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Vergessene Baukunst: Die Geschichte jüdischer Architekten in Berlin

Bis 1933 lebten und arbeiteten rund 450 jüdische Architekten in Deutschland, viele von ihnen in Berlin. Die Erinnerung an ihren großen, städtebaulichen Einfluss, der sich vor allem in der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts niederschlägt, ist heute stark verblasst. Wir widmen diesem architekturhistorischen Thema daher eine mehrteilige Serie.  

Berlin in den 1920er Jahren. Das städtebauliche Bild der Stadt war geprägt vom Schaffen zahlreicher jüdischer Architekten und Bauherren.  / © Foto: Wikimedia Commons

Text: Björn Leffler

 

Als im Januar 1933 die Nationalsozialisten die Regierungsverantwortung im Deutschen Reich übernahmen, war das für viele Menschen jüdischer Abstammung oder jüdischen Glaubens ein bedrohliches Szenario, welches sehr schnell zu einer sehr tatsächlichen, alltäglichen Bedrohung werden sollte.

Für viele Juden war dieses als “Machtergreifung” bekannt gewordene Ereignis ein Wendepunkt im Leben, der für viele von ihnen mit dem gewaltsamen Tod in den Vernichtungslagern der Nazis enden sollte – oder mit der Flucht ins Exil, wenn sie Glück und die entsprechenden Möglichkeiten hatten.

450 jüdische Architekten lebten bis 1933 in Deutschland

Betroffen davon waren Juden aller Altersklassen, aus allen Gesellschaftsschichten und aus allen Berufskreisen. Natürlich machte die Säuberungswelle der Nationalsozialistischen Partei (NSDAP) auch vor den jüdischen Architekten, Stadtplanern und Bauherren nicht halt.

Dabei waren jüdische Architekten vor allem in Berlin für viele, prägende Gebäude verantwortlich. Große Namen wie Erich Mendelsohn, Oskar Kaufmann oder Alexander Klein sind darunter. Neben diesen populären Architekten ihrer Zeit gab es aber noch viele weitere Architekten mit jüdischen Wurzeln, die im Deutschen Reich seit Generationen tätig waren.

Vor 1933 lebten und arbeiteten rund 450 jüdische Architekten in Deutschland. Diese entstammten vorwiegend alteingesessenen Familien, etwa 135 von ihnen wurden in Berlin geboren – und waren auch hier tätig. Bevorzugt studierten sie bei damaligen “Stararchitekten” wie Hans Poelzig, Theodor Fischer oder Paul Bonatz.

Ausschluss der jüdischen Architekten ab 1933

Mit der Verabschiedung und dem in Krafttreten des Reichskulturkammergesetzes 1933 wurden die jüdischen Architekten aus der Kammer ausgeschlossen. Einige von ihnen konnten Deutschland verlassen und ins Exil flüchten. Andere von ihnen ereilte das gleiche Schicksal wie Millionen anderer, europäischer Juden.

Viele dieser Architekten waren bis 1933 angesehene Mitglieder des Deutschen Werkbundes, des Bundes Deutscher Architekten, des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin und der Akademie der Künste Berlin. Viele von ihnen waren Vertreter der Moderne, ihre Bauten prägen bis heute viele Städte in ganz Deutschland. Vor allem in Berlin schlug sich ihr Schaffen signifikant nieder.

Viele jüdische Architekten sind in Vergessenheit geraten

Tragisch ist, dass viele dieser Architekten, die das städtebauliche Bild Berlins in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägten, heute zu großen Teilen vergessen sind. Denn natürlich gab es sehr viel mehr als das populäre Werk von Männern wie Erich Mendelsohn, Martin Punitzer oder Erwin Gutkind. Der Einfluss “jüdischer Architektur” bestimmte maßgeblich die gestalterische Entwicklung einer Stadt, die in den Jahrzehnten zwischen den Weltkriegen vor allem in kultureller und baulicher Hinsicht zu den führenden Metropolen Europas und der Welt zählte.

Bereits vor über vier Jahren beschäftigte sich in Hamburg ein Symposium mit der Frage, ob es so etwas wie eine “Jüdische Architektur” als eigenständigen Begriff in der Architektursprache überhaupt gab oder gibt. Also eine jüdische Identität, die sich in den Formen des Bauens und Gestaltens wiederfindet. Die Meinungen darüber gehen auseinander. Unstrittig jedoch ist die Tatsache, dass jüdische Architekten großen Einfluss auf die Entwicklung der modernen, europäischen und angelsächsischen Baukunst im 19. und 20. Jahrhundert gehabt haben – und heute glücklicherweise wieder haben.

Zeugnisse jüdischer Architektur in Berlin

Eben solche “Jüdische Architektur” kann in Berlin noch immer an einigen Orten bewundert werden. Bauten wie die “Volksbühne” am Rosa-Luxemburg-Platz und das “Hebbel Theater in Kreuzberg von Oskar Kaufmann, der im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtete, ehemalige “Roxy-Palast von Martin Punitzer in Schöneberg, die Reihenhäuser in der Dahlemer Schorlemmerallee von Alfons Anker oder die modernen Bauten der “Weißen Stadt“ in Reinickendorf von Bruno Ahrends sind bestehende Zeugnisse dieser bedeutenden Architekturepoche.

Hinzu kommen die zahlreichen Gebäude, die durch die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs zerstört und nie wieder aufgebaut wurden. Genauso verblasst wie die Zeugnisse ihrer Arbeit scheint heute die kollektive, gesellschaftliche Erinnerung an die vielen, jüdischen Architekten aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus zu sein.

ENTWICKLUNGSSTADT beleuchtet das Leben jüdischer Architekten vor und nach 1933

Es ist wohl nur wenig verwunderlich, denn auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es vor allem in der jungen, deutschen Bundesrepublik nur zaghafte und häufig verkrampfte Auseinandersetzungen mit der schwierigen, eigenen Vergangenheit – zumal viele politische, wirtschaftliche und kulturelle Entscheidungsträger selbst eine nationalsozialistische Karriere zu verschweigen hatten.

Im Rahmen einer mehrteiligen Artikelreihe werden wir in den kommenden Monaten die Lebenslinien und das Werk jüdischer Architekten, Baumeister und Stadtplaner beleuchten, die das Bild und die Entwicklung Berlins maßgeblich mitgeprägt haben.

 

Quellen: Gesellschaft zur Erforschung des Lebens und Wirkens deutschsprachiger jüdischer Architekten, Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933 – Das Lexikon, Berliner Morgenpost, Wikipedia, Jüdisches Museum Berlin, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

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3 Kommentare

  1. anonymx Juli 4, 2022

    Bravo für die wichtige Berichterstattung. Derartige Verluste für Deutschland und Europa sind beispiellos. Was an Kultur, Wissen und Menschen vernichtet worden ist in dieser Zeit ist eine Zäsur sondergleichen.

  2. Dr. D. W. Schmidt Juli 5, 2022

    Björn Lefflers guter Überblick ist geeignet, zu weiteren Nachforschungen anzuregen. – Der stark verkürzende Begriff “jüdische Architektur” ist mindestens irreführend, denn die Architektur jüdischer Architekten unterscheidet sich in keiner Weise von der katholischer, protestantischer oder bekenntnisloser Berufskollegen. Das manchmal gleichwohl notwendige Adjektiv “jüdisch” wird erst seit dem Holocaust vor allem zur Unterscheidung der Menschen gebraucht, weil ja sie das Ziel der NS-Vernichtung waren, nicht ihre Architektur. – Auch in Stuttgart sind noch mehrere Gebäude des jüdischen Architekturbüros Bloch & Guggenheimer erhalten, einige unter Denkmalschutz.

  3. admin Juli 5, 2022 — Autor der Seiten

    Vielen Dank Dr. Schmidt. Tatsächlich haben wir den Begriff “jüdische Architektur” im Text erläutert und auch die Kontroversen dazu – im Titel sowie im Titelbild ist er nun nicht mehr enthalten, dennoch vielen Dank für Ihr Feedback dazu.
    Björn Leffler

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