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Genossenschaften in Zeiten der Baukrise: “Bürger*innen bauen Stadt”

Können Genossenschaften eine Lösung bei der Bewältigung der Berliner Wohnungsnot darstellen? Dieser Frage widmete sich der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg im Rahmen einer ausführlichen Podiumsdiskussion. Wir haben uns die präsentierten Vorschläge angesehen. 

Berlin braucht dringend bezahlbare Wohnungen. Ob genossenschaftliche Wohnungsbaumodelle dabei helfen können, hat der AIV im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörtert. / © Foto: depositphotos.com

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Text: Wolfgang Leffler

 

Im Mittelpunkt der Veranstaltung, zu welcher der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V. (“AIV”) am 7. Juni 2023 in die Räumlichkeiten der Camaro-Stiftung geladen hatte, stand die Grundsatzfrage, wie man es bewerkstelligen kann, der nicht nur in Berlin sondern auch in anderen deutschen Großstädten herrschenden Wohnungsnot entgegenzuwirken.

Beängstigend gestiegene Boden-, Bau – und Finanzierungskosten haben die Aussicht auf finanzierbare neue Wohnungen in weite Ferne rücken lassen. Der Bedarf jedoch an neuem Wohnraum ist enorm und somit rückt das Interesse an gemeinwohlorientiertem Bauen sowie der Bedarf an Wohnen in Gemeinschaften in den Mittelpunkt der Diskussionen.

Mit gemeinwohlorientiertem Bauen beschäftigt sich der “AIV” bereits länger

Mit diesem Thema beschäftigte sich der AIV bereits seit Sommer 2022 und hatte daher Expertinnen und Experten zur ersten Diskussionsrunde geladen, um Ideen und Vorschläge und deren Realisierungschancen vorzustellen und auszuloten.

Der AIV plant, mit der Gründung einer gemeinnützigen Genossenschaft bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Dabei stehen neben Fragen zur Finanzierung auch Themen wie Konstruktion, Beschaffenheit der Baustoffe, nachhaltige Bauweise und Klimaresilienz im Mittelpunkt der Erörterungen.

Genossenschaften als wichtiger Baustein zur Lösung der Wohnungskrise?

Besonderes Interesse galt bereits im Vorfeld der Berliner Genossenschaftskultur in Vergangenheit und Gegenwart, denn deren Prinzipien der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung könnten ein nicht unwesentlicher Schlüssel bei der Herangehensweise zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums sein. In Berlin gibt es heute insgesamt 80 Wohnungsbaugenossenschaften mit einem Bestand von rund 200.000 Wohnungen.

Als Moderator führte Rudolf Spindler durch die Veranstaltung, der als erstem Redner Architekt Tobias Nöfer das Wort erteilte. Nöfer, als Vorsitzender des AIV, begrüßte die doch recht zahlreich erschienenen  Gäste und stellte am Anfang seiner Ausführungen die IST-Situation des Modells zur Gründung einer Genossenschaft dar, die von Fachleuten – Architekten und Ingenieure – geführt werden sollte, basierend auf deren Fachwissen und der damit vorhandenen Chance zur Einbringung eigener Ideen und Vorschläge.

Tobias Nöfer unterstrich gemeinnützigen Charakter des “AIV”

Allerdings konnte er nicht umhin, auf die öffentliche negative Berichterstattung zum AIV-Vorschlag der Gründung einer Genossenschaft zu verweisen, in der dem AIV unterstellt wird, mit diesem Modell Gewinne erzielen zu wollen, was er vehement verneinte. Der AIV, so Nöfer, hatte schon immer innovative Ideen, sei sowohl gemeinnützig als auch konstruktiv und hege keinerlei Absichten zur Gewinnerzielung.

Generell sei aber in Berlin innerhalb der letzten fünf bis sechs Jahre seitens der Genossenschaften zu wenig gebaut worden. Herr Prof. Dr. Wolfgang Maennig, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg, sprach zum Thema Genossenschaften in der Stadtentwicklung und nahm gleich am Anfang seines Vortrages den Staffelstab zu steigenden Baupreisen auf und erklärte an mehreren exemplarischen Berechnungsmodellen die Ursachen für steigende Baukosten inkl. Zinssteigerungen.

Steigende Baukosten und Zinsen als große Herausforderung

Die Baukosten in Berlin lägen mit 1.800 Euro pro Quadratmeter momentan aber immer noch unter dem Bundesdurchschnitt. Eines der wesentlichen Probleme für zukünftige Bauvorhaben sieht er in den steigenden Baulandpreisen.

Alles in allem analytisch gut dargestellte Kostenrechnungsmodelle mit bundesweiten Vergleichsbetrachtungen, speziell von Genossenschaften in anderen Großstädten wie München und Hamburg, verdeutlichten die Problematik anschaulich.

Engpässe auch durch Forderungen nach engergeitschen Sanierungen

Herr Carsten Michael Röding, Architekt und Vorstandsmitglied der Charlottenburger Baugenossenschaft eG „Charlotte“, sowie ehemaliger Baustadtrat von Spandau, legte in einem sehr aufgeschlossenen und guten Vortrag die Befindlichkeiten der „Charlotte“ dar, die zurzeit insgesamt 6.914 Wohnungen, verteilt auf sechs Berliner Bezirke, in ihrem Bestand hat. Rund 70 neue Wohnungen werden derzeit gebaut, etwa 70 weitere sind in Planung.

Mit 15.000 Mitgliedern bei knapp 7.000 Wohnungen hat man bei der “Charlotte” einen Aufnahmestopp verhängt, der nur in Ausnahmefällen revidiert und natürlich nur durch weiteren Wohnungsneubau revidiert werden kann.

Michael Röding: “Gesellschaft braucht Genossenschaften”

Auf die Frage, warum in Berlin nicht mehr geplant und gebaut werden kann, erwiderte Röding im Prinzip mit derselben Antwort: Baukosten- und Zinssteigerungen, sowie Forderungen nach einer energetischen Modernisierung, die die finanziellen Spielräume verengen und hohe Neubaumieten erfordern.

Grundsätzlich vertritt Röding aber die Ansicht, dass genossenschaftliches Bauen für die Stadt das Richtige ist und als generelles Fazit die moderne Gesellschaft Genossenschaften braucht. Frau Prof. Dr. Silvia Malcovati, Professorin für Entwerfen und Städtebau von der FH Potsdam, referierte über genossenschaftlichen Reformwohnungsbau in Berlin mit der daraus entstandenen städtischen Architektur im Zeitraum 1890 bis 1930.

Sie stellte fest, dass keine Chronologie der Gebäudeensembleentwicklungen als Typus zu erkennen sei. Die im genannten Zeitraum durchgeführte Reform im Wohnungsbau war weniger eine Bautypfortsetzung oder -entwicklung, sondern eher eine ökologische Reform der Wohnungen.

Hamburger Genossenschaftsprojekt als Vorbild für Berliner Wohnungsbau?

Frau Caroline Nachtigall-Marten (Duplex Architekten Hamburg) und Björn Köhler (Gröninger Hof eG) referierten über ein Projekt in Hamburg unter dem Motto „Wohnen statt Parken in der Hamburger Altstadt“, eine Initiative der Genossenschaft Gröninger Hof eG.

Das Projekt will weg von der „Neubaulogik“ und favorisiert das Vorhaben mit dem Slogan „Gemeinsam für eine urbane Lebensqualität, Ortsbezogen und Partizipativ“.

Ein ehemaliges Parkhaus als Bauhülle für Genossenschaftsprojekt

Ein in der Hamburger Altstadt gelegenes und nicht mehr genutztes Parkhaus, welches die Stadt Hamburg zum Abriss frei gegeben hatte, soll hier als Bauhülle dienen, wobei sieben Prozent der vorhandenen Bruttogeschoßflächen als sogenannte „Gemeinschaftsflächen“ (wie etwa Waschraum oder Sauna) angelegt werden sollen.

Die Stadt Hamburg unterstützt das Projekt und fördert es dementsprechend, wobei die Stadt die Baufläche nicht verkauft, sondern mit dem in Hamburg stark favorisierten Ebbbaurecht gute Anreize setzt.

München und Hamburg setzen zunehmend auf das Modell Erbbaurecht

Urs Krumberger, Architekt (Teleinternetcafé)  berichtete in seinem Vortrag über ein Projekt in München, wo eine große Gemeinschaft eine kleinteilige Nutzung anstrebt. Das Gebäude, eine große Altbauimmobilie, befindet sich in der Nähe des Olympiaparks, einer recht attraktiven Wohngegend und soll nach Fertigstellung der Rekonstruktion als Schnittstelle zwischen bereits vorhandenen Teilquartieren und der neuen Quartiersadresse dienen.

Die Stadt München unterstützt das Vorhaben und hat bereits die Ausschreibung dazu ausgelobt. Die Bebauung soll auf Basis Erbbaurecht mit einer Laufzeit von 80 Jahren angelegt werden; Erbbaurecht deshalb, weil die Stadt keine Bauflächen mehr verkauft.

“Forum Kreuzberg”: Beispiel einer selbstverwalteten Genossenschaft

Dr. Roland Mainz (Forum Kreuzberg) referierte als letzter Redner über das Thema „Vom unsanierten Altbestand zur klimaschützenden und partizipativen Genossenschaft“. Das Gebäudeensemble, welches er präsentierte, wurde 1972 im Herzen von Berlin-Kreuzberg, Nähe Schlesisches Tor, zu einem Kaufpreis von 375.000 D-Mark erworben und im Jahr 2016 um einen zusätzlichen Neubau erweitert, der ohne staatliche Förderung nicht möglich gewesen wäre.

Die in dem Areal agierende Lebens- und Arbeitsgemeinschaft versucht sich permanent dem Wandel der Zeit anzupassen, was in den vielfältig dargestellten Energie- und Umweltanpassungen im Gebäudeensemble eindrucksvoll dokumentiert wurde. Wir haben es hier mit einer selbstverwalteten Genossenschaft zu tun, in der die Angelegenheiten der Verwaltung, Technik, Energie und Bau gemeinsam und konzentriert behandelt werden.

Klimaorientiert: Schrittweise Tranformation des Gebäudekomplexes

Im Gebäudekomplex werden ein Drittel der Flächen als Gewerbe und zwei Drittel der Flächen als Wohnungen genutzt, so dass man von einem „Dorf in der Stadt“ sprechen kann. Allerdings ist eine Umwandlung in Eigentumswohnungen ausgeschlossen, es bleibt bei der gemeinnützigen Nutzung.

Beeindruckend ist die schrittweise vorgenommene Transformation am Gebäudekomplex, was den Klimaschutz mit Dämmung, neuen Fenstern, Photovoltaik, Geothermie, Ansiedlung von Bienen, Gründach, Hofbegrünung und Urban Gardening angeht. Das alles funktioniert im Wesentlichen durch ein eigenes Monitoring, im dem regelmäßig darüber berichtet und diskutiert wird, was gut läuft und was nicht so gut funktioniert.

 

Durch diese eigene Prozessbeobachtung haben die Verantwortlichen des “Forum Kreuzberg” über die Jahre selbst viel dazu gelernt. Ein beredtes Beispiel für die funktionierende Partizipation war die Diskussion um die Heizkurvenanpassung, in dem man die Frage stellte, wie es denn nun weitergehen solle hinsichtlich der steigenden Heizkosten und dem zu berücksichtigenden Klimawandel. Letztendlich entschied man sich für eine Kombination aus Fernwärme und lokaler Geothermie.

Als Fazit zum Vorgetragenen muss man konstatieren, dass die Komplexität der Themen einen permanenten Gedankenaustausch und eine gute Vernetzung erfordert. Zum Schluss der Veranstaltung zog Rudolf Spindler das Resümee und wies darauf hin, dass die vorgestellten verschiedenen Modelle der Genossenschaften auf alle Fälle sehr interessante Alternativen sind, die weiter verfolgt werden sollten, aufgrund der aktuellen Brisanz am angespannten Wohnungsmarkt!

Die nächste Veranstaltung zum Thema, soll voraussichtlich bereits im Juli 2023 stattfinden.

 

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