechende Machbarkeitsstudie ausgeschrieben.
Variante 1 wäre demzufolge eine Streckenführung ausschließlich unter der U-Bahn-Linie. Variante 2 sieht ergänzend auch eine Streckenführung auf einer der beiden Fahrbahnen daneben vor. Bei der zweiten Variante würde es folglich nur noch eine Fahrbahn für Autos mit einem Fahrstreifen je Richtung geben.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
8/ Wohnen über einem Regenrückhaltebecken
© Grafiken: Deluse Architects
Dass Wohnräume in Berliner Innenstadtlagen ein knappes Gut sind, ist keine neue Nachricht. Neu hingegen ist der Ansatz, den das in Berlin ansässige Architekturbüro Deluse Architects verfolgt. Dieses schlägt den Bau einer Wohnanlage auf Pfählen vor, die über einem Regenrückhaltebecken errichtet werden soll. Architekt Peter Deluse hat hierfür gleich zwei mögliche Standorte ausgemacht, die für eine Realisierung des Vorhabens infrage kommen, in den Stadtteilen Wilmersdorf und Kreuzberg.
Die neuen Gebäude sollen auf Pfählen von 4,50 Metern Höhe errichtet werden. Somit sei sichergestellt, dass die Häuser über dem maximal erreichbaren Wasserstand im Regenrückhaltebecken (bei maximalem Niederschlag) errichtet werden. Wenn das Becken nicht oder nur wenig mit Wasser gefüllt ist, könnten die Bewohner des Neubaus die Fläche in ihrer Freizeit nutzen.
Mehr Informationen zum Wilmersdorfer Projektvorhaben gibt es hier
…und hier könnt Ihr nachlesen, wie das zweite Projekt in Kreuzberg aussehen würde
9/ Neubau eines Exilmuseums am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg
© Grafiken: Stiftung Exilmuseum Berlin
Wie wir bereits mehrfach berichtet hatten, plant die „Stiftung Exilmuseum“, initiiert von der Schriftstellerin Herta Müller und dem ehemaligen Kultursenator Christoph Stölzl, direkt hinter der Portalruine des ehemaligen Anhalter Bahnhofs ein Museum des Exils zu errichten. Geplant ist, das Museum im Jahr 2025 zu eröffnen.
Der hinter dem zukünftigen Neubau liegende Fußballplatz soll bei einem möglichen Neubau erhalten bleiben. Dies war eine der Vorgaben für die Architektenbüros, die sich an einem Architekturwettbewerb zur Gestaltung des Büros beteiligten. Gewonnen wurde dieser von der dänischen Architektin Dörte Mandrup Eine zehnköpfige Jury, bestehend aus Architekten und Architektinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft, hat beim Preisgericht am 13. August 2020 aus neun eingereichten Entwürfen den Entwurf des Kopenhagener Büros prämiert.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
10/ Neubau des Drei-Religionen-Hauses “House of One” am Petriplatz
© Grafiken: Kuehn Malvezzi
Am Petriplatz, in der historischen Mitte Berlins, soll eines der innovativsten und ambitioniertesten Projekte Europas entstehen. Das „House of One“ genannte Gebäude soll auf dem mittelalterlichen Gründungsort Berlins entstehen. Bei diesem Projekt soll der erste Sakralbau entstehen, in dem Juden, Christen und Muslime vereint unter einem Dach ihre Religion ausüben können.
Die Idee hinter dem Projekt ist es, ein völlig neuartiges, zukunftsweisendes Sakralgebäude gemeinsam durch Juden, Christen und Muslime planen und bauen zu lassen und mit Leben zu füllen. Die Initiatoren des Projekts arbeiten bereits seit 2011 an der Umsetzung des Projekts. Das Motto des Projektes ist: „Drei Weltreligionen – ein Weg zu Gott“. Erklärtes Ziel der Initiative ist es, die Verständigung und den Austausch zwischen diesen drei großen Religionen zu fördern und zu verbessern bzw. überhaupt erst möglich zu machen.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier
Zusatz:
Die Gewollte Utopie – Eine Magnetbahn am Hauptbahnhof
© Grafik: GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH
Im Auftrag der Firmengruppe Max Bögl hat das Berliner Architekturbüro Graft die Visualisierung einer Magnetschwebebahn in einem urbanen Kontext vorgenommen und sich das derzeit durch Baustellen geprägte Umfeld des Berliner Hauptbahnhofs ausgesucht. Diese Visualisierung fußt allerdings nicht auf einem konkreten Projektvorhaben, sondern soll eine Vorstellung darüber geben, wie die Magnetbahn-Technologie des 21. Jahrhunderts im städtischen Raum aussehen könnte.
Das Unternehmen Max Bögl ist mit 6.500 Mitarbeiter*innen an weltweit 40 Standorten eines der größten Bauunternehmen der deutschen Bauindustrie. Eine der neuesten Entwicklungen des Unternehmens ist eine Magnetschwebebahn mit dem Namen „Transport System Bögl (TSB)“. Zur Visualisierung gehörte die Entwicklung von Strecken und Stationen für das „intelligent gesteuerte, fahrerlose Bahnsystem, das zu einem lärm- und emissionsarmen Verkehr“ in der Zukunft beitragen soll. Dabei ging es nicht nur um die Gestaltung der Strecken selbst, sondern auch um deren Anpassungsfähigkeit an bereits bestehende Verkehrsknotenpunkte.
Mehr Informationen zur Konzeptstudie gibt es hier
Weitere Artikel zum Thema findet Ihr hier:
Die unerfüllte Vision: Berlin und die Magnetbahn-Technologie
Serie – Berlins Luftschlösser, Teil 1: Die “Olympiahalle 2000” in Mitte
Dokumentation: Die Zukunft der Stadt – Wie wollen wir zukünftig leben?
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