Unser erster Artikel zu Berlins stadthistorischer Entwicklung endete mit der französischen Besatzungszeit, der zweite Teil mit der Märzrevolution 1848. In den kommenden knapp 70 Jahren bleibt Berlin weiterhin Schauplatz diverser Umbrüche und auch des Ersten Weltkriegs. Berlin entwickelt sich zur kaiserlichen Reichshauptstadt Preußens, wird zum Sitz vieler industrieller Firmen und wächst durch Eingemeindungen auf ein Stadtgebiet von 878 Quadratkilometer an.

Das berühmte “Café Bauer” an der Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden, fotografiert um 1900

© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Stephanie Engler

Berlins historisches Zentrum

Teil 3 – 1850-1918

königliche und kaiserliche Haupstadt Preussens

Vom königlichen zum kaiserlichen Berlin

Mit der preußischen Verfassung von 1848, in der die Revolutionen der vorherigen Jahre münden, wird Preußen nun konstitutionelle Monarchie. Die zwei Kammern des preußischen Landtages beziehen ihren Sitz in Berlin. Für beide werden zum Ende des 19. Jahrhunderts ein eigener Gebäudekomplex (nach Plänen des Architekten und preußischen Baubeamten Friedrich Schulze) zwischen der Leipziger Straße und der heutigen Niederkirchnerstraße errichtet.

Das Herrenhaus bezieht das heutige Bundesratsgebäude erst 1904. Das Abgeordnetenhaus tagt bis 1899 im Palais Hardenberg und zieht danach in den Neubau, das heutige Berliner Abgeordnetenhaus.

Gebäude des Preußischen Herrenhauses ab 1904

Preußisches Abgeordnetenhaus um 1900, kurz nach der Eröffnung des neuen Gebäudes

Mit der Krönung Wilhelms I. zum König 1861 und der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 erhält Berlin immer mehr politische Bedeutung. Die Stadt erlangt zudem erstmals auch für nichtpreußische Gebiete eine Hauptstadtfunktion. 

Mit der Gründung des Deutschen Reiches und der Kaiserkrönung Wilhelms I. zehn Jahre später wird Berlin Hauptstadt des Deutschen Reichs. Die Stadt wird für das Kaiserreich sowohl politisches, ökonomisches als auch wissenschaftliches Zentrum. 

Die Entwicklung des historischen Stadtkerns

Ab den 1850er Jahren entwickelt sich die Gegend rund um die Französische Straße zu einem der führenden Zentren der deutschen Finanzwirtschaft, da diverse Banken dort ihren Hauptsitz beziehen, wie etwa die Berliner Handelsgesellschaft, wichtig für die finanzielle Förderung der Industrie und die Disconto-Gesellschaft.

Die öffentliche Hand beginnt in den 1860er Jahren mit dem Ankauf von Grundstücken für kommunale Einrichtungen. Durch die Neubebauung entwickelt sich die Berliner Altstadt so zu einem modernen Stadtzentrum.

Zwischen 1860 und 1871 entsteht das „Rote Rathaus“, welches aufgrund seiner roten Klinkerfassade zu seinem Namen kommt. Doch durch das schnelle Wachstum der Stadt wird das Rathaus bald zu klein und ein Ausweichgebäude muss her. Das damalige Stadthaus am Molkenmarkt entsteht zwischen 1902 und 1911.

Maurer beim Bau des “Roten Rathauses”: Gemälde von Theodor Hosemann, 1861

Das Berliner Stadthaus, heute “Altes Stadthaus”, nach seiner Fertigstellung im Jahr 1911

Der historische Stadtkern nimmt weiter eine moderne Form durch kommunale Gebäude an: In der Dircksenstraße am heutigen Alexanderplatz entsteht das Polizeipräsidium (1886-1890). In der Neuen Friedrichstraße, der heutigen Littenstraße, entsteht das Land- und Amtsgericht (1896-1905), das bei Fertigstellung zweitgrößte Gebäude Berlins.

Die städtischen Gaswerke beziehen 1910 dort ihr neues Geschäftshaus. Es wird von Ludwig Hoffmann im Stil der Neurenaissance entworfen und steht heute unter Denkmalschutz. Als 1871 das deutsche Kaiserreich entsteht, besteht Bedarf an repräsentativen Regierungsbauten wie dem Reichstag.

Der Bau des Reichstagsgebäudes beginnt 1884 nach Plänen des Architekten Paul Wallot am Königsplatz. Das Gebäude wird, wie viele Regierungsbauten dieser Zeit, im Stil der Neurenaissance errichtet und wird 1894 fertiggestellt. Wallot band noch weitere architektonische Einflüsse mit ein, wie den Historismus, den Neobarock und die deutsche Renaissance. Die Stahl- und Glaskonstruktion der Kuppel gilt zur damaligen Zeit als hochmodern und war durchaus umstritten.

Der Berliner Alexanderplatz zur Zeit der Jahrhundertwende

Das nach Plänen von Paul Wallot errichtete Reichstagsgebäude um 1895

Berlin entwickelt sich zur preußischen Metropole

Am 1. Januar 1861 wird das Berliner Stadtgebiet durch die Eingemeindung mehrerer Vorstädte fast verdoppelt. Zum Stadtgebiet gehören nun auch Wedding, Moabit, die Tempelhofer und Schöneberger Vorstadt sowie die äußere Dorotheenstadt. Somit wird Berlin erstmals in 16 Stadtbezirke gegliedert. 

Um das Wachstum und die weitere Bebauung der Stadt und ihres Umlandes in geordnete Bahnen zu lenken, tritt 1862 der Hobrecht-Plan in Kraft. In den darauffolgenden Jahren wird zudem die Akzisemauer von ihrer hauptsächlichen Funktion enthoben und zwischen 1867 bis 1870 mit fast all ihren Toren abgerissen. Ein kleiner Rest ist heute noch am Märkischen Museum zu sehen. 

neue Stadtviertel entstehen – Wohnen & Arbeiten im wilhelminischen Berlin

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließt sich Berlin mit weiteren Städten der Umgebung zusammen. Dazu gehören Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Lichtenberg, Neukölln und Spandau sowie die Kreise Niederbarnim und Teltow. Zusammen bilden sie ab 1911/1912 den Zweckverband Groß-Berlin.

Im Berlin des 19. Jahrhunderts entwickeln sich verschiedene Wohn- und Viertelarten. Sie alle sind geprägt von der Industrialisierung und dem daraus resultierenden Bewohnerwachstum. Das beste Beispiel für das typische Berliner Wohnen zu der Zeit sind die Hackeschen Höfe. Sie zeigen die damalig einzigartige Berliner Mischung von Wohnen und Arbeiten in der Innenstadt der preußischen Metropole.

“Der neue Westen”: Die Berliner City teilt sich auf

Mit der Eröffnung des Kaufhaus des Westens 1907 am Wittenbergplatz beginnt sich die Gegend rund um den Kurfürstendamm zur zweiten Berliner City zu wandeln. Schon seit 1882 entwickelt sich der „Neue Westen“ zu einer prominenten und reichen Wohngegend. Sie wird mit dem Café des Westens zu einem beliebten Treffpunkt der Berliner Kultur- und Künstlerszene. 

Die bedeutendsten Geschäftsstraßen Berlins sind die Friedrichstraße, die Leipziger Straße sowie der Boulevard Unter den Linden. Sie bilden auch das Zentrum des Fremdenverkehrs mit dem Café Bauer und der Konditorei Kranzler. Das Café Bauer ist eines der ersten Häuser im Wiener Kaffeehausstil in Berlin.

Wer etwas auf sich hielt, stieg in den renommiertesten Hotels der Stadt ab, wie beispielsweise dem Kaiserhof, dem ersten Luxushotel Berlins (erbaut 1873-1875). Das Bristol, das Adlon und das Esplanade gehören ebenfalls dazu. Doch keines der Hotels hat es bis heute geschafft zu überleben, mit Ausnahme des Hotels Adlon, welches zwischen 1995 und 1997 neu erbaut wurde.

Eines der ersten Häuser im Wiener Kaffeehausstil in Berlin: Das Café Bauer an der Friedrichstraße

Das ehemalige Hotel Kaiserhof

Eine Fotografie des 1907 eröffnete Hotel Adlon

Der „Wilhelminische Ring“ der Arbeiter

Ganz dem Hobrecht-Plan folgend beginnt nach 1862 außerhalb der Akzisemauer der Bau von Mietskasernen. Durch die Industrialisierung wird billiger Wohnraum für die Arbeiter der Fabriken dringend benötigt. 

So entstehen im „Wilhelminischen Ring“, bestehend aus den heutigen Bezirken Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Wedding, viele übervölkerte Wohngebiete. Die Zustände in diesen Wohnvierteln sind geprägt durch viel zu dichte Bebauung, lichtarme Höfe, Kellerwohnungen und mangelnde sanitäre Anlagen. 

1903 ist Berlin laut einer Wohnungs-Enquête mit einer Million Wohnungen sogar die größte Mietskasernenstadt der Welt. Davon sind allein 400.000 Wohnungen mit nur einem Raum und 300.000 mit zwei Räumen ausgestattet. 

Die Villenviertel des Bürgertums

Im Gegensatz zu diesen eng bebauten Mietsvierteln entstehen im Südwesten Berlins ab 1850 großzügige und weit ausgedehnte Villenviertel. Das wohlhabende Bürgertum schafft sich so seine eigenen, luxuriös ausgestatteten Wohnviertel Lichterfelde, Grunewald und Westend. 

Entlang der Kaiserstraße, die Lichterfelde mit Charlottenburg verbindet, entstehen aufgrund der Wohnungsnot viele Gartenvororte wie etwa Friedenau in den 1870er Jahren. Sie entwickeln sich später zu dichter bebauten Wohnvierteln des Bürgertums.

Die Industrie-Viertel

Durch die Industrialisierung siedeln sich auch weiterhin immer mehr Firmen in der Hauptstadt Preußens an. Im Nordosten Berlins entstehen mehrere große Brauereien, wie die Schultheiß-Brauerei, die Aktienbrauerei Friedrichshöhe und das Böhmische Brauhaus von Armand Knoblauch.

Zwischen Charlottenburg und Spandau entsteht ein ganzer von der Elektroindustrie geprägter Stadtteil: die Siemensstadt. Die Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske ist zum Ende des 19. Jahrhunderts mit Ihren Produktionsstätten über ganz Berlin verteilt und siedelt sich daher auf einem brachliegendes Gelände der Stadt Spandau nördlich der Spree um den Nonnendamm an. Es entsteht ein ganzes Wohn- und Arbeitsviertel mit bedeutende Bauten der Industriearchitektur wie das Dynamowerk oder in den 1920er Jahren das Schaltwerk.

Das Gegenstück zur Siemensstadt bildet das Fabrikquartier Oberschöneweide im Südosten Berlins. 1890 baut die AEG hier ihre erste Fabrik. Es folgt 1895 das Kraftwerk Oberspree, das erste Drehstrom-Kraftwerk Deutschlands und 1896 das Kabelwerk Oberspree. 

Berlin wird in diesen 70 Jahren weitreichenden Entwicklungen ausgesetzt. Die königliche Hauptstadt Preußens entwickelt sich zu einer Metropole, deren Fläche und Einwohnerzahl sie gerecht werden muss. Denn innerhalb dieser Zeit steigt die Einwohnerzahl von 550.000 auf fast 3,8 Millionen Einwohner, eine ungeheuer rasante Entwicklung. Die Infrastruktur der Stadt muss entsprechend nachziehen.

Das Berliner Verkehrswesen

Mit dem Wachstum Berlins muss daher auch das Verkehrswesen verbessert und ausgebaut werden. So entsteht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Berliner Ringbahn, die die Berliner Kopfbahnhöfe miteinander verbindet. Die Königliche Eisenbahndirektion Berlin baut die Vorortbahnen aus. 

1865 wird die erste Strecke der Pferdebahn eröffnet – der Beginn der Straßenbahn in Berlin. Pferdeomnibusse gibt es schon seit 1825. 1881 stellt Siemens in seinem Werk in Lichterfelde die erste elektrisch betriebene Straßenbahn vor. 

Zwischen 1875 bis 1882 wird die Berliner Stadtbahn gebaut. Sie folgt teilweise dem Verlauf des alten Festungsgrabens. Da der Verkehr in Berlin stetig anwächst, wird zur Bewältigung 1896 mit der Konstruktion der U-Bahn begonnen. Die erste U-Bahn-Strecke geht vom Stralauer Tor bis zum Potsdamer Platz und wird 1902 eröffnet. 

Die erste elektrische Straßenbahn in Lichterfelde, 1881

Die Berliner Wasserversorgung

1856 geht das erste Wasserwerk Berlins in Betrieb. Es ist Teil eines umfassend geplanten, modernen Wasserversorgungssystems für die Hauptstadt. Rudolf Virchow schafft mit dem Ausbau der Wasserversorgung die grundlegenden Voraussetzungen für eine moderne Stadt. So wird 1873 endlich mit dem Bau einer Kanalisation begonnen,  1893 wird das Projekt abgeschlossen. 

Der Berliner Stadtbaurat James Hobrecht, der Namensgeber des Hobrecht-Plans, beginnt mit dem Aufbau eines umfassenden Entwässerungssystems. 1893 geht zudem das Wasserwerk Friedrichshagen in Betrieb. 

Die 70-jährige Entwicklung einer Hauptstadt

Berlin hat sich in den Jahren 1850 bis 1918 weit entwickelt. Die Stadt ist selbst und an ihrer Größe und ihren Aufgaben gewachsen. Urplötzlich steht sie im Jahr 1914 einer weiteren, gänzlich anderen Herausforderung gegenüber: dem Ersten Weltkrieg.

Während der Kriegsjahre (1914-1918) wird die Versorgung Berlins zunehmend schwieriger. Die Bevölkerung der Millionenstadt leidet unter dem zermürbenden, weit entfernten Stellungskrieg im französischen Verdun. Vor allem aber die Seeblockade der Nordsee und der Steckrübenwinter von 1916/17 führen zu Hunger und Kriegsmüdigkeit in der Reichshauptstadt.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges erreicht Berlin die Novemberrevolution. Kaiser Wilhelm II. wird abgesetzt und flieht ins niederländische Exil. Sowohl der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann als auch der Kommunist Karl Liebknecht rufen am 9. November 1918 die Republik aus. Die Zeit der Weimarer Republik beginnt.

 

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