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Die Geschichte der Friedrichstraße, Teil 12: Wiederaufbau in West-Berlin

Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Berliner Friedrichstraße. Im zwölften Teil konzentrieren wir uns auf die städtebaulichen Konzepte, die in West-Berlin in den Jahrzehnten nach Krieg und Teilung umgesetzt wurden. 

Bis heute erhaltenes Zeugnis der Stadtentwicklungspolitik im West-Berlin der 1960er und 1970er Jahre: der Mehringplatz am südlichen Ende der Friedrichstraße. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

© Foto Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Wolfgang Leffler

DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE

Teil 12 – Wiederaufbau in West-Berlin

Zu den ersten 11 Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier

 

Was den verantwortlichen Planern und Architekten Ost-Berlins bei der Neugestaltung der Friedrichstraße zwar spät, aber immerhin gestalterisch ausgewogen und einigermaßen anspruchsvoll gelungen war, ging den Städteplanern West-Berlins für die südliche Friedrichstraße anfangs leider völlig ab.

Nochmals zur Erinnerung: Wir reden hier von der Friedrichstraße auf ehemals Ost-Berliner Territorium, die vom Oranienburger Tor bis zur Zimmerstraße reichte, dem ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie.

Die architektonische Einfallslosigkeit der West-Berliner Friedrichstraße

Danach, ab der Kreuzung Kochstraße bis zum Halleschen Tor verliert sich die (politisch) westliche Friedrichstraße förmlich ins Nichts – bis heute. Dieser Straßenverlauf führt dem Betrachter vor Augen, mit welcher Ignoranz dieses ehemals zentrale Areal West-Berlins seitens der verantwortlichen Baubehörden behandelt und eigentlich sich selbst überlassen wurde.

Auch die Internationale Bauausstellung 1984-1987 konnte dieser Tristesse nichts wesentlich Positives hinzufügen – im Gegenteil, denn die dabei gesetzten Akzente haben der Friedrichstraße wohl mehr geschadet als genützt, betrachtet man die architektonische Neugestaltung. Bis heute fehlt der westliches Friedrichstraße ein vernünftiger Abschluss zum Halleschen Tor hin.

Der Mehringplatz war einst Fixpunkt der europäischen Metropole Berlin

Dabei war der heutige Mehringplatz einstmals der – aus städtebaulich- künstlerischer und historischer Perspektive betrachtet – Fixpunkt der europäischen Metropole Berlin, der die Befindlichkeiten und die Funktion als Reichshauptstadt widerspiegelte.

Den Kreisverkehr, von der Friedrichstraße kommend, hatte man im Zuge der Neugestaltung nach 1945 abgeschafft. Von diesem historisch bedeutenden, zentralen Platz am Halleschen Tor – 1732 von Peter Joseph von Lenné als Rondell angelegt und 1843 zur Erinnerung an die Friedenszeit nach den Befreiungskriegen durch eine Säule mit historischem Hintergrund versehen – ist nichts übriggeblieben.

Von der einstigen Pracht des Belle-Alliance-Platzes ist nichts geblieben

Trotz einiger im Nachhinein durchgeführten oberflächlichen kosmetischen Korrekturen versprüht dieses Rondell die architektonische Gleichgültigkeit sowie den Charme einer Fußgängerzone mit einer doppelreihigen, runden Großraumsiedlung.

Daran wird sich wohl auch in der nahen Zukunft nichts ändern, denn seitens des Berliner Senats verspürt man zu diesem Thema keinerlei Aktivitäten.

Die Teilung Berlins änderte die Pläne für die südliche Friedrichstadt

Man darf allerdings nicht unterschlagen, dass die Teilung Berlins durch den Bau der Mauer im Verlauf der sechziger Jahre hauptsächlich mit dazu beitrug, dass der nach dem Hauptstadtwettbewerb 1957/58 erstellte Entwurf zur Gestaltung des Mehringplatzes und der südlichen Friedrichstraße mit einem Büro- und Geschäftsviertel fallen gelassen wurde.

Der nach diesem Hauptstadtwettbewerb erforderliche Bebauungsplan zur Neugestaltung des Areals wurde letztendlich erst 1966 fertig. Gebaut wurden vorerst tatsächlich 1968 nur das AOK-Gebäude und die bereits erwähnte Ringbebauung am Mehringplatz mit dreizehn- bis siebzehngeschossigen Wohntürmen am nördlichen und östlichen Rand des Platzes.

Der neu geplante Mehringplatz wurde bis 1975 fertiggestellt

Die Rundbebauung des Mehringplatzes, errichtet bis 1975, mit 1.500 Wohnungen führte zu einer Abriegelung zum U-Bahnhof Hallesches Tor hin und vermittelt gemeinhin den Eindruck eines ‚Grünen Hinterhofes‘. Aber nach wie vor beeindruckend ist der Blick von der Mitte des Mehringplatzes ‚schnurgerade‘ Richtung Oranienburger Tor, also dem Ende der nördlichen Friedrichstraße.

Im Zuge der scheinbar unabwendbaren Teilung Berlins kam dann mit der IBA 1984-87 doch wieder Schwung in eine neue Stadtentwicklungsstrategie. Aufgrund des Mauerbaus und der Veränderungen am Mehringplatz war der südliche Teil der Friedrichstraße im Bezirk Kreuzberg von den Verkehrsströmen am Landwehrkanal und der Kochstraße abgeschnitten.

Mauerbau: Südliche Friedrichstraße war vom Zentrum Berlins abgeschnitten

Die bisher vorherrschenden stadtplanerischen Auffassungen, den südlichen Teil der Friedrichstraße als Bestandteil des Citybandes zwischen Alexanderplatz und Zoo zu betrachten, entsprachen nicht mehr der Realität und man musste erkennen, dass die Friedrichstraße im Bezirk Kreuzberg vom Zentrum der früheren Altstadt abgekoppelt war.

Die neue Stadtentwicklungsstrategie ab 1975 sah dann vor, die ‚Innenstadt als Wohnort‘ zu präferieren, getreu dem Motto: ‚Rettet die kaputte Stadt‘. Grundsatz war sodann, die neu zu bauenden Wohnungen in den vorhandenen Restbestand der Altbausubstanz so zu integrieren, dass die alten Stadtgrundrisse erhalten blieben.

Neuausrichtung der West-Berliner Stadtplanung ab 1975: Erhalt statt Abriss

Die Neubebauung in der westlichen Friedrichstraße sah daher eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Kultur und Versorgung vor. Der Altbaubestand wurde erhalten und durch die Neubauten wurden die östlichen Straßenfluchten komplett geschlossen, inklusive eines neuen Schulkomplexes.

Als positives Element der IBA sei allerdings die Rekonstruktion eines Altbaus in der Friedrichstraße 12 zu einem Gehörlosenzentrum Ende der achtziger Jahre genannt.

IBA 1984-87: Neue Impulse für die Friedrichstraße

Ebenso im Zuge der IBA projektierte der bekannte amerikanische Star-Architekt Peter Eisenman  gemeinsam mit Jaquelin Robertson einen Neubau an der Ecke Kochstraße auf einer nach dem Zweiten Weltkrieg noch verbliebenen Brache, der diesem Block wieder Leben einhauchte und das Quartier aufwertete.

Profitieren konnte von diesem Neubau das Museum ‚Haus Checkpoint Charlie‘ mit Raumzugewinnen im Erdgeschoss und erstem Obergeschoss. Außerdem entstanden durch diese Eckbebauung  siebenunddreißig Sozialwohnungen und elf Seniorenappartements.

Bis Ende der 80er Jahre wurde die südliche Friedrichstraße wieder aufgebaut

Letztendlich war es dem Berliner Senat Ende der achtziger Jahre gelungen, die südliche Friedrichstraße wieder so herzustellen, wie sie einst konzipiert war – mit einem für Berlin typischen Mix von Arbeiten, Wohnen und Geschäften.

Aber die Lebendigkeit und Beschwingtheit, für die die Friedrichstraße bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs berühmt und berüchtigt war, kehrte nicht mehr zurück.

An das historische Apollo-Theater erinnert nur noch eine Gedenktafel

Was die Kultur in der südlichen, West-Berliner Friedrichstraße angeht, ist ein Verweis auf das dort angesiedelte Apollo-Theater angebracht. Das ehemalige Apollo-Theater, in den zwanziger und dreißiger Jahren bekannt für seine leichte Unterhaltung, wurde nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut.

Eine vom Berliner Senat angebrachte Gedenktafel am Gebäude Friedrichstraße 218 erinnert heute immerhin noch an dessen Existenz. Weitere Kulturangebote entwickelten sich in der südlichen Friedrichstraße lediglich rund um den Checkpoint Charlie, wenn man bei diesem Touristen-Hotspot überhaupt von Kultur sprechen kann.

Nach neuesten Plänen der Senatsbauverwaltung soll hier eine neue Kultur des Gedenkens an diesen historisch so berühmten Ort entstehen. Derzeit jedoch ist es erstaunlich ruhig geworden um die Planungen – wie und wann die konkrete Umsetzung des Vorhabens erfolgen soll, ist derzeit nicht bekannt.

 

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