Nach der Friedrichstraße wird nun über die Einrichtung einer weiteren Fußgängerzone im Zentrum Berlins diskutiert. Der Bezirk Mitte und die Verkehrssenatorin Bettina Jarasch erwägen nun eine Fußgängerzone am Hackeschen Markt.
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Text: Stephanie Engler
Nach Beendigung des Verkehrsversuchs ist der etwa 500 Meter lange Abschnitt der Friedrichstraße in Berlin-Mitte zwischen Französischer und Leipziger Straße seit einigen Wochen wieder für Autos geöffnet.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte entschieden, dass die Sperrung wieder aufgehoben werden müsse. Derzeit läuft beim Bezirksamt Mitte jedoch ein Verfahren zur Umwidmung der Straße in eine Fußgängerzone. Das Verfahren sollte ursprünglich bis Jahresende 2022 abgeschlossen sein, soll nun aber im ersten Quartal 2023 umgesetzt werden.
Fußgängerzonen und Fahrradstrassen in Berlin: Weitere bereiche sollen folgen
Tino Schopf, SPD-Verkehrspolitiker, sagte, dass nach der Sperrung der Friedrichstraße die Erfahrungen ausgewertet und über die Umgestaltung weiterer Bereiche gesprochen werden könnte.
Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Die Grünen) hatte schon zu Beginn des Jahres gesagt, dass sie sich weitere Sperrungen des Autoverkehrs vorstellen können. Darunter nannte sie sowohl den Hackeschen Markt in Mitte als auch die Tauentzienstraße in Charlottenburg und Schöneberg.
Hackescher Markt: Bessere Voraussetzung für eine Fußgängerzone?
Auch “das Bezirksamt Mitte hält es für denkbar, weitere Straßenbereiche, zum Beispiel am Hackeschen Markt, fußgängerfreundlich umzugestalten“, so eine Sprecherin des Bezirksamtes auf Anfrage der Berliner Zeitung.
Die Idee stößt auf Zuspruch innerhalb der FDP Mitte. So sagte der Fraktionsvorsitzende Bastian Roet dem Tagesspiegel: “Der Hackesche Markt und das Gebiet im direkten Umfeld eignet sich durchaus als Fußgängerzone mit Einkaufsmöglichkeiten und attraktiver touristischer und gastronomischer Prägung.“
Fußgängerzone Hackescher Markt: Umgestaltung muss vorbereitet werden
Roet sagte zudem, dass der Hackesche Markt mitunter besser geeignet sein könnte als die Friedrichstraße. Jedoch könnte eine solche Umgestaltung nur mit entsprechender Vorbereitung gelingen.
So sagte Roet weiterhin, dass eine gute Fußgängerzone auch in ein funktionierendes Verkehrskonzept eingebettet werden müsse, was bei der Friedrichstraße seiner Ansicht nach deutlich versäumt wurde.
Verband „Stadt für Menschen“ plant für 2022 eine Aktion
Matthias Dittmer vom Verband „Stadt für Menschen“ spricht sich ebenso für eine Fußgängerzone aus, da die Zustände am Hackeschen Markt für Fußgängerinnen und Fußgänger derzeit eine Zumutung wären. Der Bereich “ruft geradezu nach einem weiträumigen, in die Fläche gehenden Verkehrsversuch, in dem die Straßenbahn, Fahrräder und Scooter die einzigen Verkehrsmittel sind“. Laut Dittmer könnte nach der Umgestaltung weiterhin Lieferverkehr mit Motorkraft von Mitternacht bis 10 Uhr morgens möglich sein.
Laut der Berliner Morgenpost habe der Gewerbeimmobilien-Vermieter Comfort in einer neuen Untersuchung ermittelt, dass am Hackeschen Markt bis zu 7.500 Fußgängerinnen und Fußgänger pro Stunde unterwegs sind – eine wenig überraschende Erkenntnis.
Hackescher Markt: Eines der fußgängerreichsten Areale Berlins
Somit steht der Hackesche Markt hinter dem Kurfürstendamm/Tauentzienstraße (rund 8.500 Fußgängerinnen und Fußgänger) und dem Alexanderplatz (rund 8.000) unter den sechs untersuchten Berliner Einkaufsstraßen auf Platz drei. Zum Vergleich: in der Friedrichstraße, rund um den Bahnhof, sind es nur 3.000 Fußgänger pro Stunde.
Die CDU in Mitte hingegen lehnt eine Fußgängerzone am Hackeschen Markt ab. So sagte der Fraktionsvorsitzende Sebastian Pieper dem Tagesspiegel: “Dass solche Vorschläge erneut erst in den Medien präsentiert werden und nicht in der BVV, ist Ausdruck mangelnden Respekts.“
Die Berliner CDU sieht die Pläne für eine Fußgängerzone kritisch
Außerdem kritisierte er die Grünen, die “offenbar nichts aus dem Desaster in der Friedrichstraße gelernt” hätten und “erneut ohne Beteiligung der Gewerbetreibenden und Anwohner ihre einseitige Verkehrspolitik umsetzen” wollen würden. Der Hackesche Markt ist im Bezirk Mitte nicht das einzige Areal, welches langfristig umgestaltet werden soll.
Auch die Straße Unter den Linden soll fußgängerfreundlich umgestaltet werden. Derzeit ist allerdings von einem Baustart ab 2028 die Rede. Dazu sagte Henner Schmidt, infrastrukturpolitischer Sprecher der Berliner FDP-Fraktion: “Die jetzt beginnende Umgestaltung der Straße Unter den Linden liefert eine sinnvolle Aufteilung, bei der Rad-, Bus- und Autoverkehr jeweils ausreichend Platz erhalten.“
FDP kritisiert auch das Vorgehen bei der Umgestaltung Unter den Linden
Bei der derzeitigen Spurverteilung sollte es laut Schmidt bleiben: “Umso unverständlicher ist, dass gleichzeitig langfristige Planungen beginnen, die nur noch Varianten betrachten, bei denen die Autospur entfällt und die zudem eine Querung der Straße durch Fußgänger erschweren. Deshalb sollte der Senat nach der jetzt stattfindenden Realisierung der ‚Variante 1‘ diese dauerhaft bestehen lassen. Statt eines zusätzlichen, allein am Radverkehr orientierten Umbaus sollten die dafür vorgesehen Mittel besser an Stellen investiert werden, an denen noch gar keine Radwege bestehen.“
Die Projekte am Hackeschen Markt, in der Friedrichstraße sowie auf der Straße Unter den Linden werden in der von den Grünen geführten Verkehrsverwaltung übergreifend und in direktem Zusammenhang gesehen. Auch die Umgestaltung der Charlottenstraße in eine reine Fahrradstraße ist Teil des Verkehrskonzepts für das östliche Berliner Zentrum, in dem langfristig deutlich weniger Autoverkehr existieren soll.
Hackescher Markt: Einstiger Verkehrsknotenpunkt im Vorkriegs-Berlin
Der ab 1840 offiziell als “Hackescher Markt” bezeichnete Platz in der Spandauer Vorstadt entwickelte sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert dank der Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel zu einem innerstädtischen Knotenpunkt. Nahe dem Platz befand sich die Berliner Börse, nach der auch der S-Bahnhof am Platz benannt wurde.
Im Zweiten Weltkrieg jedoch wurde ein Teil der den Platz umgebenden Bebauung zerstört und in den Jahren nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut. Der Platz verlor nach dem Mauerbau im Windschatten des in den 1960er Jahren neu wiederaufgebauten Stadtzentrums am Alexanderplatz zunehmend an Bedeutung.
“Comeback” des Hackeschen Markts nach der Wiedervereinigung
Nach der Wiedervereinigung wurden die vorhandenen Altbauten saniert und die Baulücken geschlossen. Die Platzfläche wurde größtenteils als Fußgängerbereich neu gestaltet. Am Platz und in den Viaduktbögen des Bahnhofs sowie entlang der zuführenden Straßen siedelten sich gastronomische Einrichtungen aller Art an, sodass der Hackesche Markt ab Mitte der 1990er Jahre zum Ausgangspunkt eines Vergnügungsviertels avancierte.
Das Areal direkt am S-Bahnhof wird heute unter anderem als Wochenmarkt genutzt. Die am Platz gelegenen, neun Höfe umfassenden Hackeschen Höfe mit ihrem breiten und vielfältigen kulturellen sowie gastronomischen Angebot gehören heute zu den beliebtesten Touristenzielen der Hauptstadt.
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Quellen: Bezirksamt Mitte, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Berliner Zeitung, Der Tagesspiegel, Architektur Urbanistik Berlin, Wikipedia, Berliner Morgenpost
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