Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Im vierten Teil widmen wir uns dem Einzug der Kaffeehauskultur und dem Aufstieg der Friedrichstraße zu Berlins bedeutendster Amüsiermeile.

Die Kreuzung Friedrichstraße, Ecke Unter den Linden, mit dem legendären “Café Bauer”. Das Bild zeigt eine Straßenszene um 1900. / © Foto: Wikimedia Commons

© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler

DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE

Teil 4 – Amüsiermeile

Zu den ersten drei Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier

Die Zeit des Kaffees und der Kaffeehäuser brach an, allerdings kam diese Kultur relativ spät nach Berlin. Am Lustgarten, dem heutigen Standort des Berliner Doms, wurde um 1714 das erste Kaffeehaus eröffnet und von dort aus bahnte sich das klassische Kaffeehaus seinen Weg über die Straße Unter den Linden zur Friedrichstraße.

Der in der Nähe von Wien geborene österreichische Konditor Johann Georg Kranzler kam 1825 nach Berlin und gründete ursprünglich an der Adresse Unter den Linden 22 sein erstes Kaffeehaus, neun Jahre später wechselte er dann zur Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden 25.

Später Einzug der Kaffeehauskultur in der Friedrichstraße

Aber Kranzler war zu diesem Zeitpunkt nicht der einzige Kaffeehausbetreiber in der Friedrichstadt, denn im Nachbarhaus Nr. 24 gab es das “Café Prince Royal“ und im Haus Nr. 23 das „Café National“. Der Adel und das aufkommende Bürgertum verkehrten beim Kranzler, aber vor allem das in der Friedrichstadt stark vertretene Militär machte einen großen Anteil des Kaffeehauspublikums aus, vor allem die „Gardeleutnants“!

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnete dann Kranzler seine neue Filiale im neuen Westen, am Standort des ehemaligen „Café des Westens“, am Kurfürstendamm, Ecke Joachimstaler Straße.

Das ursprünglich am Standort Friedrichstraße / Unter den Linden begründete Kaffeehaus, das eine hohe Popularität beim Publikum genossen hatte, wurde im Verlauf des Zweiten Weltkriegs komplett zerstört.

Das „Café Kranzler“ befand sich ursprünglich an der Friedrichstraße

An der Friedrichstraße, Ecke Kochstraße, hatte der Hofkonditor August Schilling um das Jahr 1843 sein Kaffeehaus eröffnet. Im Jahr 1900, noch bevor Kranzler seine Filiale im Westen eröffnete, zog es Schilling mit einer weiteren Filiale an den Kurfürstendamm, die dann allerdings von Möhring in den 1970er Jahren übernommen und weitergeführt wurde.

Theodor Fontane hielt der Stadt Berlin und der Region auch nach seiner Heirat die Treue und beschrieb in seinem Roman „Effi Briest“ das alte Café Schilling. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es außer den bereits beschriebenen Kaffeehäusern noch weitere Kaffeehäuser in der Friedrichstadt gab, wie etwa das nicht weniger berühmte „Café Bauer“ an der Kreuzung Friedrichstraße / Unter den Linden, direkt gegenüber vom „Café Kranzler“. Weiterhin muss man das „Café im Lichthof“ des Central Hotels erwähnen. Heute muss man leider feststellen, dass von dieser anfänglich doch sehr gepflegten Kaffeehauskultur wenig oder fast gar nichts mehr vorhanden ist.

Zeitenwende? Die Bürgerliche Revolution von 1848/49

 Um das Jahr 1840 lebten in Berlin inklusive seiner Vorstädte rund 400.000 Menschen. Es herrschte in der Stadt eine sehr angespannte Situation, die alle Bevölkerungsschichten betraf. Dies betraf einerseits die schlechten Lebensbedingungen der unteren Klassen.

Das Bürgertum beschäftigte sich andererseits intensiv mit den Ideen der Aufklärung, die sich nach der französischen Revolution 1789 seitdem über ganz Europa und nun auch in Deutschland ausgebreitet hatten. Die revolutionäre Stimmung gegen die Willkür der Obrigkeit der Hohenzollern und deren König hatte im März 1848 seinen Höhepunkt erreicht.

Barrikadenkampf: In der Friedrichstraße kämpfte Volk gegen Militär

Allerdings war die Reaktion des Königs Friedrich Wilhelm IV auf die Forderungen der Bürger mehr als beschämend, denn er entschied sich für eine Mobilmachung seiner Truppen auf allen bedeutenden Plätzen Berlins und somit für ein gewaltvolles Vorgehen gegen sein eigenes Volk, womit er die sich anschließenden Kämpfe und Ausschreitungen nunmehr selbst provoziert hatte.

Die ganze Stadt, selbst in den Randgebieten, war mit Barrikaden übersät, so auch in der Friedrichstraße, wo die Verteidiger der Barrikaden erheblichen Widerstand leisteten. Eine Bronzetafel an der Adresse Friedrichstraße 180, Ecke Jägerstraße, erinnert noch heute an diese Kämpfe in der Friedrichstraße.

Militärarzt Rudolf Virchow: Medizinische Kompetenz in der Friedrichstraße

Rudolf Virchow, der auf Seiten der etwa 3.000 bis 4.000 Kämpfer stand, schilderte in einem Brief an seinen Vater die schrecklichen Ereignisse und sein Entsetzen über das Verhalten des Landesfürsten gegen seine Untertanen. Virchow übrigens machte an der in der Friedrichstraße gelegenen „Pepinière“ seine Ausbildung zum Militärarzt.

Der Begriff Pepinière kommt- wie unschwer zu erraten ist – aus dem Französischen und bedeutet so viel wie „Pflanzschule“. Die Institution war 1795 als medizinisch-chirurgische Akademie zur Ausbildung von Militärärzten gegründet worden und besaß, wie die in unmittelbarer Nähe angesiedelte Charité, den Status einer Militärakademie. Interessanterweise konnten an der „Pepinière“ auch Mittellose, also Zivilpersonen, ihr Medizinstudium absolvieren.

„Pepinière“: Namhafte Mediziner lernten ihr Handwerk in der Friedrichstraße

Nach der Ausbildung zum Militärarzt wechselte Virchow später an die Charité, dem ältesten Krankenhaus Berlins, um dort seine Karriere als Mediziner fortzusetzen. Auch andere bekannte Mediziner waren Absolventen der „Pepinière“, so der Psychologe und Physiker Helmholtz und der spätere Nobelpreisträger Emil von Behring, der sich bei der Heilung von Diphtheriekranken, hauptsächlich Kinder, große Verdienste erwarb.

Erwähnenswert ist auch noch Ernst von Leyden, der sich als Mediziner intensiv mit der Krebsforschung befasste und 1910 die Internationale Vereinigung für Krebsforschung gründete.

Auf dem Gelände der „Pepinière“ befindet sich heute der “Tränenpalast”

Das ursprüngliche Gelände mit den Gebäuden der „Pepinière“ an der Friedrichstraße 139-141 wurde aufgrund des Um- und Ausbaus des Bahnhofs Friedrichstraße später an die Eisenbahn verkauft; dort befindet sich das heutige Areal des „Tränenpalastes“ mit den verbliebenen Resten des ehemals dort stationierten Grenzübergangs der DDR.

Überhaupt gab es ein großes Angebot medizinischer Einrichtungen in der Friedrichstraße, speziell in der nördlichen Friedrichstraße und ganz nah an der Charité gelegen. So im Haus Nummer 104 a mit einer „Poliklinik“ für Frauen- und Kinderkrankheiten, im Haus Nummer 133 eine „Poliklinik“ für Hals- und Ohrenkrankheiten und im Haus Nummer 125 das Büro des „Deutschen Pharmazeutischen Vereins“.

Ende des 19. Jahrhunderts waren im Haus Nummer 108, Ecke Johannisstraße, die Aktiengesellschaft „Medizinisches Warenhaus“ und in der Friedrichstraße 133 „Winklers Chirurgische Instrumente“ untergebracht.

Zirkus und Amusement kehrten ein in die Friedrichstraße

Bereits vor der Märzrevolution 1848 waren in der Friedrichstraße allerhand Vergnügungsmöglichkeiten angesagt, so etwa auch Zirkusvorstellungen. Man darf aber nicht verhehlen, dass der Bevölkerung nach den revolutionären Tagen nicht unbedingt der Sinn nach derlei Vergnügen stand, denn das Geld war knapp und wurde für das schlichte Überleben gebraucht.

Ernst Jakob Renz hatte aufgrund des nicht mehr vorhandenen Interesses an seinen Zirkusdarbietungen die Stadt verlassen, kam allerdings nach eineinhalb Jahren nach Berlin zurück und ließ sich im südlichen Teil der Charlottenstraße nieder. Aber das mittlerweile wieder zunehmende Interesse der Berliner Bevölkerung weckte auch bei anderen Zirkusbetreibern die Neugier aufs Geschäft in der Residenzstadt.

“Zirkus Renz” wurde zu einer grossen Attraktion im Berlin des 19. Jahrhunderts

Mit dem französischen Zirkus- Konkurrenten Louis Déjean im „Cirque National de Paris“, am Standort in der Friedrichstraße 141 a, erwuchs Renz ein gleichwertiger Wettbewerber. Dejean hatte im Gegensatz zu Renz eigens einen Fachwerkbau für den Zirkusbetrieb bauen lassen, Renz spielte mit seinen Darbietungen noch in Zelten!

Die Premiere für den „Cirque National de Paris“ fand am 25.Dezember 1850 statt und nach einer Sommerpause und einer weiteren Wintersaison beendete Dejean seine Zirkusvorstellungen in Berlin, woraufhin Renz dann die Chance beim Schopfe packte, um den Fachwerkbau für seine eigenen Vorstellungen zu nutzen. Der Zirkus-Fachwerkbau entsprach dem Pariser Vorbild und es existierte nichts Gleichwertiges in der Stadt.

1853: Zerstörung durch Brand und Neuaufbau des “Zirkus Renz”

Ein Brand zerstörte am 28.Novermber 1853 den Zirkus -Fachwerkbau an der Friedrichstraße, angeblich soll ein angrenzendes „Restaurationslokal“ den Brand ausgelöst haben. 1855 wurde dann ein Neubau an gleicher Stelle errichtet. Hauptattraktion des Zirkus Renz in Berlin waren die Pferdedressuren, denn die große Anzahl von Pferden erzielte bei den Vorführungen nachhaltige Wirkung beim Publikum.

Renz baute den Zirkus und das Gebäude in den Jahren weiter aus und entwickelte sich speziell durch diese grandiosen Pferdedressuren, aber auch durch seine Vielfalt an Tieren und exklusiven Darbietungen zu einem Publikumsmagneten in Berlin. Mit seinem Zirkus wurde Renz in der Friedrichstraße quasi zu dem Pionier der Unterhaltungsbranche.

Als Baugesellschaften das Zirkus-Gelände zum Bau der Stadtbahn und des Bahnhofs Friedrichstraße erwerben wollten, sah Renz die große Chance zum großen Geld und verkaufte das Gelände für 820.000 Taler. Aufgrund von Bauverzögerungen konnte er den Zirkusbetrieb in dem Gebäude immerhin noch bis 1876 aufrecht erhalten.

Die Friedrichstraße als Berlins große Unterhaltungsmeile

Mit den großen „Unterhaltungen“ in der Friedrichstraße sollte es allerdings danach steil bergauf gehen; die Eröffnung des Fernbahnhofs Friedrichstraße war ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess.

Renz wiederum schlug seine Zelte auf der anderen Spreeseite auf und zwar in einer eigens für seine Zwecke hergerichtete Berliner Markthalle. Noch heute finden wir am Standort des Berliner Ensembles einen Bezug zu Renz, denn der Straßenname wurde dementsprechend benannt: Am Zirkus!

Fortsetzung folgt.

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Weitere Artikelreihen findet Ihr hier:

https://entwicklungsstadt.de/serie-berlins-luftschloesser-teil-2-der-neubau-der-gedaechtniskirche/

https://entwicklungsstadt.de/vergessene-baukunst-die-geschichte-juedischer-architekten-in-berlin/

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