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20 neue Großsiedlungen gegen die Wohnungsnot? Olaf Scholz’ Irrweg

Bundeskanzler Olaf Scholz forderte unlängst den Bau von 20 neuen Großsiedlungen in ganz Deutschland, dem Beispiel der 1960er und 1970er Jahre folgend. Dieses Vorhaben jedoch ist ein Irrweg des Kanzlers, der an den eigentlichen Problemen des Wohnungsbaus in Deutschland vorbeigeht. 

Können seriell vorgefertigte Hochhäuser in neuen Großsiedlungen die akute Wohnungsnot in Deutschland sinnvoll bekämpfen? Bundeskanzler Olaf Scholz schlägt dies vor. / © Foto: depositphotos.com

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Ein Kommentar von Wolfgang Leffler

 

Dass die Bundesregierung ihr selbst gestecktes Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr mehr als verfehlen wird, ist längst kein Geheimnis mehr und wird auch dementsprechend propagiert.

Die Wohnungsnot in Deutschland ist also akut und Schätzungen zufolge geht man von 700.000 fehlenden Wohnungen zum Jahresende aus.

In Deutschland fehlen rund 700.000 Wohnungen

Nun soll die ‚Platte‘ wieder her, ein Begriff aus DDR-Zeiten, wo in Schwindel erregender Weise Neunbauwohnungen in Plattenbauweise aus dem Boden gestampft wurden, um auch der damals im Osten vorherrschenden Wohnungsnot Herr zu werden.

Über die Qualität dieser vorproduzierten Module mochte man streiten, aber zumindest erfüllten sie ihren Zweck hinsichtlich des zur Verfügung gestellten Wohnraums und beruhigten die unzufriedenen Menschen im Osten kurzzeitig, die verspürten, dass etwas für Sie getan wurde.

Großsiedlungen der DDR: Viele Neubauprojekte blieben unfertig

Dass vieles von den geplanten Neubauprojekten unerfüllt blieb, verbitterte die Menschen, waren aber der Tatsache geschuldet, dass den DDR-Oberen schlichtweg das Geld ausging, um neben den Wohnungen noch die eine oder andere kulturelle Einrichtung in die neuen Wohngebiete zu bauen.

Denn außer der ‚Kaufhalle‘, den Kindertagesstätten und eventuell noch einer ‚Gaststätte‘ oder ‚Kneipe‘ gab es wenige Begegnungsstätten. Das Ergebnis dieser halb fertigen Neubaugebiete waren dann die ‚Schlafstädte‘, die schnell mit niedriger Qualität gebaut wurden und speziell nach der Wende zu ‚Betonwüsten‘ verkamen und häufig zu sozialen Brennpunkten wurden.

Gropiusstadt, Märkisches Viertel, High-Deck: West-Berlins Großsiedlungen

Auch in West-Berlin wurden in den 1960er und 1970er Jahren mehrere Großsiedlungen in Plattenbauweise errichtet. Das Märkische Viertel in Reinickendorf, die Gropiusstadt oder die High-Deck-Siedlung in Neukölln haben längst bundesweite Berühmtheit erlangt.

Auch hier wurden in kurzer Zeit große Zahlen an Wohnungen realisiert und Wohnquartiere realisiert, die schon nach wenigen Jahren die groben Planungsfehler offenbarten und heute mit großem finanziellen und gesellschaftlichen Aufwand modernisiert und optimiert werden müssen. Auch der völlig misslungene, soziale Wohnungsbau am Mehringplatz ist hier zu erwähnen.

Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt leider unkonkret

 Bei dem von Kanzler Scholz während seiner Rede in Heilbronn vorgestellten Ziel, in den zwanzig meistgefragten Regionen Deutschlands neue Stadtteile zu errichten, blieb er unkonkret, aber ein Check des von der Bundesregierung im Nachhinein vorgestellten 14-Punkte-Plans zur Eindämmung der Wohnungskrise verrät mehr.

Es ist schon erstaunlich, dass die Bundesregierung erst nach zwei Jahren Regierungszeit anfängt, konkrete Umsetzungsszenarien zu formulieren, denn die akute Wohnungsnot begann zumindest schon seit dem ab 2015 nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom Richtung Deutschland. Schon damals hätte die Merkel-Regierung die Weichen für ein konkretes Wohnungsbauprogramm stellen müssen.

Dünnere Wände? Bisherige Baustandards sollen nun aufgeweicht werden

Nun soll im großen Stil gebaut werden und man verabschiedet sich von vorher fest gezurrten Standards, die man jetzt lockern will. Ein ‚Gebäudetyp E‘ mit dünneren Wänden soll ermöglicht werden. Ob das der Klimaneutralität und Nachhaltigkeit dienlich ist – spezielle Themen der Grünen-Fraktion in der Bundesregierung – muss von Bundeswirtschaftsminister Harbeck beurteilt werden.

Fakt ist doch, das betonen Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema seit Jahren beschäftigen, dass es um die Zukunftsfähigkeit im Bausektor Deutschlands nicht sonderlich gut bestellt ist, denn immerhin verursacht die Baubranche in Deutschland 40 Prozent des CO²- Ausstoßes sowie 52 Prozent aller Abfälle und verbraucht 90 Prozent der mineralischen, sprich nicht nachwachsenden Rohstoffe.

Die Baubranche ist der größte Müllproduzent Deutschlands

Die Konsequenz daraus kann nur sein, dass man den Ressourcenverbrauch um mindestens zehn Prozent reduziert, ein kostengünstiger ‘Gebäudetyp E’ mit dünneren Wänden scheint ein Weg dahin zu sein, mit der Hoffnung, dass man aufgrund der Klimaentwicklung nicht mehr Energie für Kühlung oder Heizung aufbringen muss, dann wäre dieser Effekt wieder dahin.

Denn aufgrund der verheerenden Klimabilanz der Bauindustrie propagieren Wissenschaftler, dass man nichts mehr abreißen soll und kein Neubau mehr hochgezogen werden darf, da bereits ein Überangebot an Gebäudeflächen bestehe.

14-Punkte-Programm der Regierung: Vieles noch im Planungsstadium

Schaut man sich das 14-Punkte-Programm der Bundesregierung zur Linderung der Wohnungsnot in Deutschland an, dann fällt auf, dass viele Dinge erst angeschoben werden müssen, wie beispielsweise die neue ‚Generalklausel‘, die den Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfachen und beschleunigen soll und bis 31. Dezember 2026 auf den Weg gebracht werden soll.

Auch die Aufstockung der Finanzmittel in gemeinsamer Verantwortung des Bundes und der Länder verspricht langwierige Diskussionen, denn jedes einzelne Bundesland hat seine eigenen Bauvorschriften. Deutschland verfügt über insgesamt 20.000 Bauvorschriften. Es könnt wohl etwas dauern.

Dies soll nach dem Wunsch der Bundesbauministerin Klara Geywitz nun alles vereinfacht und konformer gestaltet werden, im Sinne der Beschleunigung der Bauvorhaben. Den größten Regulierungsbedarf zur bisherigen Praxis sieht Bundeskanzler Scholz beim fehlenden Bauland, weniger bei gestiegenen Zinsen und Kosten, was allerdings an der Realität vorbei geht.

Metropolregion Berlin: Das Angebot übersteigt die Nachfrage dramatisch

Wenn man sich die Entwicklung für die Hauptstadtregion ansieht, die Metropole mit dem größten Bevölkerungszuwachs in Deutschland, welche die Vier-Millionen-Grenze bald durchstoßen wird, beobachtet man eine klaffende Lücke zwischen verfügbarem Wohnraum und der tatsächlichen Nachfrage.

Nur zur Erinnerung: Der Berliner Senat hatte ursprünglich das Ziel ausgegeben, bis 2030 zweihunderttausend neue Wohnungen zu bauen; Stand heute sind es einhundertfünfzehntausend bis 2037 – nach vorsichtigen Schätzungen. Allein diese Zahlen belegen, vor welch großen Herausforderungen die Ampel-Koalition steht.

Berlin: Mietpreissteigerung seit Juni 2021 um 10 Prozent

Seit Juni 2021 erleben wir in Berlin eine Mietpreissteigerung von plus zehn Prozent. Dem steht aber ein Angebotsrückgang an verfügbarem Wohnraum um zwanzig Prozent gegenüber. Hinzu kommt noch eine Kaufpreisentwicklung bei Immobilien von plus 15 Prozent. Es sind alarmierende Zahlen.

Und wenn wir schon mal über Berlin reden, muss man auch die von Kanzler Scholz angestrebten reduzierten Angebotsmieten von 18 Euro auf unter 14 Euro unter die Lupe nehmen. Ein Dachgeschoss-Neubau – ohne Bauland also – steht mit durchschnittlich EUR 13,50 Nettokaltmiete zu Buche, eine energetische Modernisierung liegt momentan bei 17 Euro plus X. Unter Berücksichtigung der derzeit gestiegenen Heizkosten und der Erfordernisse des Klimawandels erscheinen die ‚gewünschten‘ Zahlen daher völlig marktfern.

Sofortige Umsetzung des 14-Punkte-Plans – nicht erst ab 2026!

Um der prekären Wohnungssituation effektiv etwas entgegen zu setzen, ist eine sofortige Umsetzung des 14-Punkte-Programms erforderlich, nicht erst ab 2026. Außerdem sollte der sinnvolle Ansatz der Genossenschaftsunternehmen mehr in den Fokus rücken, nicht zu vergessen die schrittweise stärkere Intensivierung der Transformation von Gebäudekomplexen.

Das erwarten die Menschen der Bundesrepublik Deutschland von der Ampel-Koalition. Die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz in Heilbronn ließ dazu trotz verheißungsvoller Ankündigungen viele konkrete und greifbare Dinge offen – wie so oft.

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Quellen: Der Spiegel, Neues Deutschland, Deutsches Architektur Forum, Heilbronner Stimme

 

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1 Kommentar

  1. Anthony R Flambard Dezember 1, 2023

    Der “Wumms” ist genau so ein Fehleinschätzung wie die “blühenden Landschaften”. Darüber hinaus erleben wir gerade Entscheidungen im “Deutschland-Takt”.
    Das Land hat das alles nicht verdient.
    Seit Jahrzehnten war der zunehmende Wohnungsnot ersichtlich aber die Verantwortlichen haben kaum was unternommen, egal ob Bundesregierung oder auf Länderebene. Und nun soll jetzt alles “schnell, schnell” gehen. Und die Bau- und Wohnqualität? Ach was, die neuen Mieter werden zufrieden sein…
    “Nachtigall, ick höre dir trapsen”. Leider.

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