Klassische Warenhäuser wie Karstadt oder Galeria Kaufhof verlieren im harten Einzelhandels-Wettbewerb zunehmend an Perspektiven. Auch viele Shopping Malls und Einkaufszentren kämpfen mit hohen Leerstandszahlen. In Braunschweig sollen diese Flächen nun für Bildungseinrichtungen genutzt werden. Und es gibt noch weitere, sinnvolle Nutzungsideen, die auch für andere deutsche Städte Vorbildcharakter haben könnten.
© Fotos: depositphotos.com
Text: Björn Leffler
Bereits Anfang März hatten wir über eine spürbare Trendwende auf dem Berliner Immobilienmarkt für Einkaufszentren und Kaufhäuser berichtet. Viele Shopping Malls haben nicht erst seit der Corona-Pandemie mit großem Leerstand zu kämpfen.
In einigen Malls ist der Leerstand so gravierend, dass nun gänzlich neue Nutzungsformen für die Bestandsbauten gesucht werden. So wird etwa in Berlin-Steglitz das Einkaufszentrum Boulevard Berlin umgebaut. Statt Einzelhandelsflächen sollen dort Büroflächen und Serviced Apartments entstehen.
Viele Einkaufszentren werden umgenutzt oder bereits wieder abgerissen
Anderen Immobilien, wie etwa dem Park Center in Treptow, dem Tal-Center in Marzahn oder der Dreispitzpassage in der Friedrichstraße droht der teilweise oder vollständige Abriss. Häufig werden auf den Grundstücken Büro- und Wohnprojekte geplant.
Der seit Jahren wachsende Marktanteil des Online-Handels lässt das Geschäftsmodell der Shopping Malls zunehmend ins Wanken geraten. Noch sehr viel schlechter sieht es für klassische Warenhäuser wie Karstadt oder Galeria Kaufhof aus, die bundesweit zahlreiche Filialen schließen müssen.
Karstadt-Warenhäuser werden in Berlin längst umgebaut oder abgerissen
Dafür gibt es auch in Berlin genügend Beispiele. So wird derzeit der Umbau des Karstadt-Warenhauses an der Müllerstraße im Wedding geplant, während in der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg die dortige Karstadt-Filiale komplett abgerissen werden soll. Die einstige Galeria-Kaufhof-Filiale am Ostbahnhof ist längst in ein hochmodernes Bürogebäude umgebaut worden.
Das sind insgesamt eine Menge Gründe, um über neue Nutzungsmöglichkeiten für die leerstehenden oder zunehmend geringer ausgelasteten Einzelhandelsimmobilien nachzudenken. Denn Bedarf für infrastrukturell gut angebundene Flächen gibt es von vielen Seiten, vor allem in dicht besiedelten Innenstadtbereichen.
Vorbild Braunschweig? Umwandlung von Einzelhandelsflächen in Bildungszentren
Ein mögliches Vorbild bietet nun die Stadt Braunschweig, die als eine der ersten deutschen Städte proaktiv auf den Strukturwandel im Einzelhandel reagieren will. Immerhin werden dort in naher Zukunft drei Galeria-Kaufhof-Filialen geschlossen und sollen somit leer stehen.
Die Stadt plant nun, in diesen Gebäuden dringend benötigte Flächen für Schulen, Volkshochschulen und Vereine unterzubringen, um aus der Not eine Tugend zu machen. Ein mögliches Modell auch für andere deutsche Großstädte?
TU Braunschweig erarbeitet Nutzungskonzepte für leere Warenhäuser
Die Technische Universität in Braunschweig beschäftigte sich bereits vor über zwei Jahren mit der Umnutzung leerstehender Kaufhäuser in gut angebundenen Innenstadtlagen. Neben den oben bereits erwähnten, bildungsorientierten Nutzungen schlugen die Studierenden auch gänzlich andere Nutzungsformen vor.
So könnten in den einstigen Kaufhäusern auch Co-Working-Spaces, Ateliers und Labore entstehen. Ein ähnlich gelagertes Projekt wird in Berlin an der Karl-Marx-Straße in Neukölln bereits mit dem Projekt “Kalle Neukölln” umgesetzt.
Kulturflächen, urbane Landwirtschaft oder Wohnungen könnten entstehen
Weitere Ideen waren die Einrichtung von Produktionsstätten, urbaner Landwirtschaft oder Kultureinrichtungen. Auch der Umbau der Immobilien in bezahlbaren Wohnraum und die Einrichtung von Kindertagesstätten sowie Familienbetreuungszentren wurde vorgeschlagen.
Gänzlich neu sind solche Vorschläge natürlich nicht. Schon heute sind in zahlreichen ehemaligen Kaufhäusern oder Einkaufszentren handelsfremde Nutzungen wie Bibliotheken oder auch Arztpraxen untergebracht. So befindet sich etwa im Steglitzer Einkaufszentrum “Das Schloss” im dritten Obergeschoss die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek.
Niedergang des Einzelhandels als Chance für deutsche Innenstädte
Der Niedergang des Einzelhandels in vielen deutschen Innenstädten, natürlich auch in Berlin, muss also nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht sein. Was dabei aber natürlich vergessen werden darf sind die vielen Arbeitsplätze, die an den Filialen hängen.
Dass es in den dazugehörigen Immobilien oder auf den Grundstücken künftig auch anders geartete Nutzungsideen geben kann, sollten vor allem die Kommunen, Bezirke und Städte auch als Chance begreifen und die Neuausrichtung dieser Grundstücke nicht gänzlich dem privaten Immobiliensektor überlassen.
Kieztreffs und Begegnungszentren können entstehen, wenn politischer Wille da ist
Denn wo die klassische Kaufhalle oder der Supermarkt früher auch als eine Art Begegnungsstätte im Kiez funktioniert hat, kann an gleicher Stelle auch ein Gemeindezentrum mit Café, Freizeitmöglichkeiten und Versammlungsräumen eingerichtet werden. Hierfür müssen natürlich auch die entsprechenden Gelder vorhanden sein. Gefragt ist hierbei also die Politik.
Auch in Berlin wird das Thema Strukturwandel im Einzelhandel längst intensiv behandelt. Neben den bereits erwähnten, laufenden Bauprojekten gibt es auch institutionelle Initiativen. Die Berliner Landeswirtschaftsförderung hatte kürzlich zu einem entsprechenden Netzwerktreffen eingeladen.
Ausbau von Elektromobilität und Einführung Autonomer Supermärkte
Dabei wurden Themen wie die sukzessive Einrichtung von Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, die Funktionsweise autonomer Supermärkte (Läden ohne Kassierer) sowie Sparpotentiale für die Gebäudeleittechnik diskutiert.
Beim Umgang mit dem sich längst vollziehenden Strukturwandel ist von vielerlei Seiten ein hohes Maß an Flexibilität gefordert. Das betrifft einerseits die öffentlichen Einrichtungen, die sich auf die neuen, räumlichen Gegebenheiten einlassen müssen.
Das betrifft aber genauso die Betreiber der Warenhäuser und Einkaufszentren, die nicht rein profitorientiert, sondern auch im Sinne der öffentlichen Versorgung handeln sollten, anstatt den Leerstand zu verwalten – auch wenn dies in Teilen geringere Erlöse durch öffentliche Träger bedeuten sollte.
Politik und Warenhaus-Betreiber sind gefragt: Mehr Mut, mehr Innovation!
Unabhängig davon, dass viele Menschen bei der Schließung oder Umnutzung ehemaliger Warenhäuser und Shopping Malls ihre Arbeit verlieren, sollte dieser Trend vor allem auch als Chance wahrgenommen werden, in den Innenstädten wieder mehr Nutzungskonzepte umzusetzen, die eben nicht rein konsumorientiert sind – und die Innenstädte auch fern von Ladenöffnungszeiten beleben.
Dabei sind kreative Köpfe, innovative Ideen und Mut gefragt, aber nicht ausschließlich. Denn viele der oben erwähnten Konzepte liegen eigentlich auf der Hand und schreien förmlich danach, umgesetzt zu werden. Vor allem der auch in vielen Berliner Bezirken vorherrschende Mangel an Ausbildungs-, Schul- und Sportflächen könnte durch eine Umnutzung der leerstehenden Flächen schnell behoben werden. Man muss es nur angehen.
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Weitere Gewerbeprojekte findet Ihr hier
Weitere Bildungsthemen sind hier aufgeführt
Quellen: Immobilien Zeitung, Magazin TU Braunschweig, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN, ECE Projektmanagement GmbH, DLE Land Development GmbH, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, GEWOBAG, Signa Real Estate, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Architektur Urbanistik Berlin
Weitere Artikel zu ähnlichen Projekten findet Ihr hier:
[…] erst seit der Corona-Pandemie befinden sich deutsche Innenstädte in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Vor allem der in die Krise geratene Einzelhandel, der mehr und mehr vom Online-Handel abgelöst […]