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ENTWICKLUNGSSTADT Interview: Im Gespräch mit Andreas Geisel, SPD

Andreas Geisel (SPD) hat nach 2014 bereits zum zweiten Mal das Amt des Stadtentwicklungssenators von Berlin angetreten und sieht sich mit dringenden Fragen der Gegenwartsbewältigung und Zukunftsplanung konfrontiert. Im ENTWICKLUNGSSTADT Interview konnten wir den Senator zum ersten Jahr seiner alten und neuen Tätigkeit befragen. 

Seit Dezember 2021 zum zweiten Mal als Berliner Stadtentwicklungssenator tätig: Andreas Geisel (SPD) / © Foto: Andreas Labes

© Fotos Andreas Geisel: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen / Fotograf Andreas Labes

 

Es ist bereits das zweite Mal, dass Andreas Geisel (SPD) das Amt des  Stadtentwicklungssenator der Hauptstadt bekleidet. Bereits von 2014 bis 2016 war Geisel als Senator für Stadtentwicklung tätig. In der vorangegangenen Legislaturperiode war Geisel dann als Innensenator einer SPD-geführten, rot-rot-grünen Koalition gefragt.

Die neue Bürgermeisterin der Stadt, Franziska Giffey (SPD), wollte Andreas Geisel allerdings wieder auf dem wichtigen und schwierigen Posten des Stadtentwicklungssenators einsetzen, um vor allem die dringende Frage der akuten Wohnungsnot in Berlin anzugehen.

Seit Dezember 2021 ist Andreas Geisel nun also ein zweites Mal als Leiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen tätig und blickt schon jetzt auf eine bewegte und intensive Amtszeit zurück. Zum Ausklang des Jahres 2022 hatten wir die Gelegenheit, den Senator im ENTWICKLUNGSSTADT Interview über das erste Jahr im alten und neuen Amt zu befragen.

Im Interview mit Andreas Geisel, Stadtentwicklungssenator von Berlin (SPD)

ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN: Sehr geehrter Herr Geisel, vielen Dank erst einmal, dass Sie uns Ihre Zeit für ein Interview widmen. Bevor wir den Blick nach vorn richten, würden wir gern kurz zurückschauen.

 Im Dezember 2021 haben Sie die Führung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ein zweites Mal übernommen, nachdem Sie das Ressort bereits zwischen 2014 und 2016 geführt hatten. In den letzten vier Jahren waren Sie aber als Innensenator tätig. Wenn Sie das erste Jahr ihrer jetzigen Amtszeit mit ihrer vorangegangenen Amtszeit vergleichen: Welche Aufgabe war schwieriger, herausfordernder? Oder lassen sich diese zwei Ämter nicht miteinander vergleichen?

Andreas Geisel: Diese beiden Ressorts lassen sich nicht einfach miteinander vergleichen. Als ich im Dezember 2016 Innensenator geworden bin, geschah wenige Tage nach meiner Amtseinführung der schreckliche Anschlag auf dem Breitscheidplatz. So will man nicht in ein neues Amt starten. Wir waren sofort im Krisenmodus. Dieser Krisenmodus ist vielleicht das einzig vergleichbare. Auch die neue Regierung ist sofort gefordert gewesen, als nach nur zwei Monaten im Amt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine viele Gewissheiten und langfristige Pläne über Nacht verändert hat. Die Herausforderungen sind seitdem vollkommen andere als noch im Dezember 2021, als SPD, Grüne und Linke den Koalitionsvertrag unterschrieben haben.

Im ersten Jahr Ihrer alten und neuen Rolle als Stadtentwicklungssenator haben Sie sich mit einer Vielzahl städtebaulicher Projekte und Herausforderungen auseinandergesetzt. Eines der dringendsten Probleme ist und bleibt der akute Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Berlin. Sie haben eine Vielzahl von Projekten, Ideen und Ansätzen gesehen und viele Bauvorhaben besucht. Welche Projekte oder Konzepte halten Sie für am sinnvollsten, um die Wohnungsnot effektiv bekämpfen zu können?

Ich habe immer gesagt: Wir müssen vom Reden ins Handeln kommen. Wenn die Menschen keine bezahlbaren und vernünftigen Wohnungen mehr finden in ihrer Stadt, wenn die Mietbelastungen immer größer werden, dann müssen wir schnell und kräftig dagegenhalten und versuchen, die Dinge ins Laufen zu bringen. Wir haben deshalb ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten gegründet. Das arbeitet erfolgreich. Wir werden in diesem Jahr die Wohnungsneubauzahlen trotz der Krisen steigern im Vergleich zum Vorjahr -­ das sagen zurzeit die Prognosen. Mit der neuen Senatskommission Wohnungsbau, angesiedelt bei der Regierenden Bürgermeisterin, lösen wir auf höchster Ebene Konflikte zwischen den unterschiedlichen Beteiligten, die bei jedem geplanten Bauvorhaben entstehen.

Das ist extrem lösungsorientiert und hat dazu geführt, dass wir für über 10.000 Wohnungen den gordischen Knoten durchschlagen konnten und diese jetzt auf die Realisierungsspur bringen. Was ich bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sehe, ist ein großes Problembewusstsein und Lösungsorientierung beim Wohnungsbau. Vorfertigungen, serielles Bauen, Typenbauten. All das sind Herangehensweisen, um auch in schwierigen Zeiten bezahlbaren Wohnungsbau zu ermöglichen. Das müssen wir weiter vorantreiben.

Zwischen 2014 und 2016 arbeiteten Sie mit Regula Lüscher im Amt der Senatsbaudirektorin zusammen, mittlerweile ist Ihre Partnerin auf diesem Posten die Architektin Petra Kahlfeldt. Wo unterscheiden sich diese beiden Persönlichkeiten und wie unterscheidet sich dadurch die Art der Zusammenarbeit?

Ich gehöre nicht zu denen, die öffentlich Kopfnoten verteilen. Nur soviel: Bei Petra Kahlfeldt schätze ich sehr ihre Herangehensweise an Projekte. Sie nennt es ‚Kultur des Ermöglichens‘. Das ist ein Ansatz, der mir sehr nahekommt. Ich möchte, dass Dinge entstehen können. Nicht umsonst heißt es Stadtentwicklung. Wir wollen gestalten und Dinge voranbringen.

“Die Rahmenbedingungen haben sich radikal verändert. Auf einmal machen sich die Menschen Sorgen, dass sie ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können. Das war jahrzehntelang in Deutschland bei den meisten Menschen kein Thema.”

Eines der wichtigsten Themen in Berlin: Der Bau bezahlbarer Wohnungen. Andreas Geisel sagt dazu: “Wenn es gut läuft, können wir dieses Jahr den Bau von bis zu 4.000 neuen Sozialwohnungen bewilligen. Im letzten Jahr waren es nur 1.000.” / © Foto: depositphotos.com

 

Welche Themen gehörten aus Ihrer Sicht zu den schwierigsten Aufgaben des vergangenen Jahres? Wo hätten Sie sich bessere Lösungen gewünscht?

Wir wollen alle, dass der Wohnungsbau ordentlich Fahrt aufnimmt. Wir sind trotz der Krisen ganz gut unterwegs, aber längst nicht so gut, wie ich es mir wünsche. Aber: Wer hätte Anfang des Jahres gedacht, dass die Inflationsrate zweistellig werden könnte, dass sich die Zinsen verdreifachen, dass es Lieferengpässe bei Baumaterialien geben könnte und dass Menschen von Baustellen Holz klauen. Wohl kaum einer. Die Rahmenbedingungen haben sich radikal verändert. Auf einmal machen sich die Menschen Sorgen, dass sie ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können. Das war jahrzehntelang in Deutschland bei den meisten Menschen kein Thema.

Und auf welche Themen, die Sie im vergangenen Jahr angepackt haben, blicken Sie zufrieden oder positiv gestimmt zurück?

Wir haben mit Blick auf die Energiekrise sehr schnell gehandelt und in Sachen Mieterschutz vieles erreicht. Zum Beispiel den Kündigungsschutz und Mietenstopp bei landeseigenen Wohnungen. Hinzu kommen Härtefallzuschüsse und Wohngeldreform. Um die Zahl der benötigten Sozialwohnungen zu erhöhen, hat Berlin eine Verbesserung der Fördersätze beschlossen. Sie steigen je nach Fördermodell auf bis zu 3.550 € pro Quadratmeter Wohnfläche. Dafür stehen für die Jahre 2022 und 2023 dem Land Berlin jeweils 739 Millionen Euro für die Bewilligung neuer Sozialwohnungen zur Verfügung.

Wenn es gut läuft, können wir dieses Jahr den Bau von bis zu 4.000 neuen Sozialwohnungen bewilligen. Im letzten Jahr waren es nur 1.000. Nicht vergessen dürfen wir auch, dass meine Verwaltung Schulen baut, ebenso Wissenschafts- und Kultureinrichtungen. Das sind Projekte, die sich in Summe im Milliardenbereich bewegen. Kaum eine Woche, in der nicht eine neue Schule oder Kita errichtet und eröffnet wird. Das fällt leider in der Öffentlichkeit immer etwas hinten runter: Wir sind eine Bauverwaltung, die für Berlin baut.

Eines der Themen, welches die Menschen in Berlin am meisten bewegt, ist der mögliche Weiterbau der Autobahn A100 vom Treptower Park bis zur Storkower Straße. Wie stehen Sie diesem Verkehrsprojekt gegenüber?

Dazu gibt es eine klare Aussage im Koalitionsvertrag. Der 16. Bauabschnitt der A100 wird bis zum Treptower Park geführt. Planung und Bau des 17. Bauabschnitts der A100 werden in der aktuellen Wahlperiode durch den Senat nicht weiter vorangetrieben. Ich stehe zum Koalitionsvertrag.

“Wir müssen das ganze Thema in einem viel größeren Kontext denken als nur auf 500 Metern Friedrichstraße. Wir müssen uns die gesamte Mitte vornehmen und schauen, wie wir das historische Zentrum der Stadt lebenswert erhalten (…).”

Streitpunkt Friedrichstraße: Mit Autos, ohne Autos oder vollkommen anders gedacht? “Das Thema Friedrichstraße ist leider so emotionalisiert und stellenweise auch ideologisiert geworden, dass meines Erachtens ein großer runder Tisch mit Anwohnerinnen und Anwohnern, Gewerbetreibenden, Einzelhandelsverband, Verkehrsverbänden, Planerinnen und Planern nötig wäre, um zu akzeptierten Lösungen zu kommen” sagt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel dazu. / © Foto: depositphotos.com

 

Ein weiteres Reizthema war und ist die Zukunft der Friedrichstraße, die Verkehrssenatorin Bettina Jarasch gern in eine Fußgängerzone umwandeln möchte. Aus Ihrer Sicht ein sinnvolles Konzept? Oder würden Sie die Friedrichstraße lieber wieder dauerhaft für den Autoverkehr öffnen?

Die Frage Auto oder nicht Auto greift zu kurz. Wir müssen das ganze Thema in einem viel größeren Kontext denken als nur auf 500 Metern Friedrichstraße. Wir müssen uns die gesamte Mitte vornehmen und schauen, wie wir das historische Zentrum der Stadt lebenswert erhalten, wie wir den Verkehr in der vorhandenen Stadtstruktur gerecht verteilen. Das sollte nicht zulasten oder zugunsten nur eines einzigen Verkehrsmittels gehen. Die Frage ist: Wo ist eine autofreie Zone sinnvoll, städtebaulich machbar, klimatisch notwendig und wirtschaftlich vertretbar.

Das Thema Friedrichstraße ist leider so emotionalisiert und stellenweise auch ideologisiert geworden, dass meines Erachtens ein großer runder Tisch mit Anwohnerinnen und Anwohnern, Gewerbetreibenden, Einzelhandelsverband, Verkehrsverbänden, Planerinnen und Planern nötig wäre, um zu akzeptierten Lösungen zu kommen. Meine Empfehlung: Nicht im Klein-Klein verbleiben, sondern den größeren Maßstab anlegen. Wir brauchen für die historische Mitte ein Gesamtkonzept.

Und zum Abschluss noch ein Ausblick in die Zukunft: Im Februar stehen in Berlin Wiederholungswahlen an. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die anstehende Wahl? Was sind Ihre persönlichen Ziele?

Ich schaue mit viel Respekt auf den Februar 2023. Ich habe vor einem Jahr mit meiner Arbeit in der Stadtentwicklungsverwaltung angefangen und bin noch nicht fertig. Ich möchte noch viele Dinge auf den Weg bringen: Bezahlbare Wohnungen, konsequenten Mieterschutz, klimagerechten Städtebau. Die Aufgaben sind groß und ich möchte auch in Zukunft daran arbeiten, dass unsere Stadt bezahlbar, sozial gerecht und lebenswert bleibt.

Sehr geehrter Herr Geisel, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

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