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Bauen in Zeiten der Verstörung: Jüdische und multireligiöse Projekte

In Berlin werden derzeit mehrere jüdisch oder multireligiös orientierte Bauprojekte vorangetrieben. Vor allem vor dem Hintergrund des derzeit aufflammenden Nahostkonflikts können sie ein wichtiges Zeichen für interkulturelle Verständigung und Deeskalation sein.

In Kreuzberg plant die dort ansässige jüdische Gemeinde den Wiederaufbau der historischen Synagoge am Fraenkelufer. / © Visualisierung: Kilian Enders

© Visualisierung Neubau der Synagoge am Fraenkelufer: Kilian Enders
© Visualisierung Else-Ury-Campus: Moses-Mendelssohn-Stiftung
© Visualisierung Drei-Religionen-Kita: Förderverein Drei-Religionen-Kita-Haus
© Visualisierung House of One: Kuehn Malvezzi

Text: Björn Leffler

 

Derzeit müssen sich viele jüdische oder multikulturell ausgerichtete Institutionen in Berlin einer Situation stellen, die – zumindest im Zeitraum seit der deutschen Wiedervereinigung – wohl als einmalig zu bewerten ist.

Durch den aufflammenden und sich womöglich ausbreitenden Nahostkonflikt in Israel und den angrenzenden Ländern kommt es auch in der deutschen Hauptstadt vermehrt zu Spannungen und Unruhen.

Angespannte Sicherheitslage für jüdische Institutionen auch in Berlin

Ein Beispiel aus dem Berliner Amateursport ist der Verein TuS Makkabi Berlin. Als der 1970 in Berlin neu gegründete Verein aus dem Westend im vergangenen Jahr als erster jüdischer Verein einen deutschen Landespokal gewinnen konnte, sorgte dies bundesweit für Schlagzeilen.

Das Oberliga-Spiel gegen die TSG Neustrelitz, welches am vorvergangenen Wochenende stattfinden sollte, wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Am Mittwoch verkündete dann Vereinspräsident Alon Meyer in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass der gesamte Spiel- und Trainingsbetrieb eingestellt werde.

Sportverein Tus Makkabi Berlin erhöht Sicherheitsvorkehrungen

Mittlerweile läuft der Trainings- und Spielbetrieb wieder, allerdings unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Auch andere jüdische Einrichtungen und letztlich auch Bewohner der Stadt mit jüdischem Hintergrund fühlen sich derzeit unsicher und haben mit Anfeindungen zu kämpfen.

So werden in Berlin derzeit sowohl pro-israelische als auch pro-palästinensische Demonstrationen auf den Straßen durchgeführt – genehmigte und nicht genehmigte. Viele in Berlin wohnende Menschen sind vom sich anbahnenden Krieg in Nahost mittelbar oder unmittelbar betroffen, die Stimmung ist angespannt, auch bei den Sicherheitsbehörden.

In Berlin werden jüdische und multikulturelle Bauprojekte geplant

Gleichzeitig werden in Berlin zahlreiche jüdische und multikulturell orientierte Bauvorhaben umgesetzt, die jetzt natürlich noch einmal besonders im Fokus stehen – und deren Verantwortliche die aktuellen Ereignisse vor zusätzliche Herausforderungen stellt.

Eines dieser Bauprojekte ist beispielsweise der geplante Bau des Else-Ury-Campus im Berliner Grunewald. Direkt neben der bekannten Gedenkstätte “Gleis 17” soll dort in den kommenden Jahren ein neues, jüdisches Zentrum entstehen. Auf dem neu zu schaffenden Campus sollen studentisches Wohnen sowie Umgang und Auseinandersetzung mit historischer Verantwortung ineinandergreifen.

Grunewald: Jüdisches Zentrum “Else-Ury-Campus” geplant

Etwa 25.000 Quadratmeter groß ist das Grundstück, auf dem der Campus entstehen soll. Geplant ist ein Ensemble von insgesamt vier Gebäuden. Drei der vier Häuser sollen über jeweils drei Stockwerke verfügen und Platz für insgesamt 160 Apartments schaffen, in denen Studierende jüdischer aber auch anderer Herkunft leben können.

In der Westfälischen Straße hat in diesem Jahr ein weiteres, jüdisch orientiertes Bildungsprojekt seine Pforten geöffnet. Der im Ortsteil Wilmersdorf entstandene Neubau wurde von der orthodoxen Gemeinschaft Chabad Lubawitsch geplant und realisiert.

Wilmersdorf: Jüdischer Bildungscampus “Pears” wurde eröffnet

Die neu entstandene Einrichtung an der Westfälischen Straße 15 beheimatet die Kernthemen Bildung, Kultur und Sport. Der Neubau ist in den vergangenen Jahren auf einem Baufeld neben der dort beheimateten jüdischen Gemeinschaft entstanden und erweitert deren Wirkungsfläche.

Im Neubau wird nicht nur ein Kindergarten und eine Schule betrieben, das Gebäude soll auch als Plattform für Familien- und Gemeindeveranstaltungen sowie als Begegnungsstätte genutzt werden. Die neue Bildungsstätte trägt den Namen “Pears Jüdischer Campus” und soll nach dem Wunsch der Jüdischen Gemeinde als starkes Zeichen gegenüber dem in den vergangenen Jahren wieder stärker spürbaren Antisemitismus verstanden werden.

Am Petriplatz soll das multireligiöse “House of One” entstehen

Zwei andere Projekte in Mitte und Friedrichshain gehen ganz bewusst keinen monosäkularen Weg, sondern stellen das Miteinander der Religionen in den Mittelpunkt. Das wohl bekannteste dieser Bauvorhaben ist das Projekt “House of One”, welches am Petriplatz in Berlin-Mitte entstehen soll.

Das „House of One“ soll der erste Sakralbau werden, in dem Juden, Christen und Muslime vereint unter einem Dach ihre Religion ausüben können. Die Idee hinter dem Projekt ist es, ein völlig neuartiges, zukunftsweisendes Sakralgebäude gemeinsam durch Juden, Christen und Muslime planen und bauen zu lassen und mit Leben zu füllen. Da das Projekt zum Teil von privaten Spenden abhängig ist, geht es mitunter nur langsam voran. Bis 2028 soll das Projekt abgeschlossen werden.

Comeniuskiez: In Friedrichshain ist eine Drei-Religionen-Kita geplant

Etwas weniger prominent ist eine geplante Drei-Religionen-Kita, die in Berlin-Friedrichshain errichtet werden soll. Das Projekt ist nicht Teil des “House of One”-Projekts, sondern eigenständig. Künftig soll die Kita Platz für insgesamt 135 Kinder bieten. Um das Kita-Projekt zu realisieren gab und gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Verein zur Förderung der jüdischen Bildung und des jüdischen Lebens e.V. „Masorti“, dem evangelischen Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord sowie dem muslimischen Zentrum Berlin.

Die religionsübergreifende Kindertagesstätte soll auf einem Grundstück der evangelischen Kirchengemeinde St. Markus-Lazarus in der Marchlewskistraße 40 entstehen. Das Grundstück liegt zentral im Comeniuskiez, etwa mittig zwischen S-Bahnhof Warschauer Straße, U-Bahnhof Frankfurter Tor, U-Bahnhof Weberwiese und Ostbahnhof.

Kreuzberg: Am Fraenkelufer soll die historische Synagoge neu entstehen

So weit vorangeschritten sind die Planungen am Kreuzberger Fraenkelufer noch nicht. Die Jüdische Gemeinde Berlin plant, das historische Haupthaus der Synagoge neu errichten zu lassen. Wie viele andere Synagogen auch wurde das prachtvolle Gebäude während der Reichskristallnacht im November 1938 zerstört.

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs nutzt die ansässige Gemeinde das schlauchförmige Nebengebäude der einstigen Synagoge als Gotteshaus und Treffpunkt, da dieses in der Pogromnacht nur teilweise beschädigt wurde.

Wie auch beim geplanten Wiederaufbau der Synagoge im Hamburger Grindelviertel soll die einstige Synagoge am Landwehrkanal in ihrer ursprünglichen Form und Ausdehnung wiederaufgebaut werden. Nur die Nutzung soll eine neue sein, denn in dem neuen Gebäude soll ein jüdisches Kulturzentrum entstehen. Derzeit gibt es allerdings noch keinen konkreten Zeitplan oder gar ein Startdatum für das Projekt.

Zukunftsprojekte mit dem Fokus auf religiöse Wurzeln und Verständigung

Die ausgewählten Projekte zeigen jedoch deutlich, dass es in Berlin eine nicht unerhebliche Zahl von Kultur-, Bildungs- und Zukunftsprojekten gibt, die sich mit den religiösen Wurzeln seiner Bewohnerinnen und Bewohner einerseits und dem wichtigen interkulturellen Austausch andererseits beschäftigen.

Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, dass sich die Initiatoren dieser und anderer, ähnlich gelagerter Projekte nicht entmutigen lassen. Ganz im Gegenteil sollten sie ihren Einfluss geltend machen, um auf die aktuellen Spannungen deeskalierend und einend einzuwirken – auch wenn das im Moment natürlich ausgesprochen schwierig ist.

 

Weitere Bilder zum Thema findet Ihr hier: 

Wenige Meter entfernt von der bekannten Gedenkstätte “Gleis 17” im Grunewald soll ein jüdisches Zentrum entstehen. Der Bau des “Else-Ury-Campus” soll 2025 starten. / © Visualisierung: Moses-Mendelssohn-Stiftung

In der Friedrichshainer Marchlewskistraße soll eine Drei-Religionen-Kita für 135 Kinder errichtet werden. Entstehen soll das Gebäude auf dem Grundstück der evangelischen Kirchengemeinde St. Markus-Lazarus. / © Visualisierung: Förderverein Drei-Religionen-Kita-Haus

Am Petriplatz, in der historischen Mitte Berlins, entsteht eines der innovativsten und ambitioniertesten Projekte Europas, vielleicht sogar weltweit. Das “House of One” genannte Gebäude soll auf dem mittelalterlichen Gründungsort Berlins entstehen. / © Visualisierung: Kuehn Malvezzi

Für 18 Millionen Euro hat die orthodoxe Gemeinschaft Chabad Lubawitsch in Wilmersdorf ein jüdisches Bildungszentrum errichtet. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Weitere Kulturprojekte findet Ihr hier
Weitere Projekte in Charlottenburg-Wilmersdorf sind hier zu finden
Weitere Projekte in Friedrichshain-Kreuzberg gibt es hier
Weitere Projekte in Mitte sind hier zu finden

Quellen: Kuehn Malvezzi, Moses-Mendelssohn-Stiftung, Jüdische Gemeinde Berlin, TuS Makkabi Berlin, Förderverein Drei-Religionen-Kita-Haus

 

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