Seit 25 Jahren ist Berlin wieder Dienstsitz der Bundesregierung. Das Regierungsviertel im Zentrum der Hauptstadt wird seitdem sukzessive erweitert, zahlreiche Bauprojekte setzt der Bund um und plant neue. Mittlerweile ist eine Mehrheit der Bundesbürger sogar für einen vollständigen Umzug aller Ministerien, die teilweise noch in Bonn sitzen – doch welche Folgen hätte dies für Berlin?
© Visualisierung Titelbild: Atelier Kempe Thill Thörner Kaczmarek / Ulrike Ludwig
Text: Björn Leffler
Der Bund ist einer der größten Bauherren Berlins, was wenig überraschend ist, da Berlin als Hauptstadt Deutschlands zahlreiche Ministerien und Bundesbehörden beheimatet. Aber auch in Bonn sind noch immer einige Ministerien vertreten.
Nach einer Recherche des Nachrichtenportals t-online aus dem vergangenen Jahr beläuft sich die Summe der laufenden oder geplanten Projekte auf über eine Milliarde Euro.
In Berlin werden vom Bund unvermindert große Bauprojekte umgesetzt
Das bedeutet, dass auch weiterhin große Neubau- und Erweiterungsprojekte im Berliner Zentrum realisiert werden, obwohl der offizielle Umzug der Bundesregierung bereits vor 25 Jahren erfolgte.
Der tatsächliche Umzug, der auf das 1994 verabschiedete Bonn-Berlin-Gesetz zurück ging, war eine logistische Mammutaufgabe. Bis zum 31. Juli 1999 wurden 24 Züge eingesetzt, um den gesamten Inhalt des Bundestages von Bonn nach Berlin zu transportieren.
Juli 1999: 50.000 Kubikmeter Umzugsgut mussten bewegt werden
Dabei handelte es sich um etwa 50.000 Kubikmeter Umzugsgut, einschließlich rund 36.000 Büchern und 11.000 Metern Akten. Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter zogen zunächst in Übergangsquartiere in 16 verschiedenen Gebäuden in Berlin ein.
Der offizielle Arbeitsbeginn von Parlament und Regierung in Berlin war dann der 1. September 1999. Der Bundestag trat am 6. September im frisch renovierten Reichstagsgebäude zusammen und feierte am folgenden Tag sein 50-jähriges Bestehen.
In Bonn befinden sich noch 27 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze
Das Bonn-Berlin-Gesetz legte im Übrigen fest, dass der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der “Bundesstadt Bonn” erhalten bleiben sollte. Seit 2008 trifft dies jedoch nicht mehr zu. Heute befinden sich nur noch 27 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn, wie Der Tagesspiegel kürzlich berichtete.
Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt nun, dass sich die Mehrheit der Deutschen mittlerweile einen vollständigen Umzug aller Ministerien nach Berlin wünschen – denn die anfallenden Reise- und Transportkosten zwischen den zwei Regierungsstandorten sind enorm, auch wenn viele Bundestagsabgeordnete mittlerweile in Berlin heimisch geworden sind.
Noch immer gibt es einen regen Reiseverkehr zwischen Bonn und Berlin
Die Zahl der Pendlerinnen und Pendler war in den ersten Jahren nach dem Umzug noch deutlich größer als heute. Trotzdem verursacht das Konstrukt aus Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger unnötige Kosten. 53 Prozent der Befragten sprechen sich laut dpa für einen kompletten Umzug nach Berlin aus, nur 25 Prozent sind dagegen (22 Prozent machten keine Angaben).
Nach wie vor haben sechs von vierzehn Ministerien ihren ersten Dienstsitz in Bonn: Bildung und Forschung, Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt, Verteidigung und Entwicklung. Die Ministerien mit dem ersten Dienstsitz in Berlin verfügen über einen zweiten Sitz in Bonn.
Was würde ein vollständiger Umzug aller Ministerien für Berlin bedeuten?
Somit sind alle Ministerien auf zwei Standorte verteilt – mit dem entsprechenden logistischen, personellen und kommunikativen Mehraufwand. In Zeiten klammer Haushaltskassen ist dieses Konzept eigentlich nur schwer zu verargumentieren.
Doch was würde ein vollständiger Umzug aller Ministerien für den Standort Berlin eigentlich bedeuten? Schon heute kämpfen die Ministerien mit zu geringen Büroflächen, weshalb zahlreiche Bauprojekte in der Planung oder bereits in der Umsetzung sind.
Zahlreiche Bauprojekte des Bundes werden in Berlin geplant oder umgesetzt
So entsteht etwa am Moabiter Werder der Erweiterungsbau des Bundesinnenministeriums, ein zwölfgeschossiges Gebäude, welches in diesem Jahr fertig werden soll. Wenige Meter weiter wird an der Spree ein Interimsbau für das Bundespräsidialamt errichtet. Und zwischen diesen beiden Projekten läuft die großformatige Erweiterung des Bundeskanzleramtes.
Am Leipziger Platz soll das Bundesumweltministerium in Holzbauweise erweitert werden, in direkter Nachbarschaft erhält das Bundesratsgebäude zusätzliche Büroflächen und einen neuen Besucherbereich. Und nur wenige Schritte weiter entsteht am Anhalter Bahnhof der Neubau des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Auf dem “Luisenblock Ost” soll das “Band des Bundes” vervollständigt werden
Damit nicht genug. Zwischen Schiffbauerdamm und Stadtbahntrasse soll das riesige Areal “Luisenblock Ost” bebaut werden, am Reichstag soll ein neues Besucherzentrum entstehen. Das Bundesbauministerium erwägt einen Umzug in die ehemalige Axel-Springer-Passage, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales plant die Sanierung des denkmalgeschützten Häuserblocks an der Taubenstraße 1.
Ein weiteres, eigentlich abgeschlossenes Bauprojekte wartet auf seine Vollendung: Seit fast fünfzehn Jahren wird an einem Erweiterungsbau des 2003 eröffneten Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses gearbeitet. Bis heute ist jedoch nicht klar, wann das Projekt abgeschlossen werden kann, da zahlreiche Baupannen ausgebessert werden müssen.
Berlins Immobilienmarkt profitiert dauerhaft vom Hauptstadtbonus
Andere Projekte wurden bereits fertiggestellt, wie etwa die Errichtung temporärer Büros auf dem Areal “Luisenblock West” in unmittelbarer Nähe zur Bundespressekonferenz oder die Sanierung des historischen, denkmalgeschützten Deutsche-Bank-Komplexes in der Französischen Straße, welches nun als Berliner Dienstsitz des Bundesgesundheitsministeriums genutzt wird.
Vom enormen Flächenbedarf der Bundesregierung profitiert Berlin natürlich in besonderem Maße. Wo andernorts die Märkte für Büroimmobilien enorm angespannt sind, kann Berlin vom Hauptstadtbonus zehren, denn zahlreiche Ministerien mieten noch immer zusätzliche Flächen im gesamten Stadtgebiet an.
Der Berliner Wohnungsmarkt würde noch stärker unter Druck geraten
Auf der anderen Seite würde ein vollständiger Umzug auch noch einmal eine große zusätzliche Belastung für den eh schon extrem angespannten Berliner Wohnungsmarkt bedeuten.
Die zusätzlichen Bundesbeamten und Angestellten bräuchten eigene Wohnungen – und diese müssten erst einmal gebaut werden. Dass dies in Zeiten knappen Baugrunds und hoher Baukosten kein Selbstläufer ist, ist seit vielen Jahren nicht nur in Berlin zu beobachten.
Der Bund hat in Berlin einen großen Fußabdruck hinterlassen
Obwohl Finanzminister Christian Lindner mit dem von ihm gestrichenen Erweiterungsbau für das Bundesfinanzministerium (der an der Wilhelmstraße in Mitte entstehen sollte) ein Zeichen setzen wollte, um zumindest die ausufernden Bautätigkeiten des Bundes in Berlin zu begrenzen, wird der bauliche, infrastrukturelle und personelle Fußabdruck der Bundesregierung immer deutlicher.
Nach allem, was bislang bekannt ist, wird sich dieser Trend in den folgenden Jahren weiter fortsetzen. Und dass eines Tages tatsächlich ernsthaft über einen vollständigen Umzug der Bundesregierung von Berlin nach Bonn diskutiert wird, ist vermutlich nur eine Frage der Zeit – allein schon aus Gründen der Nachhaltigkeit.
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Quellen: Berliner Morgenpost, Süddeutsche Zeitung, bundestag.de, YouGov, dpa, Der Tagesspiegel, Atelier Kempe Thill Thörner Kaczmarek / Ulrike Ludwig, C. F. Møller Architects, Aarhus, C. F. Møller Landscape, Aarhus
[…] bevorstehende Umzug der Bundesregierung in die neue Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland schürte natürlich hohe Erwartungen an die in der Warteschleife […]