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Briefe aus T. – Teil 1: Schweigen

Briefe aus T.

Teil 1 – Schweigen

14. September 2005

Eigentlich war mir klar, dass Du nicht kommen würdest. Aber ich bin trotzdem hingefahren. Es hat schon auf der Fahrt dorthin ein bisschen geregnet, so wie am Freitag. Na ja nicht ganz so stark wie am Freitag, aber es erinnerte mich daran, wie wir das Prasseln des Regens auf die Autoscheibe schweigend von drinnen beobachtet haben. Ich weiß, dass Du nicht gern schweigst, aber ich habe diesen Moment sehr genossen. Du warst vermutlich froh, als es dann langsam aufgehört hat, zu regnen, aber ich finde Du bist eigentlich eine sehr angenehme Schweigerin. Das hat Dir vermutlich nur noch niemand gesagt.

Weißt Du, ich hab dann einfach nicht gewusst, was ich sagen sollte dazu. Und ja, Du hattest recht behalten. Ich kannte diesen Ort tatsächlich noch nicht, obwohl ich das Gefühl habe, eigentlich jeden kleinen Winkel dieses Ortes zu kennen. Ich hab auch erst nach einer Weile gesehen, dass es jüdische Grabsteine sind.  Ich hoffe nicht, dass Du mir mein Schweigen als Desinteresse auslegst. Ich war einfach unsicher und wusste plötzlich auch nicht, warum Du mir das zeigst.

Aber mir fiel dann die Diskussion mit Schmidti wieder ein, die Du letzten Winter bei Tines Geburtstag geführt hattest. Sein bescheuertes Gelaber ist uns allen auf den Keks gegangen, aber – ich weiß. Es sagt eben nie einer was.

Das Schweigen im Raum, als Du dann gegangen bist und Deine Tränen, die Dir über die Wange gelaufen sind, ich hab das alles vom Sofa aus beobachtet und nicht so wirklich verstanden. Ich komme mir jetzt blöd vor, dass ich versucht habe, Dir einzureden, dass Schmidti nur ein unbedeutender kleiner preußischer Nostalgiker ist und Du Dir aus seinem Gerede nicht zu viel machen sollst. Ich hatte das ehrlich gesagt auch schon wieder vergessen.

Aber als ich dann den Namen „Bernheimer“ las auf diesem kleinen, unscheinbaren Grabstein, vor dem Du stehengeblieben warst, hab ich sofort wieder daran gedacht. Wie hätte ich das wissen können, Hanna. Ich komme mir so blöd vor jetzt. Ich habe es total verharmlost, ich weiß. Ich wusste nicht, was es für Dich bedeutet.

12. Januar 1938. Ich habe mir das Datum gemerkt. Obwohl ich mit Zahlen sonst nichts am Hut habe, schon komisch oder? Aber das Datum vergesse ich irgendwie nicht mehr. Ich würde Dich gern fragen, wer sie ist. Und wie es geschehen ist. Aber das kann ich heute nicht, jetzt nicht. Und will es auch gar nicht.

Ich wusste nicht, ob ich das Recht dazu habe, Dich in den Arm zu nehmen. Ich wusste überhaupt nicht, ob ich überhaupt irgendwas machen oder einfach nur gehen sollte. Ich habe gesehen, dass Du weinst und wollte Dich nicht so im Nieselregen stehen lassen. Du hast nichts gesagt, aber aus Deinen Augen habe ich keinen Vorwurf gelesen, obwohl ich es Dir nicht hätte übel nehmen können. Es fühlte sich richtig an, und Du fühltest Dich warm an. Ich hoffte, Du würdest nicht merken, wie stark mein Herz schlägt in diesem Moment, aber Du hast es gemerkt. Deine Hand auf meiner Brust hat es aber nicht besser gemacht. Es schlug nur noch schneller. Dein Ring glänzte. Winzig kleine Tropfen darauf.

Ich weiß, es war dämlich von mir, zu versuchen, Dich zu küssen in diesem Moment. Auf einem Friedhof. Ich bin ein Idiot. Aber Du hättest trotzdem nicht den ganzen Weg zurück zum Mühlengraben laufen müssen. Ich weiß nicht, wie ich Dein schweigendes Davonlaufen werten soll. Eigentlich weiß ich gar nichts. Weder von Dir, von diesem Ort, und – so wie es scheint – auch viel zu wenig von mir selbst.

Ich bin nicht mehr lang geblieben, als Du weg warst. Ich hatte irgendwie das Gefühl, ich hätte nicht die Berechtigung dazu. Als ich Dich am Ende der Bergstraße eingeholt hatte, hast Du nicht ein einziges Mal in den Wagen gesehen. Ich hab es akzeptiert, aber an Dir vorbeizufahren wie an einer Fremden, das war, als würde jemand etwas von mir abschneiden und in den Staub werfen.

Ich wusste, dass Du nicht kommen würdest. Ich erwarte auch nicht, dass Du mir auf jede meiner Nachrichten antwortest. Aber ich hoffe, dass Du bald aufhörst, zu schweigen. Wenn ich schon nicht das Recht habe, Dich zu küssen, will ich wenigstens mit Dir reden dürfen. Weil Du es ja selbst nicht magst. Das Schweigen, meine ich.

Es schreibt sich schlecht hier im Auto. Ich traue mich nicht, noch einmal rüber zum Friedhof zu gehen, ohne Dich. Ich sitze nur hier und höre dem Regen zu und warte noch ein bisschen, ob Du vielleicht doch noch kommst.

Ich hoffe, dieser Brief zeigt Dir mehr von mir als meine dämlichen, gestammelten Sätze, in denen mir immer die richtigen Worte fehlen. Allein dafür hätte es sich schon gelohnt, ihn zu schreiben.

Robert.  

 

 

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