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Konzept für Berlins Mitte: Weniger Verkehr, mehr Urbanität

Das historische Zentrum der Hauptstadt ist noch immer geprägt von großen Verkehrsachsen, die den ältesten Teil Berlins zerschneiden. Die Planungsgruppe Stadtkern fordert nun, sich den Status Quo nicht weiter schönzureden, sondern sich den evidenten städtebaulichen Missständen zu stellen. Dafür hat die Gruppe ein konkretes Konzept entwickelt.

So stellt sich die Planungsgruppe Stadtkern die Verkehrsplanung für die historische Berliner Mitte in einem Schaubild vor. / © Visualisierung: Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e.V.

© Visualisierungen: Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e.V.
© Foto Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Text: Björn Leffler

 

Kürzlich haben wir über das Veranstaltungsformat “Historischer Salon” der Gesellschaft Historisches Berlin e.V. berichtet, bei der Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) zu Gast war und kontroverse Fragen diskutierte.

Ganz konkret ging es um die offenen Konflikte der Berliner Verkehrspolitik vor allem im historischen Berliner Zentrum, denn viele der schwelenden Streitthemen sind weiterhin nicht gelöst.

Viele Komponenten müssen bei künftiger Verkehrsplanung berücksichtigt werden

Nach Angaben von Schreiner müssen bei der künftigen Verkehrsentwicklung der städtebauliche Masterplan, das Regelwerk Straßenraum und die Verkehrsnetzplanung als große Leitlinien parallel entwickelt werden.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Wie kann beispielsweise der Verkehr auf der Leipziger Straße, der Gertrauden- und Mühlendammbrücke und der verschwenkten Verkehrsachse am Molkenmarkt eingedämmt werden? Stattdessen wird wegen der Gefahr von Rückstaus die Planung der Straßenbahn auf der Leipziger Straße wieder einmal in Frage gestellt.

Planungsgruppe Stadtkern hat ein eigens Verkehrskonzept entwickelt

Nun hat die Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin ein eigenes Mobilitätskonzept für die historische Berliner Mitte vorgelegt, die sich genau mit diesen Themen detailliert auseinandersetzt – und ganz konkrete Vorschläge macht.

In einer offiziellen Erklärung begründet die Gruppe den Bedarf eines solchen Konzepts damit, dass Berlin aus ihrer Sicht die einzige Hauptstadt Europas sei, die über keine funktionsfähige Mitte verfüge, aufgrund der Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg und zwei totalitäre politische Systeme, die den Stadtraum bis zur Unkenntlichkeit transformiert haben.

Berlin verfügt bis heute über keine funktionsfähige Mitte

Doch bei dem heutigen Status Quo soll es nach Ansicht der Planungsgruppe Stadtkern keineswegs bleiben. Der Sprecher der Planungsgruppe, Dr. Benedikt Goebel, erklärt: “Es ist, als hätte man in der Mitte Berlins die Zerstörungen zweier Diktaturen ein für alle Mal akzeptiert. Die nahezu vollständige Fragmentierung des Stadtzentrums hat jedoch so gravierende politische, kulturelle, soziale, stadtwirtschaftliche und stadtökologische Konsequenzen, dass man es dabei nicht belassen kann.

Goebel formuliert einen klaren Appell an die Berliner Politik: “Wir rufen deswegen alle in Berlin Verantwortung tragenden Parteien und Vereinigungen auf, sich die Anomalie des defekten Zentrums nicht weiter schönzureden, sondern sich den evidenten städtebaulichen Missständen zu stellen.

Eckpunktepapier stellt das heutige Verkehrskonzept in Frage

Um diese Forderung auch inhaltlich zu unterstreichen, hat die Gruppe ein entsprechendes Eckpunktepapier zusammengestellt. Dies stellt die Frage, ob der bestehende Ost-West-Verkehr den ältesten Teil Berlins für immer in zwei Teile zerschneiden soll.

Zudem werden weitere Forderungen zu den Themen „Zentralität”, „Verkehr” und „Wohnen” erhoben. Hauptsächlich ist darin ein die Belange von Mobilität, Wohnen, Gewerbe, Infrastruktur, Freiflächen und Stadtgrün integrierendes Stadtentwicklungskonzept anstelle der vom Berliner Senat favorisierten “isolierten Förderung des Wohnungsbaus” formuliert, wie es die Gruppe nennt.

Ziel der Gruppe: Ein “Entwicklungsmanagement Innenstadt”

Vinzenz von Feilitzsch, Architekt sowie Mitautor des Konzepts, äußert sich wie folgt: “Priorität einer aussichtsreichen Stadtentwicklungspolitik, die das Wohnungsproblem voranbringen könnte, hat die Mobilisierung der innerstädtischen Potenziale. Praktisch heißt die anstehende Aufgabe: Einrichtung eines Entwicklungsmanagements Innenstadt. Einzelflächen im öffentlichen oder privaten Besitz, die als Folge von Krieg, als Abfallprodukt von Verkehrsprojekten oder als programmatische Abstandsflächen entstanden sind, müssen identifiziert werden. Das Mengenpotenzial der Mitte ist wie in der gesamten Stadt erheblich.

Die bestehenden Mängel der Berliner Innenstadt werden im Dokument klar angesprochen. In der Stadtmitte der Hauptstadt herrsche demzufolge neben großen Wohnungsclustern eine Leere, die sowohl funktional als auch emotional spürbar sei. Es fehle an einer klaren Verbindung zwischen den Elementen.

Berlins historische Mitte: Breite Straßen und große Leere

Die prägenden Merkmale seien heute das Schnellstraßensystem, das den Stadtkern durchzieht, und das Marx-Engels-Forum, wobei die Hauptfunktion die zügige Durchfahrbarkeit des Areals sei. Die Planungsgruppe Stadtkern fordert daher eine “Privilegisierung des Stadtkerns” – und eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik, insbesondere in diesem Stadtraum.

So heißt es dort wörtlich: “Verkehrspolitik kann in Zukunft nicht mehr
nur Bedarfsdeckung sein, sondern muss in erster Linie Verkehrslenkung sein. Ab sofort ist daher nicht mehr für aktuelle oder projizierte Bedarfe individueller motorisierter Mobilität zu bauen, sondern zugunsten des stadtpolitischen Ziels einer Reduktion der innerstädtischen Verkehrsbewegungen um mindestens 60%.

Die Gruppe fordert eine Verkehrsberuhigung der Berliner Mitte

Die erfolgreiche Umgestaltung des zentralen Berliner Stadtverkehrs beginnt aus Sicht der Gruppe also mit einer verkehrsberuhigten Mitte. Diese kann jedoch erst wirklich sinnvoll und funktionsfähig sein, wenn sie durch neue öffentliche Gebäude und Plätze mit urbanem Leben und sozialer Aktivität belebt wird.

Eine effektive Methode hierfür im Stadtkern soll die gezielte Schaffung individueller Wohnräume entsprechend dem historischen Stadtgrundriss (Parzellierung) sein, um die vorhandenen großen Wohnanlagen und Investorenprojekte auszugleichen.

Schlüsselprojekt: Der Wiederaufbau des Molkenmarkts

Der Auftrag an die Berliner Stadtentwicklungsverwaltung, allen voran an Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt und Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD), ist also klar formuliert. Diese haben mit dem Mammutprojekt “Molkenmarkt” ein Schlüsselprojekt in der historischen Berliner Mitte zu bewältigen.

Das gesamte Konzept könnt Ihr hier herunterladen: Eckpunkte zur Stadte~itte_2024-03-12

 

Weitere Bilder zum Thema findet Ihr hier: 

Berlin-Mitte: Mittlerweile läuft der Verkehr auf der verschwenkten, deutlich schmaleren Grunerstraße entlang. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

© Visualisierung: Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e.V.

Weitere Projekte in Mitte findet Ihr hier
Weitere Verkehrsprojekte sind hier zu finden

Quellen: Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e.V., www.rozok.de, Gesellschaft Historisches Berlin e.V.

 

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1 Kommentar

  1. S. Langbein März 22, 2024

    “Rekonstruktion der Berliner Mitte” – das ich nicht lache.
    Hier geht es nur um Immobiliengeschäfte!
    Die Berliner Architektenszene hat leider eindrücklich bewiesen, dass sie “Rekonstruktion” nicht kann, vermutlich nicht einmal will. Überall nur modere Industrie-Plattenbauten ohne Harmonie und Schönheit. Baulichen Respekt und gestalterische Rücksicht auf die Geschichte sucht man vergeblich.
    Und wer meint, moderne Stadt funktioniert ohne Verlehr, der sollte besser aufs Dorf ziehen.
    Bevor nicht die Stadtplanung bzw. die Architektenszene wieder historisch respektierende Bauten beweist(!), kann und muss man eine solche Planung nur ablehnen. Ansonsten sieht das Viertel so scheußlich aus, wie der Leipziger Platz oder die “Europa-City” nördlich des Hauptbahnhofs.
    Einfach Grausig!

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