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Jede Zeit baut ihre Stadt.

Eine Geschichte vom Mehringplatz Teil 2: Die Bank

ILLUSTRATION: LUCIA BONTJER
TEXT: BJÖRN LEFFLER

 

Die Bank

War es hier, Peter? War es an dieser Stelle? War es diese Bank? Nein, ganz sicher nicht. Obwohl sie ihr ein klassisches Aussehen gegeben haben. Und dutzendfach überstrichen scheinen die Holzlatten und Metallstreben auch zu sein. Aber es ist nicht diese Bank. Nicht unsere Bank, auf der wir immer gelegen hatten. Oft skizziertest Du. Den Platz. Seine strenge Geometrie. Am Brunnen sitzende Menschen. Streunende Hunde. Den Engel. Weißt du, ich weiß gar nicht warum, aber heute sitzen die Menschen kaum mehr an dem Brunnen. Liegt es vielleicht daran, dass er immer trocken ist? Sitzen Menschen nicht gerne an trockenen Brunnen?

Irgendwie passt es ja. Diese gewisse Trostlosigkeit, die vom stillgelegten Brunnen ausgeht, dazu die tristen Fassaden der Häuser. Aber du würdest dich wundern. An manchen Tagen ist es hier weitaus belebter als zu unserer Zeit. Aber würden sie den alten Platz kennen, würden sie… Nun ja, vielleicht würden sie genauso wie ich hier sitzen und sich erinnern. Vergleichen, ein bisschen schwelgen. Mehr nicht. Ans Schwelgen habe ich mich gewöhnt in den letzten Jahrzehnten. Es blieb oft einfach nichts besseres übrig, weißt du? Mein Gott, manchmal denke ich, du bist ganz froh, dass du das alles nicht mehr mitbekommen hast, aber das weißt nur du allein. Und wer weiß, wie das gewesen wäre.

 Schließlich wohntest du in der Mohrenstraße. Nach ‘61 war das dann nicht mehr das Gleiche. Die Begriffe „Osten“ und „Westen“ bekamen eine völlig neue Bedeutung, eine furchtbare Bedeutung. Hätte uns das trennen können? Natürlich nicht, würdest du jetzt empört aufschreien. Aber Peter, du hast es nicht erlebt. Sie waren brutal. Und unnachgiebig. Familien, Freunde, das war ihnen egal. Einfach egal. Es wiederholte sich. Wieder mal. Aber sicher weißt du das alles. Andererseits wärst du vielleicht auch nicht mehr in die Mohrenstraße zurückgegangen. Wo hättest du leben sollen? Sie haben sie schon im Herbst ‘43 weggebombt, eure wunderschöne Eckwohnung. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, Peter, ich weiß es wirklich nicht. Ich habe sie danach nicht mehr gesehen. Aber was will das schon heißen? Auch davor sah ich sie oft Wochen nicht. Wann hattest du sie das letzte Mal gesehen? Oktober, November 1942? So ungefähr muss es gewesen sein.

„Wir sehen uns wieder!“ hattest du am Vorabend deiner Abreise zu mir gesagt, in deiner so eigentümlichen Unumstürzlichkeit. Das schien dir selbstverständlich. Ich versuchte es zu glauben. Bis sie mich selbst einzogen, versuchte ich jeden Tag zu lesen, wie es dort unten stand. So weit weg warst du, fast an der Wolga, schriebst du mir einmal. Ich hab sie alle noch, Peter, in einem Bündel im Küchentisch. Ich kenne sie fast auswendig, das kannst du mir glauben. Wolga, dachte ich immer. Was für ein Wahnsinn. Es schien mir so unfassbar weit weg.

Der Asphalt ist noch immer der alte. Ich hätte es vielleicht auch so gesehen. Aber die Anordnung der Steine gleicht der auf dem Foto haargenau. Ein bisschen ungepflegter nur. Ein bisschen in die Jahre gekommen. Gerade die strenge Anordnung der einzelnen Zellen hatte uns so gefallen. Aber heute wirkt es nicht mehr, die Leute gehen einfach drüber. Betrachten sie nicht, die Steine. Und weißt du noch, wir wünschten uns manchmal etwas mehr grün. Und jetzt ist es tatsächlich viel grüner als damals. Auch weil die Bäume nun größer sind. Etwas dreckiger ist es auch. Und in der Unterführung vorne ist ein Dönerladen ansässig geworden. Vor vielen Jahren schon. Merkwürdig war es, als es plötzlich multikulturell wurde hier. Manche hassten es. Andere konnten es gar nicht abwarten. Ein bisschen war es für mich wie eine späte Rache an der braunen Pest. Nun mussten sie es hinnehmen. Ja doch, es gefiel mir schon.

War es dort, wo jetzt der Supermarkt steht? War es dort, Peter? Warum musstest du recht behalten, so wie du immer recht behalte hattest? Warum auch diesmal? Fast scheint mir, als würde die Sonne ein paar zarte Strahlen auf die Stelle werfen. Wie damals. Und fast ist mir manchmal so, als würde ich mich am liebsten niederlegen. Dorthin legen. Und diesmal sterben.

ZUM ERSTEN TEIL DER SERIE GEHT ES HIER
Die Illustrationen zur Geschichte sind von Lucia Bontjer. Mehr über Lucia erfahrt Ihr hier

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