Vor 40 Jahren wurde der “neue” Friedrichstadt-Palast eröffnet, nachdem zuvor das bisherige Gebäude abgerissen und durch einen kompletten Neubau ersetzt werden musste. Das populäre Revuetheater gilt heute mit seiner vage an den Jugendstil erinnernden Ornamentik als gelungenes Architektur-Beispiel der “Ostmoderne”.
© Foto Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Wolfgang Leffler
Die bewegte Geschichte des Berliner Friedrichstadt-Palastes begann nicht erst mit der Eröffnung des heute noch betriebenen Gebäudes im April 1984, sondern reicht sehr viel weiter zurück – und hatte anfangs überhaupt nichts mit dem Thema Theater und Revue zu tun.
Die baulichen Anfänge des Friedrichstadt-Palastes reichen zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als Wochenmärkte in Berlin unter freiem Himmel abgehalten wurden.
Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die erste überdachte Markthalle in Berlin
Aber die Stadt wollte dem Pariser Vorbild „Halles Central“, übrigens wie bei so vielen urbanen Projekten, nacheifern und so wurde ein nordwestlich der Weidendammer Brücke gelegenes, ehemaliges Areal für Holzlagerungen für die erste Markthalle Berlins bebaut.
Diese neue und somit erste Markthalle Berlins, in unmittelbarer Nähe der Friedrichstraße, wurde Anfang Oktober 1867 eingeweiht und eröffnet. Diese Marktform war natürlich auch dem Modernisierungsstreben Berlins geschuldet, welches dem Anspruch der aufstrebenden Großstadt entsprach und den Händlern wesentlich bessere Bedingungen bot, vor allem im Hinblick auf die hygienischen Verhältnisse, die vorher unter freien Himmel teilweise katastrophal waren.
Die 1867 eingeweihte Markthalle ging schnell pleite – und wurde umgenutzt
Obwohl das Interesse der Käufer anfangs überwältigend war, musste diese erste Berliner Markthalle – an der Friedrichstraße, Ecke Lindenstraße gelegen – rund sechs Monate später aufgrund der von den Eigentümern erhobenen hohen Standgebühren wieder geschlossen werden.
Speziell die kleineren Händler, die die Masse der Verkaufsstände ausmachten, konnten schlichtweg nicht die Umsätze generieren, um den Eigentümern die erwarteten Gewinne einzuspielen. Daraufhin wurde die erste Markthalle auf Initiative der Betreiber für andere, lukrativere Nutzungen hergerichtet bzw. neu projektiert. Es waren vor allem Zirkusvorstellungen, die ab Weihnachten 1873 in der umgebauten Markthalle stattfanden.
Zirkusvorstellungen und Aufführungen fanden in der Markthalle statt
Zur Geschichte dieser ersten Berliner Markthalle, die als „Riesenmarkthalle“ pleiteging, gehört übrigens auch, dass die beauftragten Baustadträte bei der nahe der Spree ausgehobenen Baugrube statt des vermuteten Märkischen Kieses schwammigen Sand vorfanden, so dass der Bau ins Stocken geriet.
Um diesem schwammigen Baugrund die nötige Stabilität zu verleihen, ließen sie exakt 863 Pfähle in die Tiefe des wabernden Baugrundes einrammen, um der geplanten Markthalle ein stabiles Fundament zu geben.
1918 wurde der Zuschauerraum vollkommen neu gestaltet
Nach mehreren wechselnden Zirkusbetreibern bekam im Jahr 1918 der damalige Stadtbaurat Poelzig den Auftrag, den Zuschauerraum neu zu gestalten. Mit einer Kuppel, die die Arena und den Zuschauerraum überspannte, veränderte er den Charakter des Hauses, welches sich nun als großes Theater präsentierte, grundlegend.
Nach dem Umbau in ein „Riesenvolkstheater“ hieß der erste Chef des neuen „Großen Schauspielhauses“ Max Reinhardt, der seine Idee von Theateraufführungen antiken Stils hier umsetzte, wie etwa „Hamlet“, „Danton“ oder „Ein Sommernachtstraum“ und anderen Masseninszenierungen.
„Theater des Volkes“: 1933 zogen die Faschisten ein
Inflation und Weltwirtschaftskrise vereitelten weitere hochfliegende Pläne. Reinhardt musste den Theaterbetrieb aufgeben und Erik Charell kam, der wieder Revue und Unterhaltung anbot. Die Operette „Zum Weißen Rössl“ erlebte in diesem Haus ihre Welturaufführung.
1933 zogen die Faschisten in das Haus und nannten es fortan „Theater des Volkes“. Mehrere Bombentreffer im zweiten Weltkrieg beschädigen das Haus schwer, aber mit Hilfe der sowjetischen Besatzer wurde das arg ramponierte Gebäude wieder instantgesetzt.
Seit 1947 heißt die Spielstätte “Friedrichstadt-Palast”
Im August 1945 kehrte die heitere Muse mit dem Palast-Varieté „Haus der 3.000“ an den Standort zurück; zwei Jahre später wurde das Haus dem Berliner Magistrat unterstellt und heißt seitdem „Friedrichstadt-Palast“.
Künstler aus aller Welt gastierten in dem Haus an der Spree und boten dem Publikum ein unvergessliches Erlebnis: Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Josephine Baker oder Juliette Greco.
1980 hielten die Holzpfähle das Gebäude nicht mehr: Der Abriss folgte
Aber die oben erwähnten Pfähle wollten ihrer „tragenden“ Rolle nicht mehr genügen, sie faulten im Berliner Schlamm vor sich hin, so dass die letzte Vorstellung Ende Februar 1980 stattfand.
Aber bereits eineinhalb Jahre später erfolgte die Grundsteinlegung an anderer Stelle, nicht weit weg von der alten Heimstätte, in der Friedrichstraße 107. Im April 1984 schlug der “neue” Friedrichstadt-Palast ein weiteres Kapitel dieses Revuetheaters auf, das bis heute weitergeführt wird.
Seit 2020 steht der “neue” Friedrichstadt-Palast unter Denkmalschutz
Seit August 2020 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Die Architekten des Gebäudes mit seiner vage an den Jugendstil erinnernden Ornamentik holten sich Inspiration für den Neubau bei einer Dienstreise nach Paris, wo sie unter anderem das “Moulin Rouge” und “Folies Bergères” besichtigen durften.
Zum Architektenteam zählte auch der mittlerweile verstorbene Manfred Prasser. Er und seine Kollegen Dieter Bankert und Walter Schwarz konzipierten einen Plattenbau mit vorgefertigten Elementen, die – inspiriert von ihrer Reise nach Paris – mit hohen, schmalen Fenstern aufwarteten und sich nach oben hin zu blütenartigen Dreiecken öffneten, als ob sie die erhobenen Arme von Revuetänzerinnen wären.
Der “neue” Friedrichstadt-Palast sollte architektonisch herausstechen
Die Aufgabe für das Architektenteam hatte durchaus Relevanz. Der “alte” Friedrichstadt-Palast, der sich neben dem Berliner Ensemble befand, hatte eine legendäre Stellung sowohl in der Architektur als auch in der Unterhaltungswelt.
Hans Poelzigs expressionistisches Design umrahmte zunächst das Theater von Max Reinhardt und später die beliebte Fernsehsendung “Ein Kessel Buntes”. Der Neubau, der den alten Palast ersetzte, sollte ebenfalls einen mythologischen Status erreichen.
Der Friedrichstadt-Palast zählt heute zu den relevantesten Revuetheatern weltweit
Dank seiner opulenten technischen Ausstattung und eines vielseitigen Programms gelang ihm das auch: Bis heute bleibt es die erfolgreichste Bühne Berlins und zählt zu den relevantesten Revuetheatern weltweit. Und das Gebäude hält noch einige weitere Rekorde.
Der Friedrichstadt-Palast besitzt mit 2.854 Quadratmetern bespielbarer Gesamtfläche die größte Theaterbühne der Welt und weist zudem mit 24 Metern eines der breitesten Bühnenportale in Europa auf. Ein Umstand, der ihn wohl auch in den kommenden Jahren zu den beliebtesten Attraktionen Berlins zählen lassen wird.
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Quellen: Friedrichstadt-Palast, Der Tagesspiegel, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, Deutsches Architektur Forum, Süddeutsche Zeitung