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Verein fordert historisch orientierte Gestaltung des neuen Molkenmarktes

In den kommenden Jahrzehnten soll der historische Molkenmarkt in Berlins Mitte wiederaufgebaut werden. Um eine banale und rein kostenorientierte Gestaltung der neuen Gebäude zu verhindern, fordert der Verein „Stadtbild Deutschland“ ein “Leitbautenkonzept” für das Quartier.  

© Visualisierungen: Patzschke Architekten (Pakertharan Jeyabalan)

 

Es ist eines der größten und sicher auch spannendsten Projekte, die in Berlin in den kommenden Jahrzehnten umgesetzt wird: Der Wiederaufbau des Molkenmarkts im historischen Zentrum der Hauptstadt. Nach Abschluss der derzeit noch laufenden Ausgrabungsarbeiten sollen sich an dieser Stelle ab 2024 die Bagger drehen und ein neues, urbanes Stadtquartier entstehen lassen.

Erste Anzeichen für eine grundlegende Veränderung der Situation gibt es bereits. Die überdimensionierte Grunerstraße ist mittlerweile verschwenkt und in ihrer Breite deutlich reduziert worden. Auch die Streckenführung wird zukünftig weniger an eine innerstädtische Autobahn erinnern. Aufgrund der Bauarbeiten ist die Straße derzeit ein nervendes Nadelöhr für alle Aufofahrer*innen, die den Molkenmarkt passieren müssen.

Hier seht Ihr, wie sich der Molkenmarkt in den kommenden Jahren verändern wird

Entscheidend für ein Gelingen des ambitionierten Projekts wird jedoch die architektonische Gestaltung der zukünftigen Gebäude sein. Am Molkenmarkt soll kein Büro- oder Gewerbestandort entstehen, sondern ein innerstädtisches Wohnquartier, errichtet von den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen WBM und DeGeWo.

Am Molkenmarkt soll bezahlbarer Wohnraum entstehen

Die Wohnungen, die am Molkenmarkt entstehen, sollen nicht zum exklusiven Luxussegment gehören, sondern bezahlbaren Wohnraum anbieten. Dies und die Tatsache, dass die Gebäude von den Berliner Wohnungsbaugesellschaften konzipiert werden sollen, ruft nun den „Stadtbild Deutschland e.V.“ auf den Plan.

Der Verein setzt sich seit 2005 für den Erhalt und die Pflege historischer Ortsbilder ein, und zwar deutschlandweit. Einen Berliner Ortsverband gibt es allerdings auch, dieser wurde im vergangenen Jahr gegründet.

Ein “Leitbautenkonzept” für das neue Molkenmarkt-Quartier?

Mit ihrem kürzlich veröffentlichten Vorschlag, für den Wiederaufbau des Molkenmarktes ein „Leitbautenkonzept“ aufzustellen, wollen die Mitglieder des Vereins verhindern, dass die neu entstehenden Gebäude in ihrer architektonischen Gestaltung keinen oder nur einen ungenügenden Bezug zum einstigen, historischen Quartier aufweisen und ein architektonisch einfallsloses Innenstadtquartier entsteht.

Ein Leitbautenkonzept könnte die äußerliche Rekonstruktion baukulturell oder stadtgeschichtlich prägender Bauten des Quartiers auf ihren ursprünglichen (…) Parzellen vorsehen, in Verbindung mit einer Gestaltungsleitlinie, die die Verwendung ortstypischer Materialien und Bauformen vorgibt.“ So äußern sich die Initiatoren in einer kürzlich publizierten Pressemitteilung zu ihrem Vorschlag.

Mögliches Vorbild: Das “Quartier III” am Alten Markt in Potsdam

Als Vorbild nennt der Verein beispielsweise die Neubebauung am Alten Markt im neuen „Quartier III“ in Potsdam, wo kommunale Baugenossenschaften derzeit historische Leitbauten neben moderner Architektur errichten. Dennoch sollen die Mietpreise in den zukünftigen Wohnungen moderat sein.

Eine solche anspruchsvolle und geschichtsbezogene Herangehensweise wünschen sich die Initiatoren auch für die anstehende Gestaltung des Molkenmarktes und fordern gleichzeitig, ein entsprechendes „Leitbautenkonzept“ zum Teil des neuen Koalitionsvertrages zu machen. Denn die Architektur des neu entstehenden Quartiers am Molkenmarkt soll hochwertig und unverwechselbar werden.

Appell an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

So ist der Vorschlag eines entsprechenden Leitkonzepts durchaus als ein Appell an die federführende Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen zu verstehen, nach kreativen Lösungen für eine anspruchsvolle Quartiersgestaltung zu suchen. Zur Refinanzierung höherer Baukosten schlägt der Verein – wie es auch in Potsdam umgesetzt wird – die Verwendung städtebaulicher Fördermittel vor.

Ein weiteres Mittel wäre möglicherweise, wie auch beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche oder des nicht weit entfernten Humboldt Forums die Einsammlung privater Spendenmittel. Der Berliner Ortsverband des Vereins nennt das anstehende Molkenmarkt-Projekt eine „in den nächsten Jahrzehnten wohl einmalige Chance, an diesem bedeutenden Ort der Berliner Innenstadt eine angemessene, historisch begründete Baukultur wiederzugewinnen (…).“

Molkenmarkt: Berlins ältester Platz

Um auch visuell zu verdeutlichen, wie sich die Initiatoren eine solch anspruchsvolle und historische Bezüge aufweisende Architektur vorstellen, haben sie zwei exemplarische Visualisierungen durch das Berliner Architekturbüro Patzschke Architekten anfertigen lassen, die wir mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen dürfen.

Der Molkenmarkt, früher „Alter Markt“ genannt, gilt als ältester Platz Berlins. Er liegt im heutigen Bezirk Mitte, östlich des Nikolaiviertels und unweit der Spree. Die Geschichte des Platzes reicht zurück bis ins 13. Jahrhundert, also bis in die Gründungsjahre der heutigen Stadt Berlin.

Zerstörung des historischen Platzes durch Weltkrieg und Verkehrsplanungen

Im 18. Jahrhundert entstanden rings um den Platz mehrere Adelspalais’, von denen heute jedoch nur noch das Palais Schwerin erhalten ist. Schon in den 1930er Jahren mussten viele umliegende Bauten wegen der Verbreiterung des Mühlendamms und der Erweiterung der Schleuse abgerissen werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Molkenmarkts zerstört.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschloss die neue Ost-Berliner Stadtverwaltung eine autogerechte Umgestaltung der Innenstadt und ließ nach dem Neubau der Mühlendammbrücke und der Errichtung der Wohnbauten in der Leipziger Straße die darüber verlaufende Grunerstraße achtspurig ausbauen, die eine schnelle Ost-West-Verbindung zwischen Alexanderplatz und dem Potsdamer Platz ermöglichen sollte.

Heutiges Wahrzeichen des Molkenmarktes: Das Alte Stadthaus

Durch dieses ab den 1960er umgesetzte, vorwiegend verkehrsorientierte Stadtplanungskonzept wurden etwa 80 Prozent der früheren Platzfläche zu einer reinen Verkehrsfläche umgewandelt. Seitdem ist der Molkenmarkt vor allem ein stark frequentierter Verkehrsknotenpunkt.

Der Platz wird heute nichtsdestotrotz noch immer durch das Alte Stadthaus mit seinem hohen Turm und seiner Rundkuppel dominiert. Das Stadthaus soll das zukünftige Herzstück des neuen Quartiers werden.

Ob sich die Architektur der zukünftigen Gebäude an der prachtvollen Gestaltung dieses historischen Wahrzeichens orientieren wird, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Ob der Wiederaufbau des Molkenmarktes Teil der Koalitionsverhandlungen werden wird, werden wir immerhin etwas schneller wissen.

© Visualisierungen: Patzschke Architekten (Pakertharan Jeyabalan)

Ein Buch mit Geschichten von dem Molkenmarkt findet ihr hier.

Ihr interessiert euch für Kriminalgeschichten aus dem 19. Jahrhundert? – Dann bestellt euch doch das Buch “Das Polizeipräsidium am Molkenmarkt”.

Molkenmarkt in Berlins Mitte: Abschluss der Grabungen bis 2024
Beispielhafte Rekonstruktion: Die Parochialkirche im Klosterviertel
Am Petriplatz entsteht der Neubau des archäologischen Zentrums
Breite Straße in Mitte: Entwicklung eines Wohn- und Geschäftsquartiers

Erhaltenes, historisches Zeugnis des alten Berlin: Das Alte Stadthaus am Molkenmarkt soll Zentrum des neu entstehenden Quartiers werden.

Ein mögliches, historisches Leitbild? Eine Ansicht der Klosterstraße in der Perspektive des bekannten Gemäldes von Eduard Gaertner aus dem Jahre 1830 mit Blick auf die Parochialkirche, das Palais Kreutz und den Schinkelbau des Gewerbeinstituts.

WIE DIE ZUKÜNFTIGEN BAUABSCHNITTE DES PROJEKTS AUSSEHEN SOLLEN, IST HIER ABGEBILDET:

Phase 1: Verlegung der Grunerstraße
Die Straße wird verlegt (wird derzeit bereits umgesetzt), der Straßenraum wird neu aufgeteilt, so dass weitere Verkehrsmittel wie Tram und Fahrrad Platz finden können. Die Grunerstraße wird zukünftig direkt am Roten Rathaus und den Rathauspassagen entlang geführt. Es entstehen zwei neue Kreuzungsbereiche.

 

Phase 2: Neubau der Quartiersstraßen
Im zukünftigen Wohn- und Büroviertel, welches im Zuge der Neuplanungen entstehen wird, werden neue Straßenzüge entstehen, überwiegend verkehrsberuhigt. Einige der neuen Straßen werden sich an historischen Straßenführungen orientieren.

 

Phase 3: Realisierung der gemischtgenutzten Gebäude
Entlang der neu gebauten Hauptstraße wird eine vier- bis sechsgeschossige Randbebauung realisiert, in der eine Mischung aus Büro-, Kultur- und Gewerbenutzung einziehen wird. Diese Randbebauung wird gleichzeitig als Schallschutz für die dahinter entstehenden Wohnviertel dienen.

 

Phase 4: Realisierung der Wohnbebauung
Im verkehrs- und schallberuhigten Innenbereich des Entwicklungsgebietes werden Wohneinheiten entstehen. Unter der Einbeziehung von Planungsbüros und Bürgern werden diese Wohnungen konzipiert. Ihre Gestaltung steht aktuell also noch nicht fest.

 

Phase 5: Realisierung der Freiflächen (ohne Visualisierung)
An drei Orten des neuen Stadtviertels werden öffentliche Freiräume entstehen, vor allem rund um die historischen Kirchengebäude. Zudem sind Dachbegrünungen und Baumpflanzungen vorgesehen.

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2 Kommentare

  1. Tom Oktober 29, 2021

    Das Potsdamer Leitbautenkonzept wäre auch hier am Molkenmarkt ideal, da es ein Stück Erinnerungsarchitektur an diesem einmaligen Berliner Ort ermöglicht. In der Potsdamer Mitte konnten so auch die üblichen Diskussionen zwischen Freunden moderner und historistischer Architektur befriedet und mit der Forderung nach preisgedämpften Wohnungen verbunden werden.

  2. Rob Veenenberg Oktober 30, 2021

    Alles prima, aber es handelt sich für mich um schöne historisierende Fassaden zu gestalten wie gezeichnet. Es gibt einige Architekten in D. die das können wie Stuhlemmer. Die Mehrzahl schafft das leider nicht. Berlin ist überladen worden mit allerwelts Kuben und Klotzen die keine Beziehung zur der Stadt selbst haben wie damals von 1975 bus 1918 üblich war. Budapest und Wien sind grossartig in dieser Hinsicht, aber Berlin ist das nicht. Die Stadt braucht dringend ihres Altes Gesicht und ehemalige urbanität. Gerade in der Mitte, wo heute keine Altstadt mehr ist. Berlins Herz is leblos und tot und das schmerzt.

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