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Im Interview: Meike-Marie Thiele über das geplante Exilmuseum Berlin

Bereits im Februar diesen Jahres berichteten wir über die zukünftige Nutzung des Areals, auf dem einst der im Krieg stark zerstörte und in den 60er Jahren abgetragene Anhalter Bahnhof stand. Nach aktuellem Planungsstand wird es auf diesem Gelände aber keine Rekonstruktion des historischen Gebäudes, sondern den Neubau eines schon seit mehreren Jahren geplanten Exilmuseums geben.

Wir hatten die Gelegenheit, ein Interview mit Meike-Marie Thiele zu führen. Sie ist Geschäftsführerin der Stiftung Exilmuseum Berlin und ist seit Januar 2019 für das Projekt tätig.

 

ENTWICKLUNGSSTADT: Sehr geehrte Frau Thiele, vielen Dank dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Zum Einstieg in das Gespräch interessiert mich zuerst die Frage, welche Gruppe oder welches Team hinter dem Projekt Exilmuseum Berlin steht.

Meike-Marie Thiele: Hinter dem Projekt steht die 2018 als bürgerliche Initiative gegründete Stiftung Exilmuseum Berlin. Diese ist entstanden um unsere Schirmherren, die Nobelpreisträgerin Herta Müller, die sich bereits 2011 für ein „Museum des Exils“ in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin einsetzte und den Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck, sowie um den Kunsthändler und Mitbegründer der Villa Grisebach, Bernd Schultz. Als Gründungsdirektor konnten wir Prof. Dr. Christoph Stölzl gewinnen. Wir haben darüber hinaus einen Kreis aus sehr engagierten Gründern und Stiftern, die das Projekt nach vorne treiben.

Wie und wann ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?

Eigentlich begann alles mit einem Fotoband von Stefan Moses über deutsche Emigranten. Dieses Buch mit Texten von Christoph Stölzl faszinierte Bernd Schultz derart, dass die Idee entstand, dem Thema Exil ein eigenes Museum zu widmen. Es gibt sehr viele Museen und Gedenkstätten zum Holocaust, allerdings kaum Orte, an denen jenen Menschen gedacht wird, die flüchten mussten und ihr Zuhause, oft auch ihre Liebsten, ihre Sprache, ihre Berufe, verloren. Heute ist Flucht und Migration ein omnipräsentes Thema und viele Menschen suchen in Deutschland Zuflucht. Da liegt es nahe, sich mit dem Teil der Geschichte zu beschäftigen, in dem Menschen aus Deutschland vertrieben und über die ganze Welt verstreut wurden.

“Heute ist Flucht und Migration ein omnipräsentes Thema (..). Da liegt es nahe, sich mit dem Teil der Geschichte zu beschäftigen, in dem Menschen aus Deutschland vertrieben und über die ganze Welt verstreut wurden.”

Was wird es inhaltlich im Exilmuseum zu sehen und zu erleben geben? Welches sind die Kernpunkte zukünftiger Ausstellungen, und was wird nicht zu finden sein?

Das Museum nimmt jene Menschen in den Blick, die vor den Nationalsozialisten flüchten mussten und sich im Ausland in Sicherheit bringen konnten. Neben den historischen Fakten und Zusammenhängen werden viele Einzelbiografien vorgestellt und die verschlungenen, tragischen und überraschenden Lebenswege der Exilanten nachgezeichnet. Dabei wird sich das Museum weniger auf das Ausstellen von Objekten konzentrieren, sondern sehr medial und szenografisch arbeiten. So soll eine Nahsicht auf das Thema erzeugt werden und die Exilgeschichte unmittelbar erfahrbar gemacht werden. Außerdem wird immer wieder eine Brücke ins Heute geschlagen und nach möglichen Konstanten in der menschlichen Erfahrung gesucht, die das Leben fernab der Heimat mit sich bringt.

Darüber hinaus wird es eine großzügige Fläche für Wechselausstellungen geben. Dort soll den vielen Institutionen, die bereits zum Thema Exil sammeln und forschen, ein „Schaufenster“ in der Hauptstadt geboten werden, um eigene oder gemeinsam konzipierte Ausstellungen zu zeigen. Denkbar sind aber auch Kunstausstellungen von heutigen Exilkünstlern und vieles mehr – das Thema bietet unendlich viele Möglichkeiten.

Derzeit läuft der architektonische Wettbewerb für einen Museumsneubau. Wie ist der konkrete Zeitplan des Projekts bis zur Eröffnung des Museums?

Die Maßnahmen gegen die Folgen des Covid19-Virus haben auch für uns vieles durcheinander gebracht. Das Preisgericht für den Wettbewerb hätte im April tagen sollen, die Ausstellung der Wettbewerbsentwürfe wäre am 12. Mai in der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz gestartet. Dafür werden wir nun neue Termine suchen müssen. Die aktuellen Termine werden dann auf unserer Homepage und durch den Newsletter bekannt gegeben. Wir gehen aber nach wie vor von einer Eröffnung 2025 aus.

Wie finanziert sich das Projekt?

Wir konnten dank erster großzügiger Spenden direkt mit der Arbeit beginnen. Bernd Schultz hat einen Großteil seiner privaten Kunstsammlung verkauft und mit dem Erlös ist es uns möglich gewesen das Stiftungsbüro mit festen wissenschaftlichen Mitarbeitern einzurichten und vieles anstoßen. Für den Bau des Museums und die Ausstattung der Ausstellung sammeln wir weiter Spenden.

Der Museumsneubau soll auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs entstehen. Warum fiel die Wahl auf diesen Standort?

Der Standort ist geradezu ideal für das Exilmuseum. Zum einen ist er sehr zentral in Berlin gelegen und in einer Nachbarschaft von Kultureinrichtungen, die sich mit verwandten Themen beschäftigen. Das Exilmuseum könnte also die Museumslandschaft in diesem Teil der Stadt sehr sinnvoll ergänzen. Zum anderen ist der Anhalter Bahnhof tatsächlich ein historischer Ort für das Thema Exil, denn von diesem Bahnhof aus brachen in den dreißiger Jahren tausende Menschen auf, um das Land zu verlassen. Er steht natürlich auch für das Schicksal all jener, denen die rettende Flucht nicht mehr gelang, denn vom Anhalter Bahnhof fuhren bald darauf auch Deportationszüge ab. Außerdem symbolisiert die Ruine des Bahnhofsportals gleichsam den transitorischen Zustand des Exils, den Einschnitt in Lebenswege, den Aufbruch.

“Das Exilmuseum könnte die Museumslandschaft in diesem Teil der Stadt sehr sinnvoll ergänzen. Zum anderen ist der Anhalter Bahnhof tatsächlich ein historischer Ort für das Thema Exil (…).”

Eine Initiative fordert den Wiederaufbau des Anhalter Bahnhofs an historischer Stätte, aber mit neuer Funktion. Ist eine Unterbringung des Exilmuseums in der Hülle des historischen Anhalter Bahnhofs eine Option? Ähnlich wird ja auch das Nutzungskonzept des zukünftigen Humboldt Forums sein.

Die städtebauliche Situation am Askanischen Platz ist sehr komplex, da die Leerstelle, die der Bahnhof hinterlassen hat, sehr kleinteilig und teilweise unzusammenhängend gefüllt wurde. Es wurden dennoch Fakten geschaffen, die sich heute nicht mehr so einfach zurückdrehen lassen. So ist der auf dem Gelände entstandene Sportplatz für den Bezirk und seine Anwohner unverzichtbar, das Tempodrom hat einen festen Platz in der Berliner Veranstaltungslandschaft, eine Grundschule ist dort und vieles mehr. Kurzum, ich glaube nicht, dass ein Wiederaufbau passieren wird und auch nicht, dass diese Rekonstruktion sinnvoll wäre.

Wie sammeln Sie Inhalte, Exponate und Geschichten für das zukünftige Museum? Gibt es hierfür ein eigenes Team und laufen die Vorbereitungen bereits?

Ja, seit über zwei Jahren arbeiten drei wissenschaftliche Mitarbeiter/innen gemeinsam mit der Kuratorin daran, aus der umfangreichen wissenschaftlichen Literatur zum Thema jene Geschichten zu fischen, die im Museum erzählt werden sollen. Es durchforstet alle einschlägigen Archive und da das Museum einen starken Fokus auf mediale Vermittlung legt, versucht es vor allem auch, Foto- und Video-Schätze zu heben. Das Team hat bereits ein sehr umfangreiches Grobkonzept erarbeitet, das nun immer weiter verfeinert wird.

Frau Thiele, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Björn Leffler
Bildmaterial: © Stiftung Exilmuseum Berlin / Fotos: René Arnold

 

An diesem Ort soll das Exilmuseum entstehen: Die Ruine des einstigen Anhalter Bahnhofs am Askanischen Platz in Berlin Kreuzberg

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