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Behrensufer in Oberschöneweide: Tiefenbohrung für Wärmegewinnung

Im Südosten Berlins soll bis 2027 in Oberschöneweide das 10 Hektar große Gewerbegebiet “BE-U” entstehen. Der Bauherr, das Unternehmen DIE | AG, arbeitet daran, ein nachhaltiges Konzept für die zukünftige Energieversorgung des neuen Quartiers zu entwickeln. Dabei soll die Stromerzeugung durch die Nutzung von Erdwärme erfolgen.

Rund um den historischen und denkmalgeschützten Peter-Behrens-Bau in Berlin-Schöneweide soll das Gewerbeprojekt “BE-U” entstehen. / © Foto: A.Savin, Wikimedia Commons

© Visualisierungen: DIE Deutsche Immobilien Entwicklungs AG
© Foto Peter-Behrens-Bau: A.Savin, Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler

 

Die Uferbereiche in Nieder- und Oberschöneweide gehören seit mehreren Jahren zu den begehrtesten Baugrundstücken im Berliner Südosten. Zahlreiche Bauvorhaben werden hier geplant oder bereits durchgeführt.

So entsteht zwischen Fließstraße und Spreeufer das Wohnungsbauprojekt “Wohnwerk”, verantwortet durch das Immobilienunternehmen “BUWOG”. Auch die Reaktivierung der historischen Bärenquell-Brauerei in Niederschöneweide gehört zu den spannenden Bauprojekten in diesem Stadtraum.

Gewerbeprojekt “BE-U” rund um den historischen Peter-Behrens-Bau

Das größte Vorhaben jedoch ist das Gewerbeprojekt “BE-U”, welches rund um den historischen Peter-Behrens-Bau entstehen soll. Bereits im April 2022 hatten wir im Rahmen der 41. Metropolengespräche zum Projekt „Unvollendete Metropole“, ausgerichtet vom AIV, über das von der DIE|AG als Bauträger geplante Modellprojekt im ehemaligen Industriegebiet Oberschöneweide berichtet.

Im Zentrum dieses Modellprojekts steht vor allem die zukünftige Energieversorgung des neuen Quartiers. Nun nimmt das Projekt Fahrt auf, nachdem bei einem Termin am Geoforschungszentrum Potsdam Anfang Dezember 2022 die weiteren Schritte zum Genehmigungsverfahren und erste seismische Untersuchungen mit Rüttelplatten und Probebohrung besprochen wurden.

Grob gesagt geht es bei dem Vorhaben um ein bis dato einzigartiges Modellprojekt, welches das Potenzial hat, eine Vorreiterrolle für den gesamten europäischen Raum einzunehmen. Gleichzeitig ist das Vorhaben ein Hoffnungsträger dafür, schnell eine klimaverträgliche Energieversorgung urbaner Räume zu ermöglichen.

Energieversorgung: Zulassungsverfahren in Deutschland dauern bis zu 15 Jahre

 Allerdings gilt es noch einige bürokratische Hürden speziell beim Zulassungsverfahren zu nehmen, die in Deutschland für ein solches Projekt derzeit bis zu 15 Jahre dauern können. Vielleicht gelingt es ja der Bundesregierung in ihren geplanten Gesetzgebungspaketen, das Thema „Planfeststellungsverfahren“ so zu forcieren, dass ein solches Vorhaben ein deutlich kürzeres Genehmigungsprozedere erfährt – im Sinne des schnelleren Erreichens der selbst gesteckten Klimaziele.

Mario Ragg, Geschäftsführer der DIE|AG Projektentwicklungs- und Management GmbH berichtete gegenüber dem Tagesspiegel, dass das vorgestellte Projekt nicht nur das derzeit geplante Gewerbegebiet am Behrensufer mit dem Projektnamen „BE-U“ mit Energie versorgen soll, sondern auch umliegende Straßen und Quartiere beliefert werden könnten.

Angesichts der vorgestellten Detailplanungen sind das bemerkenswerte Dimensionen, die für die Klimawende zumindest in Berlin einen immensen Sprung nach vorn bedeuten würden. Im Gegensatz dazu haben die ewigen Diskussionen der Politik zu Flüssiggasimporten einen geradezu lapidaren Anstrich.

Bohrung bis 4,5 Kilometer Tiefe: Stromerzeugung durch Erdwärme

 Die technischen Herausforderungen sind allerdings enorm, will man doch bis zu 4,5 Kilometer tiefe Erdbohrungen vornehmen, wo Temperaturen von rund 130 Grad herrschen. Mittels der dort vorherrschenden Wärme soll Ammoniak verdunstet werden, welches wiederum Druckluftturbinen von General Electric antreiben soll, woraus dann der Strom gewonnen wird. So die Idee.

Dieses Verfahren entstand in Anlehnung an die vom US-Autobauer Tesla entwickelten Turbinen, bei denen aus Ammoniakwasser das Ammoniak wegen des höheren Dampfdrucks schneller verdunstet als Wasser.

Druckluftturbinen könnten zukünftig das Behrens-Ufer mit Energie versorgen

Geplant ist somit mittels Erdwärme eine Stromerzeugung von bis zu 25 Gigawattstunden zu erreichen. Mit dieser Strommenge könnte das Behrens-Ufer und eine fünfstellige Anzahl von Haushalten versorgt werden. Die entstehende Wärmeerzeugung wäre quasi inklusive und würde in die in unmittelbarer Nähe liegende Ostendstraße eingespeist werden.

 Für die Umsetzung des ambitionierten „BE-U“-Vorhaben kalkuliert die DIE|AG mit einem Investitionsvolumen von über einer Milliarde Euro. Das System der geschlossenen Geothermie soll in Kooperation mit weiteren Unternehmen umgesetzt werden. Gespräche mit der STRABAG, einem der größten europäischen Bauunternehmen, laufen dem Vernehmen nach bereits.

„Erd-Heizkörper“: Bohrkrone soll 32 Zoll großes Bohrloch in den Boden fräsen

Die technische Lösung sieht so aus, dass ein 32 Zoll großes Bohrloch (81 cm Durchmesser) mit einer momentan gängigen Bohrkrone gebohrt werden soll. In diesem Bohrloch sollen vier Wärmetauscher integriert werden, die quasi wie ein Heizkörper funktionieren, welcher in die Erde eingelassen ist. Durch die Erdwärme wird letztlich Strom erzeugt.

Um berlinweit bei der Stromversorgung von Fremdeinspeisungen jedweder Art gänzlich unabhängig zu werden, müsste die Stadt insgesamt 15 Anlagen dieser Bauart installieren. Die DIE|AG rechnet bei dieser ersten Anlage mit realen Kosten in Höhe von 55 Millionen Euro, hat aber kaufmännisch vorsichtig mit einer Investitionssumme von ca. 100 Millionen Euro kalkuliert.

Die Refinanzierung soll über eine Energiepreispauschale der Gewerbemieter abgesichert werden. Für die Mieter, so Robert Sprajcar, Vorstand der DIE|AG, bedeutet das einen sogenannten „Sozialbeitrag“ in Höhe von einem Euro pro Quadratmeter, was bei einer Gesamtmietfläche von 230.000 Quadratmeter Mietfläche rund 2,3 Millionen Euro an Einnahmen ausmachen würde, eine Vollvermietung des Areals vorausgesetzt. Denkbar ist aber auch eine Auslagerung des Kraftwerksbetriebs, zum Beispiel an die GASAG.

Enormes Potenzial für Energiegewinnung durch Geothermie

Hinsichtlich des Riesenpotentials der Energiegewinnung durch natürliche Erdwärme sollte es wohl ein leichtes sein, politische Fürsprecher für dieses Projekt zu gewinnen, wo doch mehr oder weniger alle politischen Parteien in Deutschland sich forsche Klimaziele auf ihre Fahnen geheftet haben.

Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen befürwortet selbstredend eine stärkere Förderung dieser Form der Energiegewinnung und hat in ihrem Potsdamer Wahlkreis Mitte März ein ähnlich konzipiertes Geothermieprojekt mit einer Bohrung von zwei Kilometern Tiefe besichtigt. Hier soll zu einem späteren Zeitpunkt dann ein komplettes Wohngebiet mit Wärme versorgt werden.

CDU und Grüne befürworten das Vorhaben – Pilotprojekt für Deutschland?

 Das von der DIE|AG geplante Projekt könnte also bundesweit zu einem Pilotmodell avancieren, da diese Art der Wärmegewinnung nicht nur für Wohnungen im unmittelbaren Umfeld sondern auch für die Einspeisung in das Fernwärmenetz genutzt werden kann. Auch die CDU befürwortet das Projekt am Behrensufer und hat sich die Pläne dazu ausgiebig erläutern lassen.

Ein Grund für die Besonderheit dieser Art der Energiegewinnung nannte DIE|AG-Vorstand Sprajcar gegenüber dem Tagesspiegel: “Wir arbeiten mit Lehmdecken“, was konkret bedeutet, dass innenliegende Wasserleitungen im Sommer kühlen und im Winter heizen sollen, und das mit einer vergleichsweise geringen Vorlauftemperatur.

Quartier „BE-U“ soll auf einer Fläche von zehn Hektar entstehen

Auf dem ehemaligen, rund 10 Hektar großen ehemaligen Industriegebiet im Südosten Berlins sollen in historischen und neuen Gebäuden auf einer Gesamtmietfläche von 235.000 Quadratmetern Mietflächen für Gewerbetreibende entstehen. Zwei Kilometer vom S-Bahnhof Schöneweide und sieben Kilometer vom Bahnhof Ostkreuz entfernt soll das neue Quartier entstehen.

Geplant ist die Vollendung des Projekts bis zum Jahr 2027, wobei bereits Ende 2023 die ersten Anmietungen für Bestands- und Neubauten umgesetzt werden sollen. Für die Gebäudezertifizierung wurde vom Bauherren selbst als Minimum der „Gold“-Standard der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) vorgegeben.

Nähe zum Technologiepark Adlershof soll Synergien schaffen

Das weiträumige Gelände liegt in direkter Nachbarschaft zur Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Die geplanten, großzügigen Räume sollen besonders geeignet sein für Forschung und Entwicklung, Labore und Hightech-Produktionen. Als Wissens-Hub soll das „BE-U“ den Zukunftsort Schöneweide erweitern und Synergieeffekte mit dem naheliegenden Technologiestandort Adlershof ermöglichen.

Nach der Fertigstellung des Projekts soll das Gelände auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und auch eine jederzeit nutzbare Uferpromenade geschaffen werden. Auf dem gesamten Gelände und insbesondere entlang eben jener Uferpromenade sollen vielfältige Gastronomiekonzepte und Angebote für Freizeit, Erholung und Gesundheit entstehen.

Das Gelände soll nach seiner Fertigstellung öffentlich nutzbar sein

Auch die Errichtung einer Schule und einer Kita auf dem Areal sind vorgesehen. Mit dem ersten Bauabschnitt hat Generalübernehmer Züblin bereits begonnen. Teil des zu entwickelnden Geländes ist der historische Behrensbau an der Ostendstraße, der nach Plänen des Architekten Peter Behrens von 1914 bis 1917 errichtet wurde.

Nach seiner Fertigstellung wurde der Gebäudekomplex vom Unternehmen AEG genutzt. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz. In diesem Jahr soll auf dem Areal ein Besucherzentrum eröffnen, in dem mach sich über den Stand der Bauarbeiten informieren kann.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

So soll das künftige Quartier “BE-U” vom Wasser aus betrachtet einmal aussehen. Bis 2027 soll das Projekt abgeschlossen werden. / © Visualisierung: DIE Deutsche Immobilien Entwicklungs AG

Weitere Projekte in Treptow-Köpenick findet Ihr hier
Weitere Gewerbeprojekte sind hier aufgeführt

Quellen: Der Tagesspiegel, DIE|AG, Züblin, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, Berliner Woche, AIV, Geoforschungszentrum Potsdam

 

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