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City West: Umgestaltungspläne für die historische Gedächtniskirche

Die historische Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlins City West soll in den kommenden Jahren aufwendig umgestaltet werden. Zukünftig soll es Besuchern erstmals möglich sein, die oberen Ebenen des Kirchenturms zu besichtigen. Neben einem Wasserbecken und der Installation eines “schwebenden” Bronzerings ist auch die Öffnung des heute noch verschlossenen Daches vorgesehen.

Spektakuläre Pläne: So soll der Innenraum der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche umgestaltet werden. / © Visualisierung: heneghan peng architects

© Visualisierungen: heneghan peng architects, Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
© Fotos: Wikimedia Commons, unsplash

Text: Björn Leffler

 

Trotz der hoch aufragenden Türme des Waldorf Astoria sowie des Upper West ist die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bis heute das prägende und zentrale Bauwerk der Berliner City West. Nun soll eine aufsehenerregende Umgestaltung des Innenraums des noch erhaltenen Hauptturms der Kirche erfolgen.

Dass es die Kirche am Breitscheidplatz in ihrer heutigen Form überhaupt gibt, ist vor allem der Bevölkerung des weitgehend zerstörten Nachkriegsberlin sowie der damaligen Presse zu verdanken.

1957: Presse echauffierte sich über Abrisspläne Egon Eiermanns

Mit “Gartenzwerg Berlins” oder “Betonklotz” bezeichneten die Berliner Tageszeitungen im März 1957 den Entwurf des Architekten Egon Eiermann zum Wiederaufbau der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.

Der Wiederaufbau sollte nach Plänen des 1904 in Neuendorf (bei Potsdam) geborenen Architekten einen kompletten Abriss der noch stehenden Ruine des Hauptturms und einen sachlich-funktionalen Neubau an gleicher Stelle bedeuten.

Gedächtniskirche: Eiermann plante einen rein modernen Neubau an gleicher Stelle

Eiermann war als Sieger eines 1956 ausgelobten Architekturwettbewerbs zur Neugestaltung des Platzes hervorgegangen. Dabei war nicht von vornherein klar, dass die Gedächtniskirche überhaupt an diesem Platz bestehen bleiben würde.

Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war von 1891 bis 1895 nach Plänen des Architekten Franz Schwechten errichtet worden, der in Berlin auch den Anhalter Bahnhof konzipiert hatte. Im Zuge der Projektplanung war auf Anregung Kaiser Wilhelms II. eine Gedenkstätte zu Ehren Wilhelms I. ins Spiel gebracht worden, die später auch realisiert wurde. Daher stammt auch der bis heute gültige Name der Kirche.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb allein die Turmruine der Kirche übrig

Nachdem die Kirche im Zweiten Weltkrieg in der Bombennacht vom 22. auf den 23. November 1943 schwer beschädigt worden war, mussten das einsturzgefährdete Kirchenschiff und der Chor nach 1945 komplett abgetragen werden. Übrig blieb allein die Turmruine.

Die Ruine galt den Planern des neuen, (autogerechten) West-Berlin als Verkehrsbarriere. Zwischenzeitlich wurde daher sogar überlegt, den Kirchen-Neubau an die Schaperstraße nach Wilmersdorf zu verlegen, wo sie den Verkehrsfluss am Tauentzien und Kurfürstendamm nicht stören würde. Die Kirchenleitung jedoch hielt am erbbaurechtlich angestammten Standort fest.

Eiermann musste seinen radikalen Entwurf ändern – die Turmruine blieb erhalten

Eiermanns von der Jury mit dem 1. Preis prämierte Entwurf versetzte die Bevölkerung West-Berlins sowie die Journalisten jedoch in Entsetzen: der alte Turm war weg. Stattdessen sollte eine funktionale, deutlich kleinere Campanile aus Glas und Beton das historische Bauwerk ersetzen.

Die Folge waren Pressekampagnen (“Rettet den Turm”), Leserabstimmungen (wobei sich über 90% der Teilnehmer*innen für den Erhalt des Turms aussprachen), Straßenproteste und sogar ein Spruchband an der Ruine (“Noli me tangere” – “Berührt mich nicht”).

Von der Hitzigkeit der Debatte überrascht, bat die Jury den siegreichen Architekten Egon Eiermann, seinen Entwurf noch einmal zu überarbeiten, was dieser dann widerstrebend letztlich auch tat – und dem Breitscheidplatz und somit letztlich dem gesamten Quartier rund um Tauentzien und Kurfürstendamm ein bis heute ikonisches Baudenkmal bescherte.

Die historische Ruine der Gedächtniskirche soll umgestaltet werden

Dieses Baudenkmal soll nun aufwendig umgestaltet werden, wie die Berliner Morgenpost gestern berichtete. Verantwortlich für den Umbau ist die Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, die am gestrigen Mittwoch den Sieger eines Gestaltungswettbewerbs zur Neuausrichtung der historischen Turmruine präsentierte.

Das siegreiche Büro, heneghan peng architects (mit Ralph Appelbaum Associates) ist in der irischen Hauptstadt Dublin ansässig. Das Ziel des mehrstufigen Wettbewerbs war es, die Ausstellungsfläche im einstigen Kirchenturm nach oben zu erweitern, ohne das äußere Erscheinungsbild des Denkmals zu verändern.

Besucher sollen erstmals in die oberen Ebenen des Turms gelangen können

Damit soll es Besucherinnen und Besuchern überhaut erstmals möglich sein, die oberen Ebenen des Turms besichtigen zu können. Aus der „Gedenkhalle“ soll es zukünftig über einen wiederhergestellten Treppenaufgang in die erste Ebene gehen.

Dort wird die Gäste dann ein aufwendig gestaltetes Wasserbecken erwarten. Noch höher hinauf soll es dann über die am Rand vorhandenen Wartungstreppen des Turms gehen. So soll sichergestellt werden, dass die Bausubstanz des historischen Gebäudes so wenig wie möglich verändert werden muss.

Ein Bronzering soll im Innern der Turmruine “schweben”

Auf der darüber liegenden Ebene wird nach den Plänen des irischen Büros dann ein bronzener Ring über dem offenen Raum “schweben”, der in seiner Form nach Auskunft der Architekten von der Wölbung des Profils einer Kirchenglocke inspiriert worden sei.

Direkt unter dem Ring soll künftig Regenwasser durch Kanäle entlang der Wände auf die Außenkante des darunter liegenden Wasserbeckens umgeleitet werden, um die Auffüllung des Beckens nachhaltig gewährleisten zu können.

“Öffnung zum Himmel”: Dach der Gedächtniskirche soll geöffnet werden

Das nach dem Krieg hinzugefügte Dach an der Spitze des gebrochenen Kirchturms soll wieder entfernt werden. Durch die freie Öffnung zum Himmel möchten die Architekten die “Authentizität der mahnenden Ruine stärken“, wie sie es nennen. Zudem soll es auch weiterhin kein Glasfenster in den Öffnungen der Kirchenruine geben. Der offene Charakter soll also trotz der umfangreichen Eingriffe erhalten bleiben.

Auch ein ein außenliegender Seilaufzug soll integriert werden, um den Zugang auch barrierefrei möglich zu machen. Trotzdem soll der Turm bis auf die Installation eines neuen Lichtkonzeptes äußerlich fast unverändert bleiben.

Besucher sollen sich besser über Geschichte der Kirche informieren können

Durch den geplanten Umbau sollen sich die Gäste der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche künftig noch besser über die wechselhafte Geschichte des historischen Bauwerks informieren können und deutlich mehr Platz in der Kirchenruine vorfinden, als das heute der Fall ist.

Die Neugestaltung des Innenraums soll rund elf Millionen Euro kosten. Davon werden etwa zehn Millionen aus dem Förderprogramm Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ finanziert. Den Rest möchte die Stiftung durch Spenden generieren.

Die Neugestaltung der Turmruine soll elf Mio. Euro kosten

Einen ganz konkreten Zeitplan für das Projekt gibt es noch nicht, allerdings soll noch in 2023 der Bauauftrag vergeben werden. Ziel der Projektverantwortlichen ist eine Realisierung des Projekts innerhalb der 2020er Jahre, was verdeutlich, dass die verantwortlichen Architekten mit einem baulich hochkomplexen Projekt rechnen.

Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gehört heute mit ihren rund 1,3 Millionen Besuchern zu den beliebtesten Kirchen der Hauptstadt. Doch nicht nur die Turmruine soll in den kommenden Jahren saniert werden, sondern das gesamte Ensemble inklusive der von Egon Eiermann konzipierten modernen Kirchenbauten der 1950er und 1960er Jahre.

Sanierung des Gesamtkomplexes am Breitscheidplatz soll 35 Mio. Euro kosten

Auch dies wird kostenintensiv: Gut 35 Millionen soll die Sanierung des gesamten Ensembles kosten, rund 28 Millionen Euro wollen dabei der Bund und das Land Berlin tragen. Der Rest muss ebenfalls von der Stiftung aufgebracht werden – kein einfaches Unterfangen.

Bis Ende der 2020er Jahre soll also das gesamte, heutige Ensemble der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche umfassend saniert, modernisiert und erweitert werden. Es kann dem in die Jahre gekommenen Baudenkmal nur guttun.

Spenden an die Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche können hier getätigt werden.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

© Visualisierung: heneghan peng architects

Die neu erbaute Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1900. / © Foto: Wikimedia Commons

Die Gedächtniskirche heute, mit modernen und historischen Elementen. / © Foto: unsplash

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Weitere Kulturprojekte sind hier zu finden

Quellen: Berliner Morgenpost, Evangelische Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde Berlin, Deutsches Architektur Forum, Wikipedia

 

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3 Kommentare

  1. Werner Meier Oktober 16, 2023

    Es stimmt einfach so nicht, daß nach dem Krieg “nur noch der Hauptturm” übriggeblieben wäre. Im Film “Emil und die Detektive” von 1954 kann man gut sehen, daß noch sehr viel mehr von der Kirche übriggeblieben ist und offensichtlich der”Eiermann”-Variante zum Opfer gefallen ist. https://ok.ru/video/43443489368?fromTime=2985

  2. Franz Oktober 16, 2023

    Seit fast 20 Jahren bin ich in Berlin. Und gefühlt gibt es nur ein oder zwei Jahre, in denen die Kaiser-Wikhelm-Gedächtniskirche keine Baustelle war, d.h. nicht eingerüstet wg. Sanierung der Altkirche bzw. von “Lippenstift” (wie immer noch) und “Puderquaste”. Warum kann die Bauwirtschaft dem Ort Breitscheidplatz nicht einmal ein Jahrzehnt der Ruhe und des Sich-Setzens gönnen?

  3. Katharina Oehlke April 4, 2024

    Die Stadt hat soviele Probleme und zu wenig Geld, warum jetzt dieser Neubau? Warum wurden wie damals schon wieder die Berliner nicht gefragt. Die Gedächtniskirche ist auch ein Denkmal und Mahnmal, dass wir keinen Krieg mehr wollen. Auch für unsere Kinder nicht. Meine Oma erzählte mir mal, dass sie an einer Zeitungsaktion teilnahm zum Erhalt der Gedächtniskirche. Sie ist so zentral für mich (42) und wichtig für meinen Sohn (10) und ich hoffe, dass auch meine Enkel sie eines Tages sehen können und vor allem in Frieden leben.

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