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Leerstehende Büroimmobilien als Lösung für Berlins Wohnungsnot?

Während in Berlin Büro- und Gewerbeimmobilien zunehmend mit Leerstand zu kämpfen haben, ist die Wohnungsnot unvermindert groß. Eine Umrüstung dieser Flächen in Wohnraum könnte eine sinnvolle Lösung sein – und erfordert eigentlich nicht viel Kreativität. Doch dafür braucht es einerseits den politischen Willen und andererseits ein Umdenken bei den Immobilienentwicklern.

An der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln wird derzeit ein 1970 errichtetes, ehemaliges Kaufhaus umgebaut und mit einem neuen Nutzungskonzept versehen. Ist künftig auch die Einrichtung von Wohnraum in einstigen Büro- und Gewerbeimmobilien denkbar? / © Foto: Maruhn Real Estate Investment GmbH

© Foto Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Björn Leffler

 

Nicht erst seit der Corona-Pandemie befinden sich deutsche Innenstädte in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Vor allem der in die Krise geratene Einzelhandel, der mehr und mehr vom Online-Handel abgelöst wird, führt zu leerstehenden Immobilien in Innenstadtlagen.

Längst hat der Umbau von klassischen Warenhäusern und Shopping Malls begonnen, mit ganz unterschiedlichen Konzepten, wie sie etwa an Modellprojekten wie dem „Kalle Neukölln“ in der Karl-Marx-Straße, dem “Boulevard Berlin” in der Steglitzer Schloßstraße oder am Leopoldplatz in der Weddinger Müllerstraße zu beobachten sind.

Warenhäuser und Shoppingmalls: Umbau zahlreicher Immobilien

Hier werden vorrangig gewerblich orientierte Mischnutzungen realisiert, die auch Einzelhandelsflächen beinhalten, aber auch Büronutzungen und Räumlichkeiten für Vereine, Verbände, Bildungsprojekte, Arztpraxen oder kommunale Angebote.

Während in klassischen Einzelhandelsimmobilien also längst das Thema Um- und Neunutzung gedacht und umgesetzt wird, liegt ein anderes Potenzialthema bislang weitgehend unberührt, obwohl auch hier große Synergien möglich wären.

Berlin: Große Wohnungsnot und leerstehende Büroimmobilien

Während in deutschen Ballungsräumen – vor allem in Berlin, aber auch in anderen Großstädten – die Wohnungsnot ungebrochen ist, stehen auch klassische Büroimmobilien längst vor der Herausforderung, dass sich die Räumlichkeiten in Zeiten von Home Office und agilem Arbeiten längst nicht mehr problemlos vermieten lassen.

Schaut man sich an, wie neue Gewerbeimmobilien mittlerweile konzipiert werden, wird auf einen hohen Komfort-Faktor gesetzt, der den Beschäftigten das Gefühl geben soll, quasi zu Hause zu arbeiten.

Moderne Bürokonzepte setzen auf hohen Komfort für Beschäftigte

Daher haben es Projektentwickler mittlerweile häufig auf ehemalige Industrie-, Brauerei- oder Bahnflächen abgesehen, wie es derzeit etwa am historischen Berliner Postbahnhof umgesetzt wird oder auf dem Gelände der einstigen Bötzow-Brauerei in Prenzlauer Berg.

Auch Projektentwickler wie Trockland setzen vermehrt auf die Reaktivierung spannender Bestandsbauten wie beim Projekt „Wilhelmine“ in Oberschöneweide oder bauen aufwendige Projekte wie das „A Laska“, welches von vornherein auf einen hohen und individuell gestalteten Bürokomfort setzt.

Vor allem Büroimmobilien aus den 90er und 2000er Jahren stehen zunehmend leer

Die nüchtern und zweckorientiert gestalteten Büroimmobilien der 1980er, 1990er oder 2000er Jahre, die es in Berlin noch zu Hauf gibt, haben es auf dem hart umkämpften Markt also automatisch zunehmend schwerer. Doch weiterhin werden von den Bezirken respektive dem Berliner Senat Büroprojekte bewilligt, bei denen relativ einfallslos kastenartige Etagen aufeinander gestapelt werden – häufig in sehr begehrten Lagen.

Diese Immobilien sind nicht nur meist baulich wenig attraktiv, sondern gehen auch dramatisch am Marktbedarf vorbei und es stellt sich die Frage, warum der Berliner Senat hier nicht längst zentral  entgegensteuert, anstatt unvermindert an veralteten Bebauungsplänen festzuhalten.

Der Berliner Senat muss entgegensteuern – und Wohnraum schaffen

Statt konsequent mehr Wohnraum zu schaffen – natürlich in Kooperation auch mit privaten Immobilienentwicklern – werden stattdessen riesige Gewerbeprojekte wie etwa das Vorhaben „Spreeküste“ entlang der Spree im Südosten Berlins vorangetrieben.

Die städtebaulich wertvollen Flächen entlang des Ufers der Spree zwischen Rummelsburg und Oberschöneweide gehören zu bevorzugten Lagen in der Hauptstadt. Um die bauliche Entwicklung dieser Uferbereiche zentral und koordiniert zu steuern wird derzeit ein bezirksübergreifendes Entwicklungskonzept erarbeitet.

Keine Wohnungen: Großflächiges Entwicklungsprojekt “Spreeküste”

Das riesige Areal umfasst unter anderem das alte Kraftwerk Rummelsburg und das ehemalige Funkhaus sowie großflächige Brach- und Gewerbeflächen. Geschaffen werden sollen fast ausschließlich Büro- und Gewerbeimmobilien, Wohnungen sind bislang nicht vorgesehen.

Längst setzen sich Bürgerinitiativen und die Bezirke in diesem Fall dafür ein, dass beim Projekt „Spreeküste“ zumindest auf eine Mischnutzung gesetzt wird, anstatt riesige Gewerbeflächen zu schaffen, die abends nicht belebt sind und den Bedarf des Marktes überhaupt nicht treffen.

Auf dem Markt für Büroimmobilien hat längst eine Trendwende stattgefunden

Denn der Wandel im Markt ist eindeutig, auch wenn Immobilienentwickler weiterhin große Aufwände unternehmen, um ihre Büroimmobilien halbwegs auszulasten. Immer mehr Menschen arbeiten im Home Office, Büroflächen werden mehr und mehr nur partiell genutzt.

Gleichzeitig gibt es einen enormen Flächenbedarf für Wohnungen, der nicht bedient werden kann, da große Grundstücke vor allem in begehrten Innenstadtlagen nicht mehr verfügbar sind – und von Bürogebäuden “besetzt” werden.

Wie aufwendig ist der Umbau von Bürogebäuden in Wohnhäuser?

Dabei sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, leerstehende Büro- und Gewerbeimmobilien in Wohnflächen umzubauen, anstatt diese aufwendig umzurüsten und in moderne, hippe Arbeitswelten zu verwandeln. Der Umbau solcher Immobilien in Wohnraum ist sicher aufwendig und nicht in jeder Immobilie möglich, aber bei aller vorhandenen Kreativität im Bausektor sollte es kein unüberwindbares Problem darstellen.

Immobilienentwickler gehen oft mit großer Lust daran, historische Immobilien umzubauen, die ursprünglich völlig andere Nutzungen hatten. In Spandau etwa wird eine alte Eisengießerei in einen Büro- und Kreativstandort umgewandelt, in Pankow und Schöneberg wurden bzw. werden aus alten Kirchengemäuern hochwertige Eigentumswohnungen.

Die Kreativität von Bauherren ist gegeben – und sollte genutzt werden

Genauso aufwendig ist beispielsweise der Umbau des ehemaligen Flughafens Tegel, in dessen alte Terminal-Gebäude zukünftig eine Universität einziehen wird. Ein anderes Beispiel ist die Neukonzeption des Areals rund um das einstige Postscheckamt in Kreuzberg, wo Wohnungen und Büros entstehen.

Mit anderen Worten: an der baulichen Umsetzbarkeit sollte es eigentlich nicht scheitern, denn viele der in den vergangenen Jahren entstandenen Immobilien sind auf einem technisch neuwertigen Stand und müssten vor allem hinsichtlich Raumbelichtung, Grundrisse und sanitäre Anlagen ertüchtigt werden.

In reinen Bürogebäuden könnte eine Mischnutzung realisiert werden

Dabei müssen diese Gebäude ja nicht vollständig in Wohnhäuser bzw. reine Wohnanlagen umgebaut werden, aber vor allem die Gebäudeteile, die sich von der Lage her für einen Umbau in eine Wohneinheit eignen, sollten ins Auge gefasst werden. So könnten auf smartem Wege Gebäude mit einer Mischnutzung entstehen, die dadurch völlig neu belebt werden können.

Einhergehend könnten in solchen Immobilien auch Nutzungen wie Schul- und Vereinssport integriert werden, was zusätzliche Synergien schaffen könnte, wenn Bildungs- und Freizeitangebote für die Bewohner in unmittelbarer Nähe liegen. Auch andere Nutzungen wie Arztpraxen oder andere Dienstleistungsangebote könnten eingerichtet werden.

Politischer Wille für Umbau von Bürogebäuden ist nötig

Allein: der politische Wille ist erforderlich, um solche Projekte anzuschieben. Diesen Willen zur Umnutzung von suboptimal genutzten Innenstadtflächen kann man dem Senat bzw. den Berliner Bezirken eigentlich nicht grundsätzlich absprechen.

Längst wurden beispielsweise viele ehemalige Flächen, auf denen einstöckige Lebensmittelmärkte oder Discounter standen, umgenutzt, um auf ihnen Wohnhäuser mit integriertem Einzelhandelsangebot zu errichten. Solche Projekte wurden und werden etwa in Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Hellersdorf oder Charlottenburg umgesetzt.

Der Berliner Senat muss den Umbau von Büroimmobilien fördern

Das Potenzial von Wohnraum in leerstehenden Büroimmobilien ist mutmaßlich ungleich höher. Der bauliche und finanzielle Aufwand muss abhängig von der Beschaffenheit des Gebäudes bewertet werden.

Genauso wie der Berliner Senat den Bau von mietpreisgebundenen Wohnungen subventioniert, sollte auch hier darüber nachgedacht werden, Projektentwickler finanziell zu fördern, wenn diese einen Umbau von Büroimmobilien zu Wohnhäusern umsetzen wollen.

Geplante Büroprojekte sollten umgeplant werden, solange es noch geht

Gleichzeitig sollten großformatige Büroprojekte wie etwa das Vorhaben „Urbane Mitte“, welches im Park am Gleisdreieck entstehen soll, noch einmal auf den Prüfstand kommen und erneut hinsichtlich einer möglichen Schaffung von Wohnraum überprüft werden.

Auch bei diesem Projekt in bester Innenstadtlage unweit des Potsdamer Platzes sollen ausschließlich gewerbliche Flächen entstehen, obwohl mit kreativer Raumplanung – Wohnräume an Innenhöfen, schallgeschützt vom umgebenden Bahnlärm – die Schaffung von Wohnungen durchaus denkbar wäre.

“JAHO”, “FÜRST”, Panorama-Hotel: Raum für Wohnungen?

Ähnliche Überlegungen könnten bei äquivalent konzipierten Gewerbeprojekten angestellt werden, etwa beim geplanten „JAHO“  an der Jannowitzbrücke, dem Umbau des einstigen Panorama-Hotels am Adenauerplatz oder dem finanziell angeschlagenen Projekt „FÜRST“ am Kurfürstendamm.

Denn viele dieser Projekte steuern darauf zu, neuwertige Büroflächen fertigzustellen, für die es in drei, vier oder fünf Jahren immer weniger Abnehmer geben wird.

Preise für Wohnimmobilien sind unvermindert hoch – und bleiben es

Die potenziell niedrigen Auslastungszahlen könnten schließlich zu einem Verfall der Büromieten führen, so dass die Immobilienentwickler selbst bei einer höheren Auslastung wenig Rendite zu erwarten haben. Viele Experten rechnen mit einer solchen Entwicklung.

So scheint es sinnvoll, von vornherein zumindest einen Teil der geplanten Immobilien für eine Wohnnutzung umzurüsten, denn die Preise für Wohnimmobilien sind konstant hoch – und werden dies wohl auch in den kommenden Jahren bleiben. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ein entsprechendes Umdenken bei den Bauherren nicht längst erfolgt ist.

Weitere Gewerbeprojekte gibt es hier
Weitere Wohnprojekte sind hier zu finden

Quellen: Art Invest Real Estate, Trockland, Max Dudler Architekten, Ortner & Ortner, Nöfer Architekten, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Der Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Berliner Zeitung, Graft Architects, Lindner Planungsbüro, TOWNSCAPE, Architektur Urbanistik Berlin, Maruhn Real Estate Investment GmbH

 

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